Mörderballade

Bis vor fünf Jahren fiel ich regelmäßig in die Hände der Dauerwellenmafia, die zweifelsohne 90 Prozent der europäischen Frisiersalons beherrscht. ...

Bis vor fünf Jahren fiel ich regelmäßig in die Hände der Dauerwellenmafia, die zweifelsohne 90 Prozent der europäischen Frisiersalons beherrscht. Zunächst hatte das familiäre Gründe. Wir waren nicht reich, aber umso glücklicher, dass eine meiner Tanten das Friseurhandwerk erlernt hatte, bevor sie ans Aspikbecher-Fließband einer volkseigenen sachsen-anhaltinischen Großfleischerei wechselte - wegen des höheren Lohns. Für ein Dankeschön wurde mir abends in der Küche die Mähne gestutzt, derentwegen mein Vater mich dazumal abschätzig "Ghaddafi" nannte. Als ich in die Lehre kam, begab ich mich in die Hände meiner gleichaltrigen Cousine, die in einem Privatsalon eine Coiffeur-Ausbildung begonnen hatte. Mein tiefdunkles Haar war dick und wuchs schnell, was mich zum Übungsmodell qualifizierte. Modelle zahlten zudem nichts, schließlich trugen sie das gesamte Verletzungs-Risiko, vor allem des guten Geschmacks.

Ich wirkte nicht sonderlich attraktiv damals. Zum Schaufrisieren wurde ich jedenfalls nie gebucht, was meiner natürlichen Eitelkeit schwer zusetzte, aber wohl weniger an der Frisur lag als an deren absehbarem Kontrast zum Spätpubertanden-Gesicht. An selbigem übte sich allsonntäglich eine weitere Cousine, ihres Zeichens angehende Kosmetikerin. Tapfer bekämpfte sie jeden Mitesser, gab drohend Anweisungen ("Hände aus dem Gesicht!", "Keine Seife!") und so herrliche Tipps wie den, vorm Pickelausdrücken ein Handtuch erst in siedendes Wasser und dann sofort aufs Gesicht zu legen. Nur: Wunder konnte auch sie nicht vollbringen.

Die Aknezeit war noch nicht perdu, als mich eher männliche Zunftmitglieder zu interessieren begannen. Das nutzte wenig; in einem sozialistischen Großsalon namens "Silhouette" geriet ich meist an gesetztere Fachmänner, die an meinem dichten Schopf rein haarkünstlerisch ihre verblichenen Jugendlieben reanimierten.

Längst hatte ich mich in mein Modeschicksal gefügt, als der Umzug nach Berlin-Kreuzberg die Lage dramatisch änderte. Einen Tag, nachdem mein langjähriger Lieblingsmann gestand, er fände dies sexy, kam ich für 120 Westmark zu meiner ersten Blondierung. Eine schmerzhafte Erfahrung, aber erotisch betrachtet war sie es wert. Leider sind diese Zeiten längst wieder passé - aus Gründen, die im kapitalistischen System liegen.

Ich komme eben aus dem "No Name". Das Souterrain erstrahlt nach außen polizeigrün. Im weiß gestrichenen Fensterkreuz erklärt ein handgemalter Zettel ("Bei uns geht das so: ..."), jeder Schnitt koste nur zehn Euro, dafür müsse man jedoch die Haare daheim waschen und fönen. Bringe man die Tönung mit, werde auch gefärbt. Im Wartebereich sorgen eine grüne und eine blaue Neonlampe für Licht, das neben einem Sammelsurium an Sitzmöbeln zahlreiche Graffities in Kinderschrift erkennen lässt: "Nimm Platz, es geht gleich los!" steht zum Beispiel an der Wand überm Sofa. Ich gehorche. Wie laut das hier ist! Kein Wunder, aus einem Fernseher mit riesigen Zusatzlautsprechern flimmert MTV - und bringt gerade einen Videoklassiker: Where The Wild Roses Grow, das legendäre Duett Kylie Minogues mit Nick Cave von dessen 1995er Album Murder Ballads. Wenn das mal kein Omen ist.

"Mit der Dauerwellenmafia haben Sie aber nix zu tun", sage ich bestimmt, als ich ins Hinterzimmer gebeten werde. Kein Waschbecken. Über den Spiegel hat jemand "Schnipp - Schnapp" gesprüht. In meinem Kopf kreist der Song Barbie World, obwohl das schwarz gekleidete Mädchen vor mir erfreuliche Ähnlichkeit mit den Konturen einer Frau hat und sofort kapiert, was ich meine. "Nee", lächelt sie, während sie mich auf einen pinkfarbenen Kinderstuhl dirigiert, "da riecht´s auch immer so, wie dann die Frisuren aussehen!" Meine Füße landen unter einem weißen Tritt. Sieht aus wie eine umgestülpte Backform aus dem benachbarten Sandkasten. Misstrauisch blicke ich in einen lila gerahmten Spiegel. Drei von der Sorte hängen nebeneinander, dazwischen stehen quietschgelbe Spielzeugkisten mit verdächtig wenig einschlägigem Werkzeug darin. Alles hier drin ist aus Plastik. Keine Frage: Ich bin in einem Kinderzimmer gelandet, einem zu PVC geronnenen Jungmädchentraum.

Zehn Minuten später weiß ich, dass es in Berlin fünf "No Names" gibt, in denen elf junge Frauen schnippeln und schnappeln, dass diese Dependance erst vor sechs Monaten eröffnet wurde und der Laden "brummt". Das Schönste aber ist: Ich bin sicher, dass ich mich heute Abend in meiner Stammkneipe ungeniert der anwesenden Herrenwelt präsentieren kann.

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