Meisterwerk in S/W

Ausgezeichnet Pete Dexters elegant düsteres Buch „Paperboy“ wurde neu aufgelegt. Ein guter Grund, sich den Mann einmal genauer anzusehen
Ausgabe 21/2013

Der Autor ist vom Fach. Er hat lange Jahre im Zeitungsbusiness gearbeitet, Tageszeitung genauer gesagt, als Reporter und Kolumnist für die Philadelphia Daily News und The Sacramento Bee, nicht die Crème de la Crème in der Branche, um ehrlich zu sein. Zum Pulitzerpreis hat Pete Dexter es dabei, anders als die beiden Reporter in seinem Roman Paperboy, nie gebracht. Dafür hätte ihn eine Kolumne einmal beinahe das Leben gekostet. Ein Mann nahm die Berichterstattung über dessen Drogenkonsum sehr übel, Unbekannte prügelten Dexter in einer Bar fast zu Tode. Zu Brei gehauen wird auch einer der beiden Reporter in seinem Roman, aus allerdings anderen Gründen: Er will Sex mit einem Matrosen und das geht nicht gut aus im Florida der mittleren sechziger Jahre.

Der Pulitzer-Preis ist gut und schön, aber es liegt kein Segen darauf. Gewonnen haben ihn der ziemlich abgefuckte Yardley Acheman und sein etwas weltfremder, aber aufs investigative Detail versessener Partner Ward James für eine Revision, die sie in Gang bringen. Ein Mord ist geschehen, das Opfer ein Sheriff, um den es nicht weiter schade ist. Der Verurteilte im Knast, Mitglied einer über die Sümpfe verstreuten Gelichter-Dynastie namens van Wetter, ist vermutlich unschuldig. Das glaubt jedenfalls Charlotte Bless, blond, attraktiv, wenngleich über die besten Jahre ein wenig hinaus; sie hat die Eigenart, sich in im Gefängnis sitzende Männer zu verlieben. Ihre Briefe bringen die Nachforschungen der Reporter in Gang und so nimmt, was erst nach einem Glücksfall aussieht, als Unheil seinen Lauf.

Halb zivilisiert, halb barbarisch

Von Welten zu erzählen, in denen das Unheil herrscht, das ist Pete Dexters ganz besondere Spezialität. Er interessiert sich für die USA als gottverlassenen Ort. Sein wichtigstes Buch geht zu diesem Zweck historisch recht weit zurück, in die zweite Hälfte der siebziger Jahre, und zwar des 19. Jahrhunderts. Deadwood lautet der Titel, und wer an die gleichnamige Fernsehserie denkt, liebt halb richtig. Hier wie da geht es um den historischen Ort in South Dakota, an dem sich legendäre Figuren des Wilden Westens trafen, von Calamity Jane bis Wild Bill Hickock, ein Ort an der Grenze, Grenzort im emphatischen Sinn: Hier war die Zivilisation noch nicht bei sich, halb war noch Barbarei, halb entstand schon urbanes Zusammenleben, Kleinstädte mit riesigem Kneipenviertel, Bordellen, Theater und Sheriff.

Die Fernsehserie Deadwood bezieht sich mit keiner Silbe auf Dexters Buch, obwohl nicht nur die Behandlung bestimmter Figuren, sondern auch das ganze Szenario dem Roman vielfach ähneln. Dexter, der als Drehbuchautor mit Hollywood und Konsorten viel zu tun hat, nimmt ihrem Schöpfer David Milch dies Quasi-Plagiat bis heute sehr übel. Wie dem auch sei: Der Roman steht hinter der Serie in Qualität und Düsternis nicht zurück. Zwar treibt die Sprache der Dialoge nicht die – historisch sicher nicht korrekten – biblischen Blüten in endlosen Fluchexerzitien. Aber auch ohne exzessive Motherfucker-Etüden entwirft Dexter eine sehr harsche Welt. Sein Naturalismus hat Stilisierung nicht nötig. Es genügt, die Augen offen zu halten, der Drastik ihren Platz einzuräumen und sich generell die lakonische Sprache vom Bösen nicht verschlagen zu lassen. Komik ist oft genug der Effekt, eine Komik, die mit der Versöhnungstechnik Humor nichts zu tun hat. Weil man nicht immerzu schreien kann, muss man halt lachen.

