Ein trauriger Fall

Adaption Florian Hoffmeister bringt den Roman „Die Habenichtse“ auf die Leinwand
Ausgabe 48/2016

Bücher und ihre Verfilmungen, das ist ein schwieriges, oft ein unglückliches Verhältnis. Das Buch als Versprechen, das der Film dann nicht hält. Oder umgekehrt: der Film als eigenes Ding, das sich über seine Abkunft erhebt. In den glücklicheren Fällen: ein schöner Dialog, der Film hat dem Buch etwas zu sagen, das es über sich noch nicht wusste. Oder etwas entspricht sich, sei es untergründig, das eine Medium wird durch das andere Medium in Schwingung versetzt. Oder der Film findet Bilder, die das Buch nicht gesucht hat, die aber die richtigen sind.

Langer Anlauf für ein leider wenig erhebendes Beispiel. Florian Hoffmeister hat sich an ein Buch gewagt, das vor zehn Jahren einiges Aufsehen erregt hat, den Deutschen Buchpreis erhielt, viel wollte, viel konnte, eine Stimmung und Atmosphäre weniger auf den Punkt brachte, als in viele Richtungen zerstreute und gerade in dieser Zerstreuung eine Zeit so einfing, das sie und sich viele wiedererkannten. Katharina Hackers Die Habenichtse ist eine Liebesgeschichte, eingebettet in ein an Personen reiches Tableau, ein Berlin-Roman, ein London-Roman, ein Von-Berlin-nach-London-Roman, und vor allem ein 9/11-Roman.

Der Terroranschlag in New York, das ist der Donnerschlag, der in das Leben der Figuren fährt, in ihre ein bisschen ehrgeizigen und zugleich ziellosen, ihre etwas leeren, mit kleinen Sehnsüchten und mittlerem Begehren und halbgroßen Hoffnungen und wenig wirklicher Not geführten Existenzen. Oder weniger ein Donner, das ist das Schöne im Buch, eher etwas wie ein heftiges Zittern, das alle Membranen im Innern der Menschen und die zwischen ihnen berührt, ein Zittern und Fortzittern, das Katharina Hacker in viel erlebter Rede und sich liebevoll in Details verlierenden Beobachtungen und subtilen Perspektivwechseln seismografisch notiert.

Im Film nun: nichts mit Seismografie. Was schon an einer fatalen Grundentscheidung liegt: Der Film ist schwarzweiß, es fehlt ihm just jene Fülle der Farben, die Hacker in ihrer geschmeidigen Sprache evoziert, so wenig heiter und bunt das Buch letzten Endes auch sein mag. Denn selbst wenn es Unglück diagnostiziert, ist es ein vielfältiges, vielfarbiges, in Mikronotaten festgehaltenes Unglück. Und es stehen Beschreibungen darin wie die von Isabelles Stimme, „kindlich hell und ohne Tiefe, unerwartet in ihren Verzögerungen, Abbrüchen, eine Stimme, die dahinglitt wie ein kleines Schiffchen aus Zeitungspapier, das plötzlich versank, oder davonstürmte wie der hüpfend aufleuchtende Schulranzen auf dem Rücken eines rennenden Kindes“. Ja, klar, versteht sich von selbst, das ist des Guten zu viel, aber, und das versteht sich nicht von selbst, manchmal ist des Guten zu viel das richtige Maß. Und das ist es immer wieder in Hackers Roman.

Das Drehbuch von Mona Kino und die Regie von Hoffmeister, der für andere Regisseure ein exzellenter Kameramann ist, schneiden von den Verästelungen fast alles weg, in die das Buch sich verliert, und zwar bei vollem Bewusstsein verliert. Nun steht alles nackt da. Die Figuren sind all ihrer schönen Uneindeutigkeiten und Nachbilder und Nebenerwägungen entkleidet.

Isabelle und Jakob, das zentrale traurige Paar: von allen guten Gründen für das eigene Unglück verlassen. Es bleibt nur 9/11 als großer Donner, das Drehbuch schiebt dafür sogar zwei Figuren zusammen, lässt Jakobs besten Freund in New York sterben – aber so monokausal wird alles, was bei Hacker noch stimmte, verkehrt. Als Reste, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, verlieren sich Jim und Sara und Ginka und Andras in einer Geschichte, als wäre sie gar nicht die ihre. Man erkennt sie nach der Lektüre des Buchs nicht wieder. Ja, ich bin sicher: Wenn das Buch ein Mensch wäre, würde es den Film, wenn er ein Mensch wäre, nicht mögen. Ein ziemlich trauriger Fall.

Info

Die Habenichtse Florian Hoffmeister D/GB 2016, 100 Minuten

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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