Die "Talk in Berlin"-Redaktion dürfte nicht schlecht gestaunt haben. Kaum hatte n-tv die sonntägliche Live-Show zur Homo-Ehe samt Gästeliste annonciert, summte das Fax: Volker Beck (MdB/Grüne) und der Offizier Winfried Stecher seien "zwei Mitglieder des mit allen Mitteln (einschließlich undemokratischen) die Homo-Ehe verfechtenden Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland/LSVD", und der Rosenstolz-Musiker Peter Plate habe ein Hochzeitslied eingespielt, "das ein Schlag ins Gesicht aller (Homo-) Ehe-GegnerInnen war", so Brandenburgs Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule Belange. Ferner sei Otto Schily geladen, der "das Bleiberecht hier leben wollender Menschen, darunter auch homosexueller, verhindert". "Der bundesweit winzige LSVD, der im Land Brandenburg überhaupt nicht präsent ist", maße sich die Alleinvertretung in der Homopolitik an - das sei "politisches Kidnapping".
Die Besetzung suggeriere, "die Forderung nach Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe sei innerhalb der Lesben- und Schwulenbewegung Konsens", kritisierte die Gießener Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS). Dabei hätten sich zahlreiche Gruppen davon "wegen der sich in ihr bildenden Abhängigkeitsverhältnisse" distanziert und forderten "wirkliche Gleichstellung aller Lebensformen, indem an die Art des Zusammenlebens keinerlei rechtliche Folgen mehr geknüpft werden".
Der Schwul-lesbische Informations- und Presseservice (SCHLIPS) schrieb über den Funktionär Beck: "Da er, seine Partei und sein LSVD" in der Szene "keine Mehrheit für das Projekt finden, berufen sie sich auf eine heterosexuelle Öffentlichkeit, die in Umfragen mehrheitlich für die Eingetragene Partnerschaft", aber bei genauer Nachfrage dennoch homophob sei. "Als mit dem Polit-Marketing vertraute Journalisten dürften Sie ebenso wie wir solche Propaganda-Tricks nur zu gut kennen", mahnte das Medienprojekt journalistische Sorgfalt bei der Redaktion Erich Böhmes an. Einen "äußerst begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit abzubilden, indem Lesben und Schwule in ihrer politischen Vielfalt und damit als Subjekte ignoriert und quasi zu einer einheitlich grauen, allenfalls zum CSD schrillbunten Masse herabgestuft werden", empfände "eine wachsende Zahl als paternalistisch und letztlich feindlich".
Ob n-tv bekannt sei, "dass homosexuelle Menschen durchaus weiblichen Geschlechts sein können", fragte die größte BRD-Lesbenvertretung, nachdem keine Frau in die Runde geladen wurde: "Lesben diskutieren das Thema Homo-Ehe intensiv, haben als Frauen auch eine ganz spezielle Kritik an der patriarchalen Institution Ehe. Im Lesbenring sind zirka 3.500 Lesben organisiert - sicher keine ÂEhe-FansÂ." Das wissenschaftlich-humanitäre Komitee (whk), Wiedergründung der weltweit ersten Homo-Organisation, berichtete, Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin habe Vereine mit progressiven Konzepten, zu Geheimtreffen mit dem "gerade einmal 0,0005 Prozent aller bundesdeutschen Homosexuellen" vertretenden LSVD "aus organisatorischen Gründen" ausgeladen. "Für Verhandlungen in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen" - immerhin kehrt mit dem Sondergesetz sechs Jahre nach Streichung des § 175 aus dem Strafgesetzbuch das Kriterium Homosexualität ins Rechtssystem zurück - "gibt es in den Beratungszimmern des Bundesjustizministeriums also offenbar nicht genug Stühle".
Sämtliche Eingaben waren zugleich Recherchehilfe: Das Duisburger Radiomagazin Pink Channel wies n-tv auf das eine Dekade lang von den Massenmedien ignorierte Konzept frei delegierbarer Angehörigenrechte hin, der Lesbenring auf die "Kölner Erklärung" ( www.konsumschwuchtel.de), das whk auf die Anti-Ehe-Kampagnen ( www.neinwort.de) und "Schlampagne", SCHLIPS auf die Berliner CSD-Forderung "Wahlverwandtschaften statt Homo-Ehe" sowie den Szene-Bestseller "Unser Stück vom Kuchen. Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe". Und der erste offene Schwule im Bundestag, der Frankfurter Grüne Herbert Rusche, bot n-tv gar Beratung an, "wenn es um die Planung von Sendungen aus diesem Themenkreis geht".
Letztlich besetzte Böhmes Redaktion das Podium neu. Statt Soldat und Minister kamen von rechts Wolfgang Zeitlmann (CSU) und Rita Waschbüsch (ZK der Katholiken), von links Christina Schenk (MdB/PDS), die mit ihrem Gesetzentwurf zu "Wahlverwandtschaften" Volker Beck an Popularität in der Szene weit überholt hat. Ob solche Proteste die Koalition beeindrucken werden, die nur nicht weniger bezeugen als Wut über Zwangsbeglückung und drohende staatliche Erfassung? Derzeit formiert sich der lesbisch-schwule Widerstand gegen Rot-Grün. Die warmen Brüder und Schwestern planen den heißen Herbst.
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