Unser schlechtes Gewissen

Deutscher Buchpreis Die Auszeichnung verengt die Aufmerksamkeit von Handel und Kritik und lässt zu viel unter den Tisch fallen. Eine Gegenrede
Ausgabe 40/2013
Die Shortlist
Die Shortlist

Bild: Petra Gass / Deutscher Buchpreis

Über 91.100 neue Bücher haben die Verlage des deutschen Sprachraums im vergangenen Jahr auf den Markt geworfen. 32 Prozent davon waren belletristische Titel. Davon wiederum fast die Hälfte, nämlich 14,1 Prozent, macht die deutschsprachige Literatur aus, das sind 12.845 Titel. Legt man sie Oberkante an Unterkante in eine Reihe, ergibt das rund 20 Kilometer, einen ausgedehnten Tagesspaziergang allein zur Titellektüre. Legt man sie aufeinander, hat man 257 Meter, dreimal so hoch wie der Turm zu Babel, aber immerhin alles Deutsch, sieht man von Problemfällen wie Martin Mosebach einmal ab. Wie viele neue Romane unter den belletristischen Titeln sind, das weiß der Teufel, im Babelturm stecken ja auch Wiederauflagen, Erzählbände und anderes mehr.

Die Aufgabe, die sich der Deutsche Buchpreis stellt, ist gewaltig und fragwürdig. Er soll ins Tohuwabohu der Romanüberproduktion Übersicht bringen. Er macht aus Tausenden Titeln erst zwanzig, dann sechs und dann einen. Dazu bedarf es grober und feiner Verfahren der Komplexitätsreduktion. Ersthelfer sind dabei die Verlage. Sie reichen jeder maximal zwei Titel ein und empfehlen jeder maximal fünf weitere dazu. Die Jury kann aus der Liste der empfohlenen Bücher nachnominieren. Mancher Verlag pokert, reicht das Erfolgversprechendste gar nicht ein, setzt vielmehr darauf, dass es nachnominiert wird. So kann es kommen, dass – wie im letzten Jahr – gleich drei Titel eines Verlags (Suhrkamp) auf die Shortlist gelangen. In nackten Zahlen: In diesem Jahr haben 101 Verlage 164 Titel eingereicht und 70 weitere empfohlen. Im Verhältnis zur Gesamtproduktion haben wir da schon mal: fast nichts.

Happy few

Jugendbücher, bloße Unterhaltung und Triviales kommen in keine engere oder weitere Wahl. Geringgeschätzte oder bereits aufgegebene Autorinnen und Autoren großer Verlage und andere Stiefkinder von Lektorat oder Vertrieb werden weder empfohlen noch nominiert. SciFi, Fantasy, Krimis, kurz: Genreliteratur hat kaum eine Chance, die Gatekeeper und Platzanweiser des Betriebs nehmen sie in aller Regel gar nicht zur Kenntnis und reden sich mit dem Hinweis auf einschlägige Fachabteilungen bei Kritik und Preisen heraus. Präferiert wird bis hin zur Exklusion alles anderen. Man muss das strebende Sich-Bemühen erkennen, an der Sprache oder, wenn es da hapert, am Umfang.

Kleines, Komisches, Bescheidenes, Gewitztes: Kann man vergessen. Außerdem gelten über den Daumen gepeilte und unausgesprochene Gender-, Alters-, Verlags- und Anspruchsproporze. Ein unverkäuflicher Autor darf auf die Shortlist, gewinnt aber nicht (2013: Reinhard Jirgl). Newcomer darf, Kritikerliebling muss, populärer Autor soll. In diesem Jahr hat die Jury beim letzteren Punkt ein wenig gebockt und den neuen Kehlmann frech ignoriert. Macht aber nichts, wird ja trotzdem über den grünen Klee verkauft und besprochen. Bei der Entscheidung kommt es, Jury ist Jury, öfter als nicht zum Kompromiss: Wenn weder die Clemens-Setz- noch die Stephan-Thome-Fraktion eine Mehrheit erreicht, gewinnt eben die von keinem wirklich favorisierte brave Ursula Krechel.

So weit die Binnenlogik der Auswahl. Wichtiger ist die Funktion des Buchpreises im literarischen Feld. Er fokussiert mit seinen Listen die Aufmerksamkeit des Handels, der Kritik und ganz allgemein des Diskurses. Für die Händler macht er im besten Fall ein paar Titel lukrativ, die sonst schlechter liefen: Davon profitiert zum Beispiel der Favorit Clemens Meyer. In den finstren Schatten, in dem der Rest auf Verkauf und Wahrnehmung hofft, funzeln zum Beispiel die Independentverlage mit ihrer Hotlist hinein. Aber es ist die übliche Crux: Die interessiert so recht keinen. Noch verhängnisvoller ist, dass die Kritik die Fokussierung auf wenige Titel mitmacht, es vielleicht auch glaubt zu müssen. Das Ergebnis: Der Kreis der wahrgenommenen und gut verkauften Bücher verengt sich. Die wenigen Glücklichen und vor allem die Sieger stehen dafür in hellerem Licht. Für den Handel und fürs Partygespräch ist das gut. Für die Autorinnen und Autoren im Dunkeln ganz sicher nicht.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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