Dämliche T-Shirts

14. Doclisboa Festivals sind Konzerthallen für Filme, die durch die Welt touren. Eindrücke vom Halt in Lissabon
Ausgabe 44/2016

Festivalfilme sind Reisende, und Kritiker, die von Festivals berichten, sind es meist auch. Man begegnet sich hier, man begegnet sich da. Auf A-Festivals wie Berlin, Cannes, Locarno, Venedig starten in der Regel die Reisen jener Filme, von denen man hört, selbst wenn sie keinen regulären Start in den Kinos erhalten. Kleinere Festivals sind für die großen Filme nicht-obligatorische Passagepunkte, die Regisseurin, der Regisseur reist oft nicht mit. Man trifft da aber auch auf Filme, von denen man, mal zu Recht, mal zu Unrecht, nie wieder hört.

Austerlitz, der jüngste Dokumentarfilm des in Deutschland lebenden ukrainischen Weltregisseurs Sergej Loznitsa, hat seine Reise mit der Premiere in Venedig begonnen (siehe Freitag 36/16). Da war ich, aber zu kurz, und habe den Film darum verpasst. Er war in Toronto (Freitag 38/16), da war ich nicht. Aber in Lissabon haben wir uns nun getroffen, beim auf Dokumentarfilme spezialisierten B-Festival Doclisboa. Es ist das einzige Festival seiner Art in Portugal, 2002 gegründet, die Logos der unterstützenden Firmen passen kaum in den Vorspann des Trailers, 25.000 Zuschauer waren im letzten Jahr da und das Lissabonner Tourismusbüro lädt ausländische Kritiker großzügig ein. Ich sage danke.

Austerlitz ist ein Film über Tourismus, aber eigener Art. Loznitsa hat seine Kamera in den KZ-Gedenkstätten in Dachau und Sachsenhausen aufgestellt und beobachtet in langen, starren Einstellungen, wie sich die Besucher verhalten. Viel mehr tut er nicht. Schwarz-weiß sind die Bilder. Was man hört, reicht von indistinktem Gruppengemurmel zu klar vernehmbaren Stimmen der Guides. Was sie erklären, nimmt gelegentlich wunder. Einer teilt mit viel Emphase mit, dass es nichts Schlimmeres gibt als die Hoffnung: Sie macht die Menschen gefügig. Im KZ haben nur die revoltiert, die keine Hoffnung mehr hatten.

Vor allem aber geht es Austerlitz (der Titel bezieht sich auf W. G. Sebalds Holocaust-Buch) um das Verhalten der Touristen am Ort des Menschheitsverbrechens. Sie bummeln herum, sie machen Selfies und andere Fotos, manche davon ganz schön geschmacklos, eine Frau lümmelt am Eingangsgitter des Gaskammerbaus, ihr Freund fotografiert sie dabei. Keine Rede kann sein von Ehrfurcht vor dem, was geschah. Die Besucher sind eher gelangweilt, albern herum, tragen dämliche T-Shirts. Von verstehendem Eingedenken dessen, was hier geschah, spürt man nichts. All das zeugt von abgrundtiefer Distanz zu dem, was passiert ist. Die Besucher glauben, sich alle Freiheiten nehmen zu dürfen. Und ja, das ist in der Tat eine Form von Freiheit, bei aller Ambivalenz.

Der portugiesische Regisseur André Gil Mata wiederum ist nach Sarajewo gereist. Er hat dort Sena gefunden, eine alte Frau, die in einem Kino mit einem alten 35-mm-Projektor Tag für Tag dieselbe Auwahl alter jugoslawischer Filme zur Aufführung bringt. How I Fell in Love with Eva Ras ist eine sehr karg geratene Liebeserklärung ans Kino als vergangene Kunst. Der Film verlässt den Projektionsraum, in dem Sena mehr oder weniger auch zu leben scheint, kein einziges Mal – oder nur, um quasi-installativ Ausschnitte aus den Filmen zu zeigen. Sie sind ausnahmslos toll, voller Überschwang und Liebesbegehren und einer feiert Sozialismus und Sex. Scharf der Kontrast zu Senas Leben, ein Kontrast, auf den es Mata anlegt, gerade indem er die Szenen der Filme als eine Art imaginäre Biografie seiner Protagonistin präsentiert.

Am Sonntag ging Doclisboa zu Ende, am Montag hat DOK Leipzig (in voller Länge: das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm) begonnen, das viel traditionsreichere deutsche Pendant (siehe dann Freitag 45/2016). Austerlitz ist weitergereist und hat dort seine deutsche Premiere erlebt. How I Fell in Love with Eva Ras reist nicht mit.

Ich fliege zurück nach Berlin und werde so bald wie möglich die Gedenkstätte Sachsenhausen besuchen. So ganz traue ich dem Bild, das Loznitsas Film mir davon macht, nämlich nicht.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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