Und der Schreiadler sagt ja

Gute Wahl Der Filmemacher Andreas Dresen wird Landesverfassungsrichter in Brandenburg. Sein Werk nimmt die Nöte des kleinen Mannes ernst und kennt die Sorgen der Politik

Andreas Dresen als Verfassungsrichter in Brandenburg: Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich. Als „totale Schnapsidee“ hat etwa Maximilian Steinbeis vom renommierten Verfassungsblog die Entscheidung bezeichnet. Er fragt: „Recht sprechen, Fälle entscheiden, Gesetze auslegen, Rechtsprechung konsistent halten – warum in aller Welt sollte ein noch so toller Filmemacher für diesen Job geeignet sein?“ Das geht nicht gegen Dresen, den Steinbeis schätzt. Es geht vielmehr gegen die Idee, dass Laienrichter an Landesverfassungsgerichten überhaupt etwas zu suchen haben.

Der Laie stutzt womöglich schon an anderer Stelle: Landesverfassungsgerichte, so etwas gibt es? In der Tat, und in der Regel sind sie mit Juristen besetzt, die diesen Job auch nicht hauptamtlich betreiben. Das Landesverfassungsgericht wacht über die Landesverfassung, befördert mithin alle Feinde Brandenburgs in den Staub und entscheidet etwa – Presseerklärung vom 24. September 2012 –, dass es nicht gegen die Grundrechte verstößt, wenn „sog. Altanschließer zu Abwasseranschlussbeiträgen herangezogen werden“. Womöglich ist das Abendland also auch dann nicht in Gefahr, wenn hier Laien an letztinstanzlicher Stelle ein Wörtchen mitreden. Und womöglich verbringt Andreas Dresen hier nicht nur kurzweilige Stunden.

Er ist nicht der erste Nichtjurist an dieser Stelle. Florian Havemann, Schriftsteller, Künstler und Sohn, war ab 1999 zehn Jahre tätig, der Theologe Richard Schröder von 1993 bis 2006. Die PDS hatte vor Jahren einmal Daniela Dahn vorgeschlagen; durchsetzbar war sie nicht. Vor Dresen hat die Linke in diesem Jahr die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch ins Spiel gebracht, die aber fand gleichfalls bei der Opposition keine Unterstützung. Von Dresen waren nun aber alle Fraktionen begeistert. Er ist auch hier, was er immer ist: der Konsensmann, auf den sich (fast) alle einigen können.

Kein Halt in Vogelsang

Der beste Freund, den Dresen in der brandenburgischen Politik hat, sitzt ohnehin in der CDU-Fraktion, in der dritten Reihe des Potsdamer Landtags: Henryk Wichmann. In diesem Jahr lief Dresens Dokumentarfilm Herr Wichmann aus der dritten Reihe („Der Schreiadler hat in diesem Land schon vieles verhindert“) mit Erfolg auf der Berlinale und viel beachtet im Kino. Zweimal hat sich Dresen an Wichmanns Fersen geheftet. Im Abstand von zehn Jahren ist er mit dem CDU-Mann über Brandenburgs Alleen und durch die in blitzblanker Tristesse daliegenden Dörfer gegurkt, hielt Glanz und Elend des Landes mit der Kamera fest. Kann keiner sagen, dass ihm die Sorge ums Überleben des Schreiadlers in Zeiten des Radwegeausbaus oder das Zughaltproblem von Vogelsang unbekannt wären.

Überhaupt gilt Dresen als Regisseur, dem die Nöte des kleinen Mannes (und der kleinen Frau) sowie das Menschliche überhaupt alles andere als fremd sind. Ob Sex im Alter (Wolke 9), Krebstod (Halt auf freier Strecke), Frankfurt/Oder (Halbe Treppe): Er geht da hin, wo es wehtut, bleibt aber so menschenfreundlich dabei, dass es die Betrachter nicht vor den Kopf stößt. Dresens Redlichkeit mag in ästhetischer Hinsicht bestenfalls eine Sekundärtugend sein, seine Konsensfähigkeit eher von künstlerischem Mittelmaß zeugen. Zu Dresen als Richter jedoch sagt sogar der Schreiadler „Ja“.

Ekkehard Knörer ist Redakteur bei der Zeitschrift Merkur, wo seither auch gebloggt wird

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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