„Die SPD droht – vielleicht auf lange Zeit – die Regierungsfähigkeit zu verlieren, weil sie allzu viele Prinzipien über Bord geworfen hat, weil sie allzu bereitwillig dem Druck privilegierter Interessengruppen nachgab, weil sie sich immer mehr von der Interessenlage und den Wertgesichtspunkten der eigenen Basis entfernt und den Kontakt zu wichtigen gesellschaftlichen Bewegungen verliert.“
Dem Zitat Johano Strassers von 1981, heute im Freitag endlich mal wieder gedruckt und hier noch einmal im Wortlaut wiedergegeben, ist 2018 nichts hinzuzufügen. Doch gerade ist die Partei, der ich mit Herkunft, Geschichte und Herz verbunden bin, dabei, die letzten eigenständigen Merkmale zu opfern. Der Inhalt der Sondierungsergebnisse lässt mich vor dem Eintritt in die dritte Große Koalition seit 2005 fürchten, dass die letzten sozialdemokratischen Prinzipien aus mangeldem Mut und schlichter Kraftlosigkeit verschwinden.
Schulz gets the Blues – und völlig zurecht
Heute kaum vorstellbar: Anfang des letzten Jahres kam Gottes Sohn aus Würselen. Martin Schulz konnte vor Kraft kaum laufen und lief dennoch unnachahmlich vor die Wand. Er, der eigentlich alle Voraussetzungen zum Grantler, Dickkopf und Querdenker mitbringt, lässt sich von PR-Strategen, Kommunikationsexperten und Bedenkenträgern seiner eigenen Partei ausbremsen. 20 Prozent. Eigentor.
Wenn er große Themen anschneidet (Stichwort: "Vereinigte Staaten von Europa"), kann man sich im Willy-Brandt-Haus immerhin sicher sein, dass man in der nächsten Legislaturperiode auf solche wolkigen Ankündigungen nicht festgenagelt werden wird. Lasst ihn labern – das ist ein harmloses Thema, da regt sich keiner drüber auf. An dem Zustandekommen der Bürgerversicherung hingegen könnte sich ein Erfolg der SPD in Sondierung, Koalitionsverhandlung und später in der Regierung schon eher messen lassen – dieses Thema hat man aus Versagensangst, mangelndem Durchsetzungsvermögen, Desinteresse oder schlichter Ermüdung gestrichen.
Man könnte diese Aufzählung fortführen, doch letzten Endes hat es keiner der ohnehin äußerst dürftigen, genuin sozialdemokratischen Ansätze aus dem Wahlkampf ins Programm geschafft. Von Einknicken kann kaum die Rede sein – dies bedingt ja, das man vorher wenigstens für irgendetwas gestanden hat. Wohnungsnot? Kinderarmut? Rente? Bildungsnotstand? Verkehrswende? Energiewende? Klimawandel? Außenpolitik? Wo, verdammt, ist da die Stimme der SPD geblieben?
Trau Dich doch, Martin
Sollte der NRW-Landesparteitag am Sonntag die Groko 2.1 stoppen – was ich persönlich sehr hoffe – könnte Martin Schulz, rein nach der Gesetzeslage, sich gegenüber dem Bundestag zur Kanzlerwahl stellen. Eines ist sicher – er wird gewählt werden, zwar erst im dritten Wahlgang, aber die relative Mehrheit würde zustandekommen. Minderheitsregierung – warum denn nicht? Immerhin eine Regierung! Diese Umstände kennen sowohl die CDU respektive die Bundeskanzlerin sehr genau – und sie wissen auch, dass Neuwahlen an der jetzigen Situation nichts ändern würden. Es ist nur überaus angenehm und einfach, auf dem luftleeren SPD-Sack noch ein bisschen rumzutrampeln und Wadenbeißer wie Kauder und Dobringt die letzten Brocken linker Politik zerfleischen zu lassen.
Bundeskanzler Schulz? Noch ist alles möglich. In der angestrebten Koalition wird aber nur eines sicher sein: Das Projekt 18 für die AfD, das Projekt Fünf-Prozent-Hürde für die SPD und die ewigste Kanzlerin aller Zeiten in heiliger Erstarrung vor dem Angesicht ihrer selbst – und ein Land im Stillstand, das gleichzeitig immer mehr in arm und reich, dumm und gebildet und West und Ost zerfällt. Die SPD hätte also, würde man die Drohung der Kanzlerabstimmung im Bundestag glaubhaft machen können, deutlich mehr Gewicht als sie selbst und viel zu viele in Deutschland glauben. Wie Martin Schulz das machen soll? Keine Ahnung. Vielleicht muss der Siggi nochmal ran.
