Sie kommen, um sich zu beschweren

Arbeit Gegen Armut und Ausbeutung: Studentische Beschäftigte fordern in den USA ihre Rechte. Ein Aufbruch mit Potenzial
Ausgabe 41/2017
Mahnmal in Chicago: „Stop killing public education"
Mahnmal in Chicago: „Stop killing public education"

Foto: Joshua Lott/Getty Images

Es gibt eine Welle von Kämpfen um gewerkschaftliche Organisation an amerikanischen Universitäten. Im Zentrum stehen der Wunsch der Beschäftigten nach Verfügungsgewalt über ihre Arbeit, Transparenz am Arbeitsplatz und höheren Löhnen. So versuchen etwa die studentischen Angestellten am Boston College seit drei Jahren, sich gewerkschaftlich zu organisieren und verlangen eine bessere Gesundheitsversorgung. Auch an der Yale University stimmten sie im Februar 2017 dafür. Die Kampagne stieß auf Widerstand – selbst als die studentischen Angestellten eine erfolgreiche demokratische Wahl durchführten –, was zu einem Hungerstreik führte. Über 1.000 Demonstranten schlossen sich an. Dies stellt bis heute eine der größten Solidaritätsanstrengungen seit Beginn der Kämpfe an Privatuniversitäten dar. Die Universitätsverwaltungen sagen, sie tolerieren das Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit ihrer Studierenden, meinen jedoch: Solange diese ihr Recht nicht als Beschäftigte wahrnehmen. Das National Labor Relations Board (NLRB), die für Gewerkschaften zuständige Regierungsbehörde, erklärte indes im August 2016, dass sich studentische Beschäftigte an privaten Universitäten durchaus gewerkschaftlich organisieren dürfen.

Die erste Studierendengewerkschaft, die rechtlich anerkannt wurde, war 1966 die Teaching Assistants Association an der University of Wisconsin-Madison. Auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, fanden die Kämpfe für gewerkschaftliche Organisierung der Studierenden dort statt, wo Antikriegsaktivisten, Sozialisten und Bürgerrechtler die Arbeit ins Zentrum ihres Kampfes für eine demokratische Universitätsausbildung stellten. Doch die materiellen Bedingungen und politischen Forderungen haben sich verändert, vor allem hinsichtlich der Darlehensschulden vieler Studierender, der Armut unter Assistenten und des zunehmenden Einflusses der Rechtsextremen an den Hochschulen. Auf struktureller Ebene fallen die Geisteswissenschaften der Austerität zum Opfer, da die staatlichen Zuschüsse für öffentliche Universitäten um 300 Millionen Dollar gekürzt werden sollen.

Unsicherheit ist die Norm

Assistenten stehen im Zentrum des Kampfes für gewerkschaftliche Organisierung. Ellen Tara James-Penney, Assistenzprofessorin für Englisch an der San José State, erregte vor kurzem nationale Aufmerksamkeit, weil sie trotz ihrer Festanstellung in ihrem Pkw lebt. Obwohl sie 2.500 Dollar pro Monat verdient, hat sie 143.000 Dollar Schulden. Die prekäre Situation dieser Professorin ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Laut der American Association of University Professors sind 76 Prozent der Hochschulbeschäftigten auf Assistenzstellen und viele von ihnen leben unter der Armutsgrenze. Die Schuldenlast beläuft sich auf 1,3 Billionen Dollar. Unsicherheit ist zur Norm geworden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass von 86.000 Doktoranden im Fach Biologie nur 29.000 eine unbefristete Stelle erhalten werden.

Diese Entwicklung stellt sich in der aktuellen politischen Situation, wo konservative Ideologen im Weißen Haus und auf der Straße explizit gewerkschaftsfeindlich auftreten und Linke an den Hochschulen angreifen, noch einmal anders dar. Wie der Guardian argwöhnte, wird Trump mit großer Wahrscheinlichkeit einen gewerkschaftsfeindlichen Obersten Richter ernennen, der die Entscheidung des NLRB aufhebt. Einige der gewerkschaftsfeindlichen Kampagnen gehen sogar vom Campus selbst aus. An der University of Pennsylvania hat die Unionization-Kampagne mit massiver gewerkschaftsfeindlicher Propaganda von Studierenden zu kämpfen, die Tarifverhandlungen ablehnen. Einem der Organisatoren zufolge sind diese Gruppen Teil einer „rechten Ideologie“, die dazu dienen, diesen Prozess zu kapern.

