Da haben wir die Bescherung: Die Dinger sind noch drin und geschwollen wie gehabt. Das kommt davon, wenn man als medizinischer Laie nicht ganz genau hinhört. In der OP-Vorbereitung fragte "Leo, der Leger", wie er sich vorstellte, noch: "Bei Ihnen sollen also die Gaumenmandeln raus?" Ich nickte: "Ja endlich, nach über dreißig Jahren und ständiger Angina ..." - "Dann wollen wir uns mal beeilen, dass wir Sie auf die Pritsche bekommen." Danach ging alles sehr schnell; Leo, ein Russe vom Typus Nikita Chruschtschow, meinte noch, er hoffe mich bald wiederzusehen. Ich konnte nur erwidern, mir wäre wichtiger, dass ich ihn wiedersähe. Ein hübscher Narkosearzt mit meerblauen Augen vereitelte, dass ich mir über den nicht unwesentlichen Unterschied zwischen Gaume
umen- und Rachenmandeln noch ernsthafte Gedanken machen konnte.Heute nun schockierte mich Schwester Monika auf zaghafte Nachfrage hin mit der Auskunft, wir hätten "jede Menge Mandeln" und bei mir seien wohl die Gaumenmandeln das Problem gewesen. Gewiss wäre mir die Kinnlade runtergeklappt, aber das ist derzeit äußerst schmerzhaft."In den nächsten Tagen werden Sie unter Schluckbeschwerden leiden!", belehrt ein Infoblatt des Stationsteams zum "Verhalten nach einer Mandeloperation" und droht mit Nachblutungen für den Fall des eigenmächtigen Abweichens von der "speziellen Kostform". Es hat auch trotz der "speziellen Kostform" heftig nachgeblutet, sonst wäre ich längst hier raus. "Milchsuppe glatt" kann ich nicht mehr sehen, und unerträglich ist mir das Aroma frischen Salbei- und Kamillentees, von dem ich drei Liter am Tag zu mir nehmen soll. Als kulinarische Höhepunkte erweisen sich somit "Novaminsulfon" und "Ampho-Moronal". Das eine ist ein im Vier-Stunden-Takt verabreichtes Schmerzmittel, das andere eine Art orangefarbener Schleim, der mit einer Pipette in den Mund gespritzt wird. Er schmeckt widerlich süß und wurde vom Stationsarzt "wegen der kleinen Pilzbrut" verordnet, die ungebeten die frischen Wunden in meinem Rachen besiedelt hat. In dieser Situation macht es besondere Freude, in seiner Krankenhauslektüre einer Gesellschaft der Fürstin Twerskaja beizuwohnen, auf der - neben Anna Karenina - auch "ein vor Gesundheit strotzender junger Mann" zugegen ist, "den alle Waska nannten. Man sah es ihm an, dass der Genuss von blutigem Rumpsteak, Trüffeln und Burgunder ihm gut bekam." Solch ein Menü würde mir jetzt auch sehr gut bekommen, auf die Trüffeln würde ich sogar generös verzichten. Doch hier wird´s wohl kaum etwas mit dem Rumpsteak werden, und wenn doch, dann ungewürzt und durch den Wolf gedreht.Seit zwei Wochen befinde ich mich auf Station 12 A, Zimmer 13. Im Bett rechts liegt einer, der sich 1937 freiwillig zur Kriegsmarine gemeldet hat. Jeder neuen Pflegekraft erzählt er, man habe selbst auf der Kadettenanstalt nicht bemerkt, dass er drei Nieren hat. Eine Schwester meinte, er könne die dritte ja spenden. Nun nennt er sie nur noch "das Aas". Dafür vernahm er vorgestern mit leuchtenden Augen, der junge Stationsarzt sei drei Jahre lang Arzt auf einem in Kiel stationierten Zerstörer gewesen. Seitdem nimmt er bei der Visite jedesmal Haltung an und macht seine "Koje" auf Kante. "Wir werden uns schon vertragen", begrüßte er mich aufatmend, als ich aus dem OP in dieses Zimmer geschoben wurde. "Hauptsache, nich noch ´n Ausländer!" Das Bett links gehörte da noch Miroslaw, einem glücklich von Polypen befreiten Polen, der nicht sprechen durfte und ersatzweise freundlich lächelte. Täglich um 19 Uhr kamen drei junge Frauen, und zwar stets andere, und redeten - natürlich auf Polnisch - eine Stunde lang auf ihn ein. Der alte Kamerad verließ dann stets "Pollacken" zischend den Raum.Nach Miroslaws Entlassung kippte die Zimmeratmosphäre ins andere Extrem: Die Frohnatur in seinem Bett redet nicht, sondern brüllt. Und zwar bayerisch. Der Mann hat einen Hörsturz erlitten, der zumindest ihn ruhig schlafen lässt - er hört sein Schnarchen nicht. "Ich lebe alleine", hat er dem Arzt ins Ohr geschrieen, "da ist es immer so langweilig." Seine Frau habe sich vor ein paar Jahren erhängt, was er bis heute nicht verstehen könne. Ihre Ehe sei so harmonisch gewesen. Ich kann die Frau auch nicht verstehen; so laut, wie der schmatzt, hätte ich versuchsweise erst mal ihn umgebracht. Seine häufigsten Äußerungen, falls er mal nicht schnarcht oder schmatzt, lauten "Alles klar!", "Okay!", "Jetzt sofort?" und "Wann gibt´s Essen?"Apropos: Die Portionen, die der Hausdrachen des Alten mitbringt, sind von Tag zu Tag größer geworden. Inzwischen dauert es eine Stunde, bis er den Teller leer hat. Zuerst habe ich nicht verstanden, warum sie ihn damit quält. Bis sie letzten Sonntag, als mein Freund sich vom Bettrand zum Gehen erhob, meinte, er solle die Katzenkotze mit Essigwasser aus dem Polster reiben. Für den Lauschangriff haben wir uns bei ihrem Mann revanchiert. Die Postkarte auf meinem Nachttisch zeigt ein U-Boot, davor zwei sich leidenschaftlich küssende Seeleute: "Wenn sich zwei Matrosen lieben, wird das Boot nicht abgetrieben." Zugegeben, ein doofer Spruch, aber seitdem verschont mich der Alte mit seinen Atlantikabenteuern.