Aspekte zur Bundestagswahl - Teil 2

Parteienstaat Die Bundestagswahlen stehen unmittelbar bevor und werden, trotz eines schwindenden Rückhalts der Parteien in der Gesellschaft, die Parteienherrschaft weiter zementieren.

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Das Fundament der Macht

Zur zweiten Bundestagswahl der Bundesrepublik Deutschland wurde 1953 das Wahlverfahren auf unser heutiges System der personalisierten Verhältniswahl mit Erst- und Zweitstimme umgestellt. Das war eine entscheidende Veränderung, die zur Entwicklung der heutigen, die Demokratie beherrschenden Parteien führte respektive den Machtzuwachs erst ermöglichte.

Über die Gründe der Umstellung berichtet der Bundeswahlleiter43 – er wird vom Bundesminister des Innern, zur Zeit Horst Seehofer, auf unbestimmte Zeit ernannt –, dass man aus historischen Gründen der Parteienzersplitterung entgegenwirken und daher keine reine Verhältniswahl mehr anwenden wollte. – Die Parteienvielfalt der Weimarer Republik wird bis heute als Grund für eine der Hauptursachen des Versagens der bürgerlichen Parteien gegenüber dem Nationalsozialismus genannt. Neuere Forschungen zur Weimarer Republik relativieren die Bedeutung dieser Parteienzersplitterung für den Untergang der ersten deutschen Demokratie. Der Politikwissenschaftler Dieter Nohlen44 macht vorrangig soziale und wirtschaftliche Faktoren für das Erstarken der NSDAP verantwortlich.

Der Parteizersplitterung wurde durch die gleichzeitige Einführung der Fünf-Prozent-Klausel gemäß § 6 Abs. 3 BWahlG entgegengewirkt. Seitdem, also seit 1953, gilt bei der Wahl zum Deutschen Bundestag Folgendes: Damit einer Partei gemäß der Stimmverteilung Sitze zugeteilt werden, muss sie mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen auf sich vereinen oder mindestens drei Direktmandate erringen (Grundmandatsklausel), anderenfalls verfallen die für diese Partei abgegebenen Zweitstimmen. Hier wird schon sehr deutlich, dass die großen Parteien hauptsächlich die Nutznießer der Zweitstimmenregelung sind und wir unterstellen, dass das bei der Änderung des Wahlverfahrens auch beabsichtigt war.

Bis heute ist weder eine sachliche noch belastbare Begründung für die damalige Einführung des Zweitstimmenwahlsystems bekannt. Wir meinen, dass es den Parteien darum ging, mit dieser Maßnahme ihre Macht im Staate auszubauen und zu verfestigen. Dass ihnen das gelungen ist, zeigt uns das Zerrbild der heutigen Demokratie.

Wie tief und umfassend die politischen Parteien die gesamte Struktur der Gesellschaft durchdrungen haben, wird im weiteren Verlauf des Buches noch dargelegt. Zunächst wenden wir uns dem Wahlergebnis zum 1. Bundestag45 im Jahr 1949 zu, aus dem die Motivation der Abgeordneten zur Änderung des Wahlrechtes vorstellbar hergeleitet werden kann.

Die Wahlbeteiligung betrug 78,5 Prozent der Wahlberechtigten über 21 Jahre – ab 18 Jahre durfte der deutsche Staatsbürger erst nach Änderung des Wahlgesetzes 1953 seine Stimme abgeben.

Nun hatte der wahlberechtigte Staatsbürger in Deutschland sogar zwei Stimmen. Die Erststimme gilt seither der Direktkandidatur in einem der derzeit 299 Wahlkreise. Meistens sind dies Mitglieder von Parteien, es können aber auch Personen gewählt werden, die keiner Partei angehören. Derjenige, der die meisten Erststimmen eines Wahlkreises auf sich vereint, zieht als gewählter Direktkandidat in den Bundestag.

Mit der Zweitstimme zieht ein Abgeordneter über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag ein. Dieser Volksvertreter müsste eigentlich Parteienvertreter heißen, denn er wird von ihr bestimmt. Ein Direktkandidat kann zusätzlich noch auf der Landesliste seiner Partei eingetragen werden, um ohne Wahlkreisgewinn dennoch ins Parlament zu gelangen. Dass Parteien über die Landeslisten bestimmen, welche Personen in den Bundestag gelangen, um dort als Abgeordnete des Volkes zu erscheinen, ist zutiefst undemokratisch und schnellstmöglich abzuschaffen.

Zurück zum Wahlergebnis des Jahres 1949, dem Jahr der Gründung der Bundesrepublik Deutschland: Als Reaktion auf die Entstehung der BRD kam es nur wenige Monate später zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Die Hintergründe, die zur Gründung beider deutscher Staaten führten, sind aufschlussreich und empörend, sollen aber nicht Gegenstand dieser Publikation sein.

Die Grafik der Sitzverteilung im ersten Deutschen Bundestag zeigt Parteien, die noch bis heute, wechselweise oder gemeinsam, die Macht im Staat ausüben. Die Parteien der CDU und der CSU wurden kurz nach dem 2. Weltkrieg, noch 1945, gegründet. Zur Wahl des 1. Bundestages schlossen sich beide Parteien 1949 zur bis heute bestehenden Union zusammen. Das Bündnis der Christlich Demokratischen Union gilt nur für die Bundestagswahlen und für den Bundestag. Die Landtagswahlen in Bayern finden vereinbarungsgemäß ohne die CDU statt, dafür konzentriert sich die CSU ausschließlich auf Bayern. Ob das seit 1949 im Sinne des gemeinen Wahlvolkes, respektive demokratisch ist, darf stark bezweifelt werden.

Weshalb nun bei diesem klaren Ergebnis zur 1. Bundestagswahl, die sich selbst so nennenden bürgerlichen Parteien Union, SPD und FDP angesichts dieses sehr guten Ergebnisses (zusammen 341 Sitze im Vergleich zu den 80 Sitzen aller übrigen Parteien) von einer die Demokratie gefährdenden Parteienzersplitterung gewarnt haben, bleibt schleierhaft. Trotzdem war diese absurde Begründung für die Abgeordneten ausreichend: Sie beschlossen die beschriebene Änderung des Bundeswahlgesetzes, das im Wesentlichen bis heute gilt. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache erwähnenswert, dass im ersten Bundestag 122 Abgeordnete saßen, die ehemals Mitglieder der NSDAP waren.46 Mehr als 90 Prozent dieser Volksvertreter gehörten den Parteien Union, FDP und SPD an. Sie haben vermutlich ihre Kenntnisse der parteilichen Machtsicherung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht.

Aus dem aufgezeigten Wahlergebnis lässt sich eine Parteienzersplitterung nicht herleiten. Für die Änderung des Bundeswahlgesetzes, dass außer der 5-Prozent-Klausel auch die Zweitstimmenregelung beinhaltet, gibt es nach unserer Meinung nur eine erkennbare Motivation: Machterhalt und Machtausbau der Politiker mithilfe der politischen Parteien.

Für die Ausübung der Parteienmacht in Stadt, Land und Bund werden Parteisoldaten benötigt, die den Vorgaben und Interessen der Parteilinie nicht entgegenwirken. Nach jeder politischen Wahl, unabhängig von den Bereichen in Stadt und Land, beginnt der Transfer von führenden Beamten des Staatsapparates.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

GFG

Angehöriger der Gemeinschaft für Frieden und Gerechtigkeit, deren Ziel es ist, aktuelle politische Dissonanzen aufzuzeigen und darüber zu informieren.

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