Alle Bilder dieses Spezials stammen aus der Fotoserie „Vele“ von Tobias Zielony*
Foto: Tobias Zielony
Liza Cody war ganz vorn dran: 1980 setzte sie ihre Detektivin Anna Lee in die Welt. Da war die Hard-boiled-Szenerie noch ganz von männlichen Privatdetektiven bestimmt, erst kurz danach erfanden in den USA Sara Paretsky V. I. Warshawski und Sue Grafton Kinsey Millhone. Paretsky und Grafton sind ihren Heldinnen bis heute treu, was sich ökonomisch rentiert, Grafton hat sich immer schön das Alphabet langgeschrieben, von A wie Alibi bis W wie Wasted, die Bestsellerlisten immer fest im Blick. Liza Cody dagegen hatte nach drei Romanen von ihrer Protagonistin genug, sieht man von Kurzauftritten in der darauffolgenden Trilogie ab. Deren Heldin hieß Eva Wylie, war Catcherin, lebte in einem Wohnwagen auf dem Schrottplatz, hatte einen Ton am Leib, dass einem angst und bange werden
ange werden konnte, und es war auf sie als Erzählerin überhaupt kein Verlass.Aber auch mit Wylie war dann wieder Schluss. Die Macht der Gewohnheit durfte nicht siegen, nicht das auf Dauer etwas billige Vergnügen des Wiedererkennens vertrauter Routinen und bekannter Marotten eines einmal für immer eingeführten Ermittlerpersonals mit einer Korona von Helfern und Freunden. So geht das gern zu im Genre, das tendenziell konservativ ist und dessen Leserinnen und Leser in der Regel die Wiederholung sehr schätzen.Nicht mit Liza Cody. In den Romanen nach Wylie gab es gar keine Serienfigur mehr, alles Bücher, die man im Genre dann stand-alones nennt: Es geht jedes Mal wieder von vorn los in einer eigens geschaffenen Welt, mit sehr eigenwilligen Personen, Icherzähler-Heldinnen immer, die aber in keinem konventionellen Sinn Heldinnen sind. Auf die Bestsellerlisten hat das gewiss nicht geführt, ihre jüngsten Romane, in ungewohnt rascher Folge erschienen, veröffentlichte Cody im Original bei einem britischen Self-Publisher. Zwei davon sind noch nicht übersetzt, der allerneueste dank der unermüdlichen Else Laudan vom Argument-Verlag zum Glück aber doch.Das Buch nennt seine Protagonistin im Titel Lady Bag – und verdreht dabei selbstbewusst und ironisch ihren Status. Eine bag lady ist sie, eine Obdachlose also, die ihre Habe in Tüten durch die Straßen schleppt und sich ihr Geld mit Betteln verdient. Sie hat einen bürgerlichen Namen – Angela May Sutherland –, der aber spielt kaum eine Rolle, genannt wird er erst (und falsch noch dazu), als die Polizei sie verhaftet. Bis dahin ist schon so manches passiert. Auf den Straßen von London hat sie ihren alten Lover per Zufall wiederentdeckt, dem zuliebe sie einst in den Knast ging, womit das Elend begann. Nun trinkt sie und zieht mit ihrer wichtigsten Gesprächspartnerin, dem Windhund Elektra, durch die Gegend, unter den Brücken und neben der Spur. Der Exlover ist für sie nur noch der Teufel. Und damit, dass sie ihm folgt, und seiner Lebensgefährtin, beginnt ein Kriminalplot mit Tod, Feuer, Gewalt, in dem für die Heldin nichts wieder gut wird.Ein Windhund als SidekickErst setzt es Prügel, die sie fast töten. Sie vergisst, wer sie ist, jedenfalls hält die Welt sie für eine ganz andere, sie schleppt nun, Lady Bag eben, eine Louis-Vuitton-Tasche mit, freundet sich an mit einer Transe namens Josepha (oder so ähnlich), hat im Fernsehen einen denkwürdigen Auftritt, trinkt viel, sehr viel Rotwein, verliert Elektra, kommt in den Knast und wieder raus und hält bei alldem niemals die Klappe. Wenn diese Wiedergabe der Handlung etwas wirr klingt, dann hat das genau einen Grund: Was immer man weiß von dieser Geschichte, weiß man nur aus dem Mund dieser nicht immer ganz einfachen Heldin. Sie ist eine Icherzählerin von wankender und schwankender Gestalt; sie hat einen Ton, eine Stimme, wie sie so einzigartig und grandios nur Liza Cody hinkriegt, ein rotziger Trotz liegt darin, mit sehr derbem, oft großartigem Witz, aber was nun Einbildung ist, was wirklich geschehen, das wird nicht immer ganz klar. Einerseits sind etwa die Repliken Elektras, des Windhunds von hellem Verstand, durchaus hinreißend. Andererseits ist das schon seltsam: ein Windhund als Sidekick, der mitdenkt und spricht und vernünftiger ist als sein Frauchen.Mit ihrer Lady-Figur stellt Liza Cody das Genre entschieden vom Kopf auf die Füße. Es gibt einen Fall, es gibt Ermittlungen, es gibt Spuren, Verdächtige, es fehlt eigentlich nichts. Aber statt Licht ins Dunkel zu bringen, statt eines Detektivs und Ermittlers, dessen graue Zellen die Wirrnis durchdringen, ist da eine hinreißend wirre und glorios besoffene Protagonistin, auf deren ziemlich heilloses Schicksal das Buch unbeirrt fokussiert. Das ist London von unten, das ist das Genre vom Rand her, ist Kriminalliteratur als Sozialsurrealismus, der auch in die Mitleidsfallen des kitchen sink niemals tappt. Was daran liegt, dass Liza Cody ihre Heldin lebensecht hinknallt, ihr ein Selbstbewusstsein und eine Sprache, ein Wissen um die Tricks des Überlebens auf der Straße zu geben versteht, ohne dabei den Sinn fürs Absurde zu verlieren. Lady Bag ist ein böses Lesevergnügen, ein Buch, das die Konventionen des Genres adressiert, indem es sich ganz ausdrücklich nicht um sie schert.Placeholder infobox-2Placeholder infobox-1
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