Zum Abschluss noch ein Wunsch:
Liebe Genossin "Bätschi"-Andrea - tritt einfach zurück. Aus Herbert Wehners Fraktionsvorsitzendengrab steigen Rauchwolken der Empörung auf. Es war nicht dein letzter peinlicher Auftritt und ich kann nicht mit ansehen wie eine Partei, die Willy Brandt, Helmut Schmidt, Peter Glotz und Gustav Heinemann eine Heimat war, sich von Dir im Bundestag repräsentieren lässt. Das mag jetzt ein bisschen "auf die Fresse" sein – ist aber nur lieb gemeint. Für die SPD – nicht für Dich.
Kommentare 3
Schönes Blog, allerdings ist das hier doch fragwürdig:
"... (könnte) Martin Schulz, rein nach der Gesetzeslage, sich gegenüber dem Bundestag zur Kanzlerwahl stellen. Eines ist sicher - er wird gewählt werden, zwar erst im dritten Wahlgang, aber die relative Mehrheit würde zustandekommen."
Hinsichtlich der Einschätzung des Verhaltens von SPD/Die Linke auf der einen und CDU/CSU/FDP auf der anderen Seite liegen Sie in diesem Szenario natürlich richtig. Aber was macht sie so sicher, dass die schwarzgrüne Merkelista in der Fraktion der Grünen, die sich kaum Schöneres vorstellen können, als mit der Merkel-CDU Politik zu machen, und sei es nur als Stützrädchen einer Minderheitsregierung - für Martin Schulz stimmen? Sogar geschlossen? Eine zumindest gewagte These. Ich bin mir nicht so sicher, dass alle Grünen an Merkels Sturz mittäten. Aber darüber mag man diskutieren.
Als Sicherheit falsch erachte ich ihre unausgesprochen mit schwingende Einschätzung, dass sie AfD sich bei einer Kampfabstimmung Schulz gegen Merkel der Stimme enthielte. Die AfD ist zwar politisch von beiden Personen (!) in der Tat etwa gleichweit entfernt, nicht aber von beiden Parteien, schon gar nicht von der CSU, die idefixgleich immer dabe ist.
In der Tat hält man in der AfD weder von Merkel noch von Schulz das geringste. Aber daraus zuleiten, dass die Partei sich enthalten würde, blendet jegliche parteitaktische Überlegungen durch die AfD aus. Natürlich würde die AfD - in diesem Szenario - Merkel retten. Eine schwankende Union unter der abgetakelten Kanzlerin weiter an der Regierung zu halten, das ist für die AfD, die damit im rechten Spektrum ganz allein in der Sonne steht, die Fortsetzung des perfekten Düngers der letzten Jahre, außerdem ein Signal an die zweite Reihe der Union für die Nachmerkelzeit und entsprechend parteitaktisch doch erheblich besser als eine frische linke Minderheitsregierung, den damit einhergehenden sofortigen Sturz Merkels und eine Rechtsverschiebung und Oppositionsführerschaft der Union, die der AfD mit neuem Personal auf einmal ins Licht tritt. Die AfD müsste parteitaktisch vollkommen gaga sein, und das sind die nicht, die Regierung Merkel - in diesem Szenario - nicht zu retten. (zu den Anhängern: 'lieber trotz Merkel die Union inklusive CSU als Schulz und die Kommunisten').
Aber weil die SPD-Spitze das genau weiß, ist dieses Szenario, so interessant es ist, nicht realistisch. In dem Moment, wo die SPD das versuchen würde, würde die rechte Parlamentsmehrheit stehen - wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven.
("daraus abzuleiten" muss es heißen)
die empfehlung an bätschi-nahles
möcht ich nachdrücklich unterstützen.
ansonsten sind partei-taktische überlegungen für mich:
verschwendete gedanken, wie die feuerwehr,der schwan etc.
vom ewig-rund-laufenden parteien-karussell
auf den weg zu bringen sind.