We dance together, we fight together?

Tiflis Was die Proteste in Georgien nach den Razzien in mehreren Nachtclubs über die politische Situation des Landes sagen

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In der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2018 wurden in Clubs in Georgien Razzien durchgeführt
In der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2018 wurden in Clubs in Georgien Razzien durchgeführt

Foto: Bassiani/Facebook

Georgien wird in den letzten Jahren von Westeuropäer*innen zunehmend als das neue perfekte Reiseziel entdeckt. Das Land rückt durch die diesjährige Teilnahme als Gastland der Frankfurter Buchmesse immer mehr ins Rampenlicht. Georgien ist seit einiger Zeit auch für Menschen attraktiv, die sich gut in der Szene der elektronischen Musik auskennen. Viele europäische Electro-Begeisterte kennen den Nachtclub Bassiani zumindest von Erzählungen. Bassiani und Cafe Gallery sind zwei der etabliertesten Clubs in der georgischen Hauptstadt. Beide lehnen rassistische, homophobe und sexistische Äußerungen und Verhalten explizit ab und werden deshalb von den liberal eingestellten Menschen aktiv unterstützt.

In den Clubs wurden in der letzten Freitagnacht vom 11. auf den 12. Mai 2018 Razzien durchgeführt. Der Grund dafür war laut Polizeiangaben die Bekämpfung des Drogenhandels. Nach dem rabiaten Vorgehen folgten mehrere Festnahmen. Im Land, in dem Aktivist*innen schon seit vielen Jahren gegen die restriktive Drogenpolitik kämpfen, ist das erst einmal keine große Überraschung an sich. Die Entkriminalisierung von Cannabiskonsum wurde zu einem tragenden gesellschaftspolitischen Thema, als der ehemalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili 2013 sein Amt verließ und der Milliardär Bidsina Iwanischwili zur neuen Hauptfigur georgischer Politik wurde. In progressiven Kreisen war die Hoffnung groß, dass Iwanischwili und seine Partei Georgian Dream von der extrem strikten Drogenpolitik Saakaschwilis absehen würden, doch die Entkriminalisierung erfolgte nicht – zumindest nicht in dem erhofften Ausmaß. Das Feiern in Clubs wurde in den letzten Jahren allerdings dennoch zu einem der internationalen Markenzeichen der Stadt – und wurde in den konservativen, nationalistischen Kreisen zunehmend instrumentalisiert und dem uneingeschränkten Drogenkonsum und einem Zerfall der Gesellschaft gleichgesetzt.

Das unverhältnismäßige Stürmen der genannten Nachtclubs resultierte noch in der gleichen Nacht in den Protesten der Unterstützer*innen der Szene elektronischer Musik. Am Samstag und Sonntag wurden massive Proteste vor dem georgischen Parlamentsgebäude organisiert – gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei in der Freitagnacht sowie gegen die restriktive Drogenpolitik – „We dance together, we fight together!“ hieß das Motto. Die Demonstration am Sonntagabend endete darin, dass die friedlichen und zu elektronischer Musik tanzenden Demonstrant*innen von Gruppierungen georgischer Rechtsextremen umringt wurden, die sich für eine Gegendemonstration versammelten. Die Aufgabe der Polizei bestand schließlich darin, die beiden Gruppen voneinander zu trennen. Die Befürchtung einer möglichen Eskalation veranlasste den Innenminister Giorgi Gakharia dazu, die Härte des Vorgehens der Polizei in der Freitagnacht zu verurteilen. Auch eine Liberalisierung der Drogenpolitik wurde in Aussicht gestellt. Die Proteste wurden zunächst beendet. Während einige mutmaßen, dass die Polizeiaktion und die erneuerte Aussicht auf Drogenkonsumliberalisierung mit dem Wunsch von Iwanischwili zu tun haben, die eigene Position in der Gesellschaft zu stärken, lohnt es sich, weitere Aspekte der Proteste zu betrachten.

Für viele junge Menschen ist elektronische Musik ein Symbol, das für Meinungsfreiheit im Konkreten und liberale Werte im Allgemeinen steht. Dass Rechtsextreme die Vorkommnisse als Chance nutzten und es schafften, eine gewaltige spontane Gegendemonstration zu mobilisieren, ist beunruhigend. Sehr beunruhigend ist auch die Tatsache, dass sowohl die Rechtsextremen als auch die gemäßigten Konservativen, die sich der Gegendemonstration anschlossen, die liberalen Werte häufig mit einem Zerfall Georgiens und seiner Traditionen verknüpfen. So ein breites Bündnis aus Rechtsextremen und Konservativen ist vor allem dann ein Problem, wenn die von den liberalen Werten überzeugten Menschen selbst keine Sprache finden, in der sie nachvollziehbar machen können, warum von einer pluralistischen und offenen Gesellschaft ja eigentlich alle profitieren sollten. Oft ist das Einzige, was sie sichtbar zum Ausdruck bringen, dass junge Menschen legitimerweise ihren Spaß in Clubs haben wollen. Eine Vermittlung von breiter gefassten Inhalten ist natürlich keine leichte Aufgabe und vermutlich nur umsetzbar, wenn der Liberalismus mit der Notwendigkeit gesellschaftlicher – und somit auch wirtschaftlicher – Solidarität begründet werden. Denn gerade Rechtsextreme stellen in Georgien die neoliberale Ordnung so deutlich wie keine andere Gesellschaftsgruppe in Frage. Solange soziale und liberale Werte als kaum miteinander vereinbar betrachtet werden und wirtschaftsliberale sowie libertäre Gruppen in Georgien bestimmen, was liberale Werte sind, werden die progressiven Gruppen einerseits und die Konservativen andererseits schwere Zeiten haben, sich auch nur ansatzweise anzunähern.


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