Eltern als Hasen

Doku Regisseur Peter Liechti erkundet in „Vaters Garten“ die Arrangements der Ehe
Ausgabe 47/2013

Die Mutter wäre gerne gereist in ihrem Leben. Dem Vater genügte sein Garten, den er noch heute aufs Pedantischste pflegt. Ihr Leben wurde von ihm bestimmt. So sind sie beide in St. Gallen geblieben. Immerhin war Gott auch vor Ort. Ihm zu Ehren singt man im Freundeskreis Lieder.

Der Sohn, Peter Liechti, ging hinaus in die Welt. Er hat gegen den Vater und dessen konservatives Welt rebelliert, Kunst studiert, gemalt, geschrieben, Filme gemacht; er hat in Afrika gedreht, ist zu Fuß dreimal von St. Gallen nach Zürich und an den Bodensee gewandert, um sich als Hans im Glück das Rauchen abzugewöhnen. Er hat sich in der Welt einen Namen gemacht und 2010 den Großen Kulturpreis von St. Gallen erhalten.

Jetzt ist er, auch schon 60, mit der Kamera zurückgekehrt zu den Eltern. Er filmt sie im Lauf eines Jahres, er befragt sie, beobachtet sie in ihrem Alltag. Sie sitzen zuhause auf der Couch, beide weit über 80, aber rüstig, Fremde für den Sohn, so sehr sie vertraut sind. Sie erzählen dem Dokumentarfilmer, sie adressieren den Sohn.

Doppelte Verhältnisse werden erkundet: das Leben der Eltern und der Blick des Sohnes darauf. Vieles war hart, manches ist unerträglich, sie haben sich arrangiert – und verstehen das Sich-arrangieren-Können als Tugend. Aber es gibt, implizit jedenfalls, auch den Blick des Sohns auf sich selbst, der etwas an sich, das ihm wohl lieber fremd wäre, in den Eltern wiedererkennt. Dieses Leben konnte nie seines sein, aber hier kommt er her. Ablehnung und Akzeptanz.

Die Musik emotionalisiert nicht, sondern objektiviert. Ein gelungener Kunstgriff schärft den Blick durch Distanz: In hochdeutschen Originaldialogen werden Konflikte im Puppenspiel nachinszeniert. Die Eltern als Hasen. Die Wahrheit aus verfremdeten Mündern. Das Schöne ist, dass es dem Sohn nicht darum geht, mit sich im Reinen zu sein. Dem Film selbst wird darum heiß und kalt. Nur den, der keine Eltern hat, geht Vaters Garten nichts an.

Vaters Garten
Peter Liechti 93 Minuten

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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