Elements of Crime

KEHRSEITE Kreuzberg ist strukturell kriminell. Entsetzt vernahm meine im Anhaltinischen wohnhafte Familie, dass mein Freund und ich gedachten, gerade in diesem ...

Kreuzberg ist strukturell kriminell. Entsetzt vernahm meine im Anhaltinischen wohnhafte Familie, dass mein Freund und ich gedachten, gerade in diesem Bezirk sesshaft zu werden. Alle naselang Straßenschlachten mit der Polizei, Plünderungen, Drogen, Punks und vor allem: Türken. Ein Hort des organisierten Verbrechens also, wie man aus dem Fernsehen wusste. "Und da wollt ihr hinziehen?"

Wir zogen. Bei der Auslegware für die neue Wohnung linkte mich ein deutscher Händler. "Lass dich nicht übers Ohr hauen", hatte mich eine Verwandte gewarnt, als ich angab, mich nach einem kleinasiatischen Experten für Teppichböden umtun zu wollen. Meine gerade überstandene Vergiftung verdanke ich ebenfalls keinem Döner oder Börek, sondern einer italienischen Pizza Emilia mit, leider verdorbenem, Schinken. Der Mensch, der mich hier am freundlichsten grüßt, ist der arabische Krämer im Parterre. Sein Familienleben spielt sich im Sommer größtenteils vorm Geschäft ab; dort halten sich dann seine Kinder auf, und bei schönem Wetter sitzt seine Frau auf dem Trottoir und putzt das Gemüse fürs Abendessen, derweil er selbst, wenn keine Kundschaft zu bedienen ist, vor der Ladentür allein oder mit Freunden Wasserpfeife raucht. Kaum Grund zur Klage also über die so gefährliche Nachbarschaft.

Das kriminelle Element scheine eher ich selbst zu sein. Treffe ich doch neulich auf dem U-Bahnhof einen alten Kollegen. Heini ist schwer bepackt. Das Rentnerdasein lässt ihm zuviel Zeit, um über Märkte zu schlendern. "Mensch", sagt er, als wir uns verabschieden, "isste jerne Birn'?" Ich bejahe. "Denn häng' dir mal'n Beutel ab, ick hab zuville jekooft, die faul'n mir bloß weg." Ich lange eben nach seiner Gehhilfe, an der drei Plastiktüten Obst baumeln, als ein Jugendlicher türkischer Herkunft mich zornig anfunkelt. "Kennt ihr euch?!". Was soll das? Er fragt nochmals, direkt an Heini gewandt und mit einer Eistüte auf mich weisend: "Kennen Sie den da?" Heini, ein wenig irritiert, nickt unsicher. "Nicht, dass du den Alten gerade abziehst ..."

Das ist keine Frage an mich, sondern eine Drohung. Dass ich Heini, um Vertrautheit zu demonstrieren, jovial die Hand auf den Arm lege, beruhigt den jungen Mann keineswegs. Aus fünf Metern Entfernung, jeden Moment zum Eingreifen bereit, mustert er uns misstrauisch. Heini und ich strahlen einander immer wieder an, als gäbe es Geld dafür.

Das Schauspiel dauert, bis Heinis Zug abfährt, in den auch der junge Türke einsteigt. Die Birnen in der Linken, winke ich wie irre mit der Rechten, und selbst Heini fühlt sich genötigt, kräftig mit dem Krückstock zu wedeln, bis der Zug endlich im Tunnel verschwunden ist.

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