Die gute Charlotte

Zum Tod Lothar Berfeldes Charlotte von Mahlsdorf war eine Fiktion

Am 11. Mai verspürte Andreas Günther, Sprecher der "AG queer" bei der PDS Berlin, den Drang, eine Erklärung abzugeben: "Die Nachricht vom Tode von Charlotte von Mahlsdorf macht uns traurig und betroffen. Die Regenbogencommunity ist um einen Farbtupfer ärmer geworden. Charlotte hat die dunkelsten Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit durchlitten. Ihre Courage und Tatkraft bleibt ein Vorbild für viele. Bestürzt waren wir, als sich Charlotte aus Angst vor dem erstarkenden Rechtsextremismus nach Schweden zurückzog. Dort ist sie am 30. 4. 2002 gestorben. Wir werden ihr Andenken in Ehren halten. Du wirst uns fehlen, Charlotte!"
Zunächst sei korrigiert, dass der "Farbtupfer" nicht in Schweden, sondern in Berlin der Welt abhanden gekommen ist. Herrlich indes dokumentieren sich in der Verklärung der teuren Toten der Unwille oder auch die Unfähigkeit, Geschichte (im konkreten Fall eher: Geschichten) kritisch und in ihrer Widersprüchlichkeit zu reflektieren. Die lesbisch-schwule Gemeinde hat sich ihre Legenden zurechtgebastelt und läßt sie sich auch durch besseres Wissen nicht abspenstig machen. Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf ist so eine Legende.
Die PDS-Erklärung ist symptomatisch, weil sie die literarische Figur "Charlotte von Mahlsdorf" abermals als reale Person und den um sie herumgestrickten Bestseller als true story akzeptiert. Als politischer Witz endet das in prächtigen Pointen: "Charlotte hat die dunkelsten Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit durchlitten", meinen ausgerechnet die Homo-Sozialisten. "Im Fummel durch Endkampf und DDR", lautete die Variante der Delta Film GmbH, als sie 1992 Rosa von Praunheims Verfilmung der "Memoiren" Lothar Berfeldes vermarktete, und die 1996er NS-gleich-DDR-Fassung lieferte Stephan Kring im Buch Perfekt schwul!, als er ihm "sechzig Jahre gelebten Widerstand in wechselnden Diktaturen" andichtete.
"Bestürzt waren wir, als sich Charlotte aus Angst vor dem erstarkenden Rechtsextremismus nach Schweden zurückzog." Noch so ein Märchen für PDS-Homos. Sicher gab es 1991 den Neonazi-Überfall auf das Frühlingsfest im Mahlsdorfschen Park. Jedoch spricht vieles dafür, dass Berfelde aus ganz anderen Gründen ins "Exil" flüchtete: Längst hatten Journalisten Widersprüche in der offiziellen Biographie erkannt und begonnen, gegenzurecherchieren. So taxierte Berfelde ab 1983 im Auftrag des Rates des Stadtbezirks Berlin-Marzahn Möbel Ausreisewilliger. Erhielt der Widerständler dafür Geld? Nichts dazu in seinen "Memoiren". Am 7. Juni 1997 meldete die Berliner Zeitung, Berfelde habe sich am 17. November 1971 "auf Grundlage der politischen Überzeugung" als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS verpflichtet. Unter dem Decknamen "Park" habe er bis 1976 "auf freiwilliger Basis" Informationen zugeliefert. Nebenbei ermittelte Starreporter Alexander Osang, dass die behauptete Rettung der Schlösser Friedrichsfelde und Dahlwitz frei erfunden ist, dass dem angeblichen Verfolgten das Gutshaus vom Staat pachtfrei überlassen wurde, er nie Steuern zahlen mußte, wenn er, was er gern und oft und zu stattlichen Preisen tat, Sachen aus der Sammlung an staatliche Museen, den DDR-Kunsthandel oder Touristen veräußerte. Doch "Charlotte von Mahlsdorf" bekam ohne weiteres den Persilschein für etwas, das Hunderttausenden ehemaligen DDR-Bürgern Berufsverbot, Rentenverlust und sozialen Abstieg einbrachte: "Die IM-Anwerber von der Stasi waren seinerzeit Spezialisten im ›Überreden‹ zur Mitarbeit", kommentierte die Nürnberger Schwulenpost im Juli 1997. "Die gute Charlotte befand sich vermutlich in einer argen Zwickmühle und ihr blieb deshalb gar nichts anderes übrig, als mitzumachen." Hübsch, nicht?
Als etwa zur selben Zeit bundesweit die Ausstellung "Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn" für Aufsehen sorgte, vergaß die Homo-Szene mal kurz "die gute Charlotte" und dass sie den Grundstock ihrer Sammlung Haushaltsauflösungen bei deportierten Juden verdankte; Nachlässe konnte Berfelde zum Spottpreis erwerben. Wie meinen die PDSler: "Ihre Courage und Tatkraft bleibt ein Vorbild für viele." Wie man´s nimmt.
Ebensowenig hat die Homo-Szene die dubiose Anekdote von "Lottchens" Errettung vor der Erschießung durch einen "anständigen" Wehrmachtsoffizier 1945 in Frage gestellt oder ihre Deklaration der DDR zum "roten KZ", ihren Vergleich Schalck-Golodkowskis mit Hermann Göring, ihre Verbreitung biologistischen Unsinns wie: "Dass die Lesben und Schwulen keine Kinder kriegen, das ist doch ganz natürlich. Die Natur sucht sich ja auch aus, was sie gebrauchen kann, was sie sich vermehren läßt und was nicht."
Aber man sollte all dies nicht Lothar Berfelde anlasten, sondern es jener "Regenbogencommunity" um die Ohren hauen, die aus einem schlichten Gemüt den Mythos "Charlotte von Mahlsdorf" erschuf und nicht merken wollte, dass darin der Verrat an ihr selbst lag. War doch die Möbeltunte die perfekte Fernsehgestalt: Eine Reinkarnation der guten alten Kaiserzeit mit drolligem Hang zur Stuckrosette, ein vom Arbeiter- und Bauernstaat unschuldig verfolgtes Stubenmädchen mit gestärktem Häubchen, als Pionierin der DDR-Homosexuellenbewegung Prototyp des kleinen frechen Widerständlers. Lieb und artig, trotz taillierten Damenmantels zu Bundesverdienstkreuz-Ehren gelangt, ausgestattet mit gebügelter Bluse und Spitzentaschentuch, symbolisierte sie das saubere homosexuelle Deutschland.
Die für Perverses zuständige PDS-AG legte sich erst unlängst den Modenamen "queer" zu. Das war kein Triumph des Willens zur Dekonstruktion tradierter Geschlechterrollen, sondern bloß die Eintrittskarte in die bürgerliche "Regenbogencommunity". Folglich ist den roten "queers" der Gedanke völlig fremd, dass diese in "Charlotte von Mahlsdorf" zehn Jahre lang die trojanische Putze des deutschen Biedermanns hofierte. Eine Figur, die der politische Gegner gerade deshalb so liebte, weil sie alte Geschlechterrollen aus innerer Überzeugung lebte und "Charlotte von Mahlsdorfs" subversives Potential dem des Deutschen Hausfrauenbundes von 1915 entsprach. Als solche wird sie brauchbar bleiben, und deshalb seid getröstet, liebe Regenbogenkinder: Gestorben ist nur Lothar Berfelde, eure Charlotte von Mahlsdorf lebt.

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