Lob der souveränen Kopie

Sauber Thomas Knauf ist orginell, aber wirr. Dann lieber Chandler imitieren wie Jakob Arjouni

Es klingt nach einer guten Nachricht: Kayankaya ist zurück – und es ist auch eine, wie die Lektüre von Bruder Kemal erweist. Man weiß ja nie bei Serienfiguren, ob man sie nach Ende eines Romans wiedersieht. Der Reiz der Serie ist das „Fortsetzung folgt“, aber je origineller der Autor, desto größer stets die Gefahr, dass er sich einen Helden, für den er sich nicht mehr interessiert, am einen oder anderen Wasserfall vom Hals zu schaffen versucht. Bei Kayankaya bestand Grund zur Sorge. Elf Jahre lang hatte man nichts mehr gehört von der Figur, die ihren Autor Jakob Arjouni vor fast 30 Jahren berühmt gemacht hat.

Mit Happy Birthday, Türke hatte Arjouni als sehr junger Mann und ziemlich dreister Chandler-Epigone mit Kemal Kayankaya einen deutsch-türkischen Philip Marlowe erfunden. Er kam damit durch, und zwar mit Glanz und Gloria, weil erstens die deutsche Kriminalliteratur nicht gerade im Überfluss Helden dieses Kalibers besaß. (Nicht dass sie sie heute besäße.) Zweitens war von Anfang an klar, dass Arjouni, so eindeutig er hier von Los Angeles nach Frankfurt rüberkopierte, ein hinreißend begabter Nachahmer war. Was drittens erst mal völlig okay ist, weil die Kriminalliteratur – jedenfalls da, wo sie ohne alle Skrupel die Muster des Genres bedient und nicht in emphatischerem Sinn Literatur zu sein strebt – von der Adaption, Variation, Verschiebung von Vorbildmodellen sehr viel eher lebt als von der Neuerfindung des Rads. Und natürlich vom handwerklichen Können, das bei Arjouni mit seiner schnoddrigen Sprache und vor allem den witzigen Dialogen von Beginn an stupend war.

So wenig er damit aus dem Rahmen der Hardboiled-Romane angelsächsischer Prägung fiel, so sehr etwa in Frankreich Autoren wie Jean-Patrick Manchette mit dem „Néo-Polar“ längst viel avanciertere und umwerfendere Dinge angestellt hatten – man musste doch konstatieren, dass das vergleichsweise konventionelle Chandler-Imitat, das Arjouni da fabrizierte, im Kontext dünnblütiger deutscher Literatenliteratur der achtziger Jahre ziemlich reinknallte.

Ein Deutsch-Türke ermittelt

Mit Kayankaya bekam Frankfurt einen private eye klassischer Schule mit sehr typischen Kennzeichen: Erzählt wird in der ersten Person von einem Helden mit sehr losem Mundwerk, gerade im Umgang mit den erwartbar atemberaubenden, fatalen oder zu errettenden Frauen; dazu kommen der scheinbar abgeklärte, in Wahrheit eher romantische Blick auf die Welt, entschlossenes Ermittlungshandeln ohne Rücksicht auf Verluste, außerdem die Bereitschaft zur eigenwilligen Auslegung von Recht und Gesetz.

Der Schauplatz und der türkisch-migrantische Hintergrund des Protagonisten sind die zentralen Stellschrauben der Variation. Frankfurt gibt durchaus einiges her, als Stadt, in der global agierende Hochfinanz, Äppelwoi-Provinzialität und klein- bis mittelkriminelles Milieu auf engem Raum weniger inter- als nebeneinander agieren. Kayankaya war als frecher Spiegel einer deutschen Gesellschaft, die in ihm den Fremden sehen will, der er nicht ist, vom ersten Satz an ein überzeugender Wurf.

Zuletzt war Kommissar Kayankaya in Kismet in heftige Bandenkriege geraten. Sein Büro hatte das nicht überlebt. Dreizehn Erzählte-Zeit-Jahre später hat er längst ein neues Büro; es liegt standesgemäß im schmutzigen Bahnhofsviertel. Privat aber ist der Kommissar inzwischen im sehr viel nobleren Westend arriviert. Er lebt mit Deborah – eigentlich Helga –, einst Hure, jetzt Wirtin mit Herz und Verstand, und sieht sich mit ihrem Kinderwunsch konfrontiert.