Die Rechten greifen an

Der Aufstieg der Rechten hat auch eine Debatte um freie Meinungsäußerung entfacht. Teilweise warnen die Verwaltungen in internen E-Mails vor Reaktionen auf rechtsradikale Angriffe und sprechen sich dafür aus, keine Position zu beziehen. So hieß es in einer Mail des Vizepräsidenten und Dekans der Princeton University, die Studierenden sollten „unabhängig davon, wo Sie in Hinblick auf Themen wie Klimawandel, weißen Nationalismus, die Rechte von Transgender, Einwanderern und vielen mehr stehen“, bereit sein, von „abweichenden Perspektiven anderer zu lernen“. Gegen diese Verharmlosung rechter Propaganda gibt es Protest. In einer Replik nahm eine Gruppe verschiedener linker Minderheiten- und Beschäftigten-Gruppierungen der Universität Stellung: „In einer zivilen, demokratischen Gesellschaft gibt es keinen Platz, um über diese beiden Positionen gleichberechtigt zu ‚debattieren‘. Eine solche ‚Debatte‘ zuzulassen oder anzuregen, stärkt nicht die ‚Redefreiheit‘, sondern stellt stattdessen eine Bedrohung vieler dar, deren persönliche Sicherheit und Entfaltungsmöglichkeiten schon seit langem eingeschränkt sind.“

Der Kommentar der studentischen Beschäftigten ist deshalb so beeindruckend, weil die Anstrengungen zur gewerkschaftlichen Organisation Gruppen vereinen, die sich ansonsten getrennt organisiert haben. Sie verstehen, dass die Universität nicht nur ein Ort der Rhetorik ist, sondern einer, an dem die Politik dafür sorgen kann, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen in die Prekarität abrutschen. Der Kampf für eine gewerkschaftliche Organisierung trifft auch den Nerv einer wachsenden Bewegung für die Rechte von Einwanderern, die Menschen beisteht, die eine mögliche Abschiebung fürchten. Donald Trumps jüngste Auflage des Einreiseverbots wird unverhältnismäßig große Nachteile für muslimische Studierende aus den betroffenen Ländern mit sich bringen.

Darüber hinaus haben studentische Gewerkschaften das Potenzial, Studierende aus verschiedenen sozialen Schichten, ethnischen Gruppen und mit unterschiedlichem Migrationsstatus zusammenzubringen. Denn Universitäten sind keine Orte, an denen Menschen kollektiv lernen und sich entwickeln können, sondern Institutionen, die Machtdynamiken wiederbeleben, an denen es immer öfter zu rechten Übergriffen kommt und progressive Professorinnen wie Keeanga-Yamahtta Taylor angegriffen werden. Gruppen wie das Campus Antifascist Network mobilisieren in den gesamten USA, um sich diesen Angriffen der sogenannten Alt-Right zu widersetzen. Viel hat sich gegenüber den 1960ern verändert, wo die Bemühungen um eine gewerkschaftliche Organisierung mit einer starken Antikriegsbewegung, der aktiven Beendigung einer legalen Segregation und einem kulturellen Wandel in der etablierten Politik einhergingen. Gleichzeitig leben und atmen viele abhängig beschäftigte Studierende die jüngste Geschichte der Occupy-Bewegung, des Arabischen Frühlings und der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Erfahrung des Zusammenhalts im Zuccotti-Park, auf dem Tahrir-Platz und in Ferguson hat gezeigt, dass Menschen sich kollektiv organisieren können und werden. Die Gewerkschaft kann der Ort sein, an dem diese Kraft weiter sichtbar und spürbar gemacht werden kann.

Edna Bonhomme ist Historikerin und derzeit Postdoctoral Research Fellow am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin

Übersetzung: Holger Hutt

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