So endet der Beischlaf ums Haar mit dem Tod der vom massigen Körper des Mannes erdrückten zierlichen Frau; ein abgeschlagener Kopf wird von einem Kopfgeldjäger im Beutel durch die Gegend getragen und am Ende von einem Fleischerhund zur Unkenntlichkeit entstellt; die Haut eines Chinesen wirft Blasen bei der Verbrennung im Ofen; ein Junge wird durch eine Vergewaltigung traumatisiert und spricht lange nicht mehr. Wild Bills Unterleib frisst die Syphilis auf, Calamity Jane liebt Bill auf ziemlich krankhafte Weise und wird dann fast zur Heiligen bei einer Pockenepidemie. Gerade diese Wendung, auch der zärtliche Blick, der auf einen gar nicht so blöden Schwachsinnigen fällt, aber auch dass es mit diesem dann ein alles andere als gutes Ende nimmt, darin steckt das Noir-Weltbild von Pete Dexter. Schwarz in schwarz malt er nicht, aber gut aus geht es selten. Es regiert das Schicksal als ungerührte, wenngleich oft böse ironische Kraft.

Dexters Paris Trout, ein anderes Beispiel. Titelheld des gleichnamigen Romans, der mit Dennis Hopper, Barbara Hershey und Ed Harris unter dem Titel Tollwütig verfilmt wurde. Das Buch spielt in Georgia, Beginn der fünfziger Jahre. Ein weißer Ladenbesitzer, selbstgerecht mit zunehmend diabolischen Dimensionen, schießt zwei schwarze Frauen umstandslos nieder. Ein Anwalt beginnt, zunächst ohne großen Enthusiasmus, die Strafverfolgung. Nach und nach entsteht ein Porträt der Kleinstadt Cotton Point und ihres höchst alltäglichen Rassismus. Das Recht ist hier eine sehr schwächliche Kraft. Eine Figur immerhin stellt Dexter trotzig dagegen: Paris Trouts misshandelte Frau, die das Böse in Schach hält und sich ihr Leben zurückzuerobern versteht.

Für Paris Trout erhielt Dexter 1988 den National Book Award, der ja mindestens so gut wie der Pulitzer ist, und es lag schon eher ein Segen darauf. Der Preis machte den Autor mindestens ein wenig berühmt. Freilich nicht in Deutschland. Die seit den Achtzigern entstandenen Romane erschienen in der zweiten Hälfte der Neunziger in wenig beachteten und nicht sonderlich erfolgreichen Taschenbuchausgaben. Danach galt Dexter wohl als verbrannt, ausgerechnet das Meisterwerk Deadwood blieb unübersetzt.

Teuflische Manipulation

Die Lage änderte sich erst durch das Engagement des kleinen, aber seit Jahren um die Neo-Noir-Tradition bemühten Liebeskind-Verlags. Hier kommen nach und nach Dexters Bücher wieder, beziehungsweise neu heraus, in Ausgaben, die der Qualität des Autors angemessen sind. Endlich gibt es Deadwood (2011), bleibt zu hoffen, dass der jüngste Roman Spooner ( 2008) auch bald in deutscher Übersetzung zu lesen sein wird.

Paperboy erscheint als Neuauflage aus dem Jahr 1996, ein schönes schwarzes Hardcoverbuch. Erstaunlich: Auf die letztes Jahr in Cannes gelaufene Verfilmung mit Nicole Kidman und Matthew McConaughey nimmt die Ausgabe mit keiner Silbe Bezug. Dabei ist Pete Dexter Koautor des Drehbuchs, nur Regisseur Lee Daniels schiebt das Ganze doch mit Schwung in Richtung Edeltrash und also recht weit weg vom trockenen Ton des Romans. Dieser profitiert nämlich sehr von Dexters Erfahrung als Reporter. Er schildert das alles andere als heroische Alltagsgeschäft des lokalen Klatschblatts „Moat County Tribune“ ebenso präzise wie die Story- und Pulitzergeilheit der Profis aus Miami. Der Lokalblattverleger Ward James ist so liberal, wie das eben geht; aber sehr weit geht es nicht, schon gar, wenn die Belange der ehrenwerten Bürger der Kleinstadt berührt sind. Sein älterer Sohn ist jetzt einer der Profis, aber mit dem Zynismus seines Partners rechnet er nicht. Der scheint zu denken: Wen kümmert die Wahrheit, wenn eine erfundene Zeugenaussage die Geschichte schön rund macht. Schlimmer als in Paperboy hat sich der Versuch, dem Recht mit unlauteren Mitteln auf die Sprünge zu helfen, aber selten gerächt. Sicher, auch Pete Dexter legt als Autor gern den Finger auf jene Seite der Waage, auf der das Böse schon liegt. Weil er als Erzähler so ein teuflisch guter Manipulator ist, sieht man aber nur zu gern zu, wenn er den Menschen die Haut lebendig vom Leib zieht.

Paperboy Pete Dexter Bernhard Robben (Übers.), Liebeskind 2013, 318 S., 19,80 €

Ekkehard Knörer fragte zuletzt, wie es deutsche AutorInnen mit der Politik halten

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