Großbürgertum und islamistisches Milieu

Der Loner verpartnert, der Detektiv als möglicher Vater, die späte Ankunft im bürgerlichen Leben, all das macht Kayankaya den Roman durch ziemlich zu schaffen.Kommt dazu, dass er den Auftrag bekommt, eine junge Frau aus den Fängen eines unguten Mannes zu retten, eine Frau, die seine Tochter sein könnte, aber die Tochter einer gebräunten und blondierten Künstlergattin und Möchtegern-Femme-fatale ist. Dies ist der eine Plotstrang, der um eine unerwartete Ecke das (dann doch nicht so) noble Großbürgertum mit dem islamistischen Milieu in Verbindung bringt.

Der andere Strang spielt in ganz anderem Kontext, nämlich mitten im deutschen Literaturbetrieb, überschreitet freiwillig die Grenze zu Karikatur und Satire und gerät dann mit der Islamismussache aus dem anderen Strang in so gewalttätigen wie komischen Kontakt.

Kayankaya soll einen nordafrikanischen, aber in Frankreich lebenden Autor während der Buchmesse als Bodyguard schützen. Die Helden von dessen jüngstem Roman sind schwule Muslime, nun ist angeblich der fundamentalistische Mob hinter ihm her. Der Verlag will Kayankaya eher als Maskottchen seines Migrationshintergrunds und muslimischen Glaubens wegen, wobei gerade von Letzterem nicht die Rede sein kann. Kayankaya durchschaut das natürlich, macht aber doch, Geld stinkt schließlich nicht, mit. Viel wird gedruckst, der Betrieb erscheint so verschmockt wie er, aber doch viel komischer, als er ist; unvergesslich vor allem das Porträt des selbstgefälligen Gloom-and-Doom-Intellektuellen Dr. Breitel, dessen Vorbild gut Frank Schirrmacher sein kann, wobei Breitel aber – anders als dieser – grundsätzlich in kurzen Hosen auftritt.

Die Lektüre macht Spaß, da schadet es wenig, dass die Konstruktion des Kriminalfalls als solche nicht unbedingt raffiniert ist. Kayankaya ist gut gealtert, Arjouni schreibt noch immer die besten Dialoge der deutschen Kriminalliteratur und die Literaturbetriebssatire ist ein Vergnügen. Wie stark Arjouni ist, merkt man auch daran, dass man keine Sekunde lang auf die Idee kommen kann, man hätte es hier mit dem schrecklichen Subgenre Regiokrimi zu tun.

Der Golem geht um

Das ist etwas, das man von Thomas Knaufs kriminalliterarischem Doppeldebüt so leider nicht sagen kann. Knauf ist längst ein gestandener Autor, von DEFA-Drehbüchern ebenso wie als Korrespondent des Freitag. Nun legt er als Genre-Spätzünder gleich zwei Romane um einen Privatdetektiv vor, Der Golem vom Prenzlauer Berg und Berliner Weiße mit Schuss, die der Verlag als „Prenzlauer Berg Krimis“ annonciert. Das sind sie denn auch, im Guten wie im Bösen – und sie sind es nicht weniger dadurch, dass Knauf zum Ausgleich für die Kiez-Beschränkung die Krimis mit heiklen Themen und deutsch-deutscher Geschichte belädt. Im einen Fall nämlich geht es um einen Rabbiner als Kinderschänder (mon dieu), im anderen wird mehr als 20 Jahre post festum ein letzter Mauertoter entdeckt.

Knauf hat durchaus Stärken: Seinen übergewichtigen 60-jährigen Privatdetektiv John Klein stellt er einem genauso überzeugend vor Augen wie den Prenzlauer Berg, der hier glücklichweise keineswegs auf seine Bionade-Biedermeier-Karikatur reduziert wird. Die Romane sind sehr viel mehr als die von Arjouni gesättigt mit politischen und sozialen Realien der Gegenwart, in die mehr schlecht als recht verdrängte Vergangenheit hineinragt.

Das ist ungehobelt und eigenwillig erzählt, allerdings geht die klare Linie im Gestrüpp der Motive, Figuren und willkürlich gewechselten Erzählperspektiven mehr als einmal verloren. Das ist im Ergebnis sicher weniger epigonal als Arjounis Entwurf, nur wird umso klarer, dass ein brillanter Nachahmer einem mitunter unsortierten Original durchaus überlegen sein kann.

Bruder Kemal. Kayankayas fünfter Fall Jakob Arjouni Diogenes 2012, 225 S., 19,90 €

Berliner Weiße mit Schuss: Ein Prenzlauer Berg Krimi Thomas Knauf be.bra 2012, 272 S., 9,95 €

Der Golem vom Prenzlauer Berg: Ein Prenzlauer Berg Krimi Thomas Knauf be.bra 2012, 272 S., 9,95€

Ekkehard Knörer ist Redakteur des Merkur. Lange schrieb er die Krimikolumne auf perlentaucher.de

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