Antike auf der Baustelle

Bühne Die Berliner Volksbühne macht aus der Not eine Tugend und hat sich für die Zeit der Sanierung ein Amphitheater vor das Haus gezimmert. Eröffnet wurde es mit "Prometheus"

Noch immer kann man in Berlin Wunder erleben im Umgang mit Stadträumen: Die Berliner Volksbühne macht aus der Not einer Gebäudesanierung die Tugend eines Amphitheaters und erklärt den Rosa-Luxemburg-Platz zur Agora, dem Markt- und Versammlungsplatz der Polisbürger im antiken Griechenland. Gleich mehrere Spielorte gibt es da: einer wird Bürgern dieser Stadt angeboten, die etwas zu sagen haben (Agora-Rede); es gibt regelmäßige Lesungen antiker Texte („Griechenlesen“) sowie passende Filme („Griechenmovies“). Aber der schönste Ort ist natürlich das offene Amphitheater mit der klassizistischen Fassade der Volksbühne als Kulisse: Es entwickelt bei langsam untergehender Sonne eine Faszination, die ihresgleichen sucht.

Der gefesselte Prometheus ist der erste und einzige erhaltene Teil einer Prometheus-Trilogie und erzählt die Geschichte eben jenes Gottes, der den Frevel beging, den Menschen das Feuer von den Himmlischen gebracht und sie damit erst zu Menschen gemacht zu haben. In einem kurzen, chorischen Vorspann werden die vier wichtigsten Versionen dieses Mythos’ vorgestellt. Schon hier beeindruckt die ungewöhnlich präzis artikulierte Sprach- und Sprechdisziplin des Ensembles: Man versteht jedes Wort, selbst bei großer Lautstärke. Dimiter Gotscheff inszeniert von der Sprache her – was hier geboten ist, ist doch der griechische Text dunkel genug, sind seine uns nicht geläufigen mythologischen Zusammenhänge verwirrend.

Wenn es erlaubt ist, einen Schauspieler besonders zu erwähnen, dann Max Hopp als Prometheus. Mit einer unglaublichen körpersprachlichen und stimmlichen Kraft, sich in Qualen an seinem virtuellen Felsen krümmend und dann wieder rebellisch gegen den unsichtbaren Zeus sich aufrichtend, leidend unter der Last des „aufrechten Ganges“ und gleichzeitig stolz darauf, der erste in die Geschichte eintretende Mensch zu sein: Hopp gibt der Tragödie ihre herausfordernde Größe als frühes Zeugnis europäischer Identität; im alten Ägypten oder in asiatischen Kulturen wäre eine solche Figur undenkbar.

Eben das macht Prometheus heute so interessant. Aischylos schildert erstmalig in der Mythologie-Geschichte den Göttervater nicht als souverän, weise und gerecht, sondern als gewalttätig, rachsüchtig und machtbesessen. Zu diesem Zwecke gibt er Zeus eine Geschichte, eine Herrscherbiografie. Indem er ihn aber historisiert, wird Zeus zugleich unter das Gesetz der Zeitlichkeit gestellt, ist sein Machtverlust, sein Verschwinden aus der Geschichte vorprogrammiert. Prometheus ist der einzige, der die verborgene Wahrheit vom „Tod Gottes“ erkannt hat, sie aber nicht preisgibt: das Wissen macht ihn Zeus ebenbürtig, ja überlegen. Er allein weiß: Die Menschen werden sich eines Tages von der Herrschaft der Götter befreien.

Kann es eine radikalere Theologie geben? Der Rückgang zu den Anfängen des europäischen Theaters ist eine Rückkehr an den historischen Ort, wo die Politik als Autonomia, als Selbstbestimmung des Menschen erstmalig zur Sprache kam. Sie ist das Gegenteil von Rückwärtsgewandtheit, weil sie historisch uneingelöste Herausforderungen für Gegenwart und Zukunft des Menschengeschlechts zeigt. Insofern wird die Ortsbestimmung Agora der Volksbühne zur Metapher der Aktualität einer 2.500 Jahren alten Dichtung.


Prometheus wieder am 29. Mai, 1. und 4. Juni. volksbuehne-berlin.de/spielplan

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