Verlängerte Ehehölle

Ausländer Die Bundesregierung will Zwangsehen schärfer ahnden. Doch warum sie gleichzeitig das Aufenthaltsrecht ausländischer Ehepartner beschränkt, kann sie nicht begründen

Scharfe Worte fand die Vertreterin der Linksfraktion. „Unlogisch, unmenschlich, skandalös!“, so bezeichnete Severim Dagdelen am Donnerstag den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Aufenthalts- und Asylrecht, das dem besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat dienen soll. Am Nachmittag fand dazu im Bundestag die erste Lesung statt. Im Vorfeld der Debatte protestierten Terre des Femmes und andere Frauen- und Menschenrechtsorganisationen vor dem Reichstagsgebäude gegen den Entwurf.

Der Grund der Empörung erschließt sich nicht auf den ersten Blick. CDU/CSU und FDP-Fraktion bringen ein zunächst einmal fortschrittliches und auf die aktuelle Integrationsdebatte bezogenes Gesetz auf den Weg. Zum einen geht es in dem Entwurf darum, den Tatbestand der Zwangsheirat als eigene Straftat zu behandeln (bisher fiel er unter schwere Nötigung), und außerdem räumt er ein zehnjähriges Wiederkehrrecht für zwangsverheiratete Opfer ein, die sich vor der Ehe in Deutschland aufhielten und durch die Eheschließung von der Rückkehr abgehalten werden. Zum anderen soll allerdings die Ehebestandszeit einer binationalen Ehe zwischen deutschem und nicht-deutschem Partner von bisher zwei auf drei Jahre erhöht werden. Folglich bedeute dies, dass der ausländische Partner erst nach drei Ehejahren eine eigene Aufenthaltsgenehmigung bekäme.

In der Begründung der Bundesregierung heißt es dazu, dass der Anreiz für Scheinehen verringert und die Wahrscheinlichkeit, eine solche vor der Aufenthaltsgenehmigung aufzudecken, erhöht werden soll. Dagegen aber richtet sich der Protest der Opposition sowie Terre des Femmes. Sie unterstellen der Bundesregierung erstens, das Zuwanderungsrecht erschweren zu wollen, und zweitens die "Ehehölle" einer vermeintlich zwangsverheirateten Frau in einer "Gewaltbeziehung" als Kollateralschaden dafür hinzunehmen. Dieser Vorwurf scheint nicht unbegründet, denn tatsächlich begibt sich der Partner in dem Moment der Eheschließung zum Zwecke der Aufenthaltserlangung in die völlige Abhängigkeit des deutschen Partners. Aus Angst, Verzweiflung oder schlichtem Unwissen über die rechtlichen Möglichkeiten, sitzen insbesondere betroffene Frauen die Ehe sozusagen aus. Möglicherweise wissen sie nicht, oder es scheint ihnen nicht realistisch, dass eine bereits existente Härtefallklausel es den Opfern ermöglicht, sich frühzeitig scheiden zu lassen und trotzdem ihre deutsche Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.

Doch stellt sich die Frage, womit die Bundesregierung die Erhöhung von zwei auf drei Jahre überhaupt begründet. Unterstellt wird, dass die Zahl der Scheinehen, die zu überprüfen eben ein Jahr länger benötigen würde, seit 2000 zugenommen habe. Tatsächlich ist die Debatte nicht neu, noch in den neunziger Jahren mussten deutsch/nicht-deutsche Paare vier Jahre zusammen bleiben, um den Aufenthaltstitel des ausländischen Partners zu erlangen. 2000 wurde diese Regelung von Rot-Grün auf zwei Jahre gesenkt. Zu diesem Zeitpunkt traf der Verdacht der Scheinehe auf über 5.000 Personen zu, doch diese Zahl ist im Jahre 2009 auf 1.700 gesunken, hat das Innenministerium selbst ermittelt.

Irritation und Empörung löste der Innen-Staatssekretär Ole Schröder (CDU) am Donnerstag schon in seiner Einleitungsrede aus, als er dieser von seinem eigenen Haus erhobenen Zahl widersprach und auf einen "erheblichen Umfang" und eine Dunkelziffer von Scheinehen verwies. Auch auf mehrmalige Nachfragen der Opposition konnte er diese Äußerung nicht belegen. Er bezeichnete den Entwurf als „Politik des Förderns und Forderns“ und wies darauf hin, es würde Integrationsverweigerern und Integrationsunwilligen Sanktionen auferlegen, die dringend nötig wären. Daraufhin bezeichnete Rüdiger Veit (SPD) den Vorstoß als „unnützes und unsittliches Ansinnen“. Der Grünenpolitiker Memet Kilic sprach sogar von einem „Armutszeugnis“, das sich auf eine "schwachsinnige Begründung" stütze. Die Linke Dagdelen bezeichnete den Entwurf als „frauenfeindlich“. Außerdem verstoße er gegen den EU-Ratsbeschluss des Verschlechterungsverbotes, das Einwanderung nicht erschweren darf, und somit gegen geltendes EU-Recht.

Die Ausschüsse des Bundesrates gaben Terre des Femmes und der Opposition in einer ersten Empfehlung Anfang Dezember 2010 recht. Sie stellten fest, dass allein durch die Verlängerung der Ehebestandszeit Scheinehen nicht wirksam bekämpft werden könnten, und das eine Jahr länger auch nicht zu einer höheren Aufklärungsrate führe. Darüber hinaus könne ein durch eine Scheinehe erworbener Aufenthaltstitel bei eindeutiger Beweislage auch über die Zweijahresfrist hinaus aberkannt werden. In einer zweiten Stellungnahme am 17. Dezember 2010 ging der Bundesrat sogar noch weiter und bezweifelte, dass die Verlängerung zu dem angestrebten besseren Opferschutz von Zwangsverheiraten überhaupt beitrage. Ob der Bundesrat angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnise das Gesetz am Ende absegnen wird, steht dahin.

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