Aporien der Freiheit

Aktuell wie nie "Mahagonny" von Brecht/Weill in der Komischen Oper

Nicht nur wenn man weiß, welche erbitterten Hahnenkämpfe es 1929 gegeben hat darüber, ob es sich bei Mahagonny um "eine Oper von Bertolt Brecht, Musik von Kurt Weill" oder "von Kurt Weill, Text von Bertolt Brecht" handle, ist es eine eigenartige Ironie, wenn das bunte Spruchband in der Behrenstraße eine Oper von "Weill/Homoki/Petrenko" ankündigt und Brecht einfach unterschlagen wird. Allerdings enthält diese kleine freudianische Fehlleistung ungewollt ein Stück Wahrheit: Die großen Protagonisten des Abends sind Weill und sein Interpret Kyrill Petrenko. Aber dazu gleich noch.

Hinterher fragt man sich, warum es so lange gedauert hat, bis die Komische Oper dieses ihr geradezu auf den Leib einer politisch inspirierten Musiktheater-Tradition geschriebene Meisterwerk erst so spät wiederentdeckt hat. Aber vielleicht hat das auch sein Gutes: Wie der einzigartige Brechtkenner Ernst Schumacher in einem brillanten Programm-Essay herausarbeitet, bekommt Mahagonny möglicherweise erst heute, in der post 1989er Welt, wieder eine beklemmende Aktualität, die weit über den 1930 (rechts-gestörte Uraufführung in Leipzig) antizipierten Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft hinausgeht. Mahagonny, die "Netzestadt", in der es "Ruhe, Eintracht, Whisky, Mädchen" gibt, wo du "schlafen, rauchen, angeln, schwimmen" kannst - gegen Geld. Mahagonny, die "Wohlfühl-Stadt", ein einziges großes Wellness-Center, Teneriffa, Mallorca, Barbados lassen grüßen - wenn man bezahlen kann. "Aber eines fehlt": Es gibt noch Verbote, es fehlt die absolute Freiheit. Die wird ausgerufen im Glücksgefühl des durch ein Wunder abgelenkten Taifuns: Essen, Lieben, Boxen, Saufen - von jetzt gilt, "dass man hier alles dürfen darf". Nur eines darf man nicht: ohne Geld sein, darauf steht die Todesstrafe - sie trifft den großen Freiheits-Propheten selber. Aber Brecht erlaubt da keine Tragik: Jim (herausragend Kor-Jan Dusseljee) akzeptiert sein selbstgemachtes Schicksal, appelliert an die Menschen, sich nicht verführen zu lassen von einem vermeintlichen besseren Leben nach dem Tod, sondern es hier und heute zu genießen - aber er erkennt auch in der Hinrichtungsstunde: "Die Freude, die ich kaufte, war keine Freude, und die Freiheit für Geld war keine Freiheit."

Mit dem Finale erreicht die Oper und ihre musikalische Präsentation eine an Eindringlichkeit kaum übertreffbare Wucht und Dichte, die alles vorher Gesehene und Geschehene unter sich begräbt, der große und durchweg großartige Chor, der zuvor als lebendige, sich immer wieder auflösende und zusammenfindende Menge agiert hatte, schmilzt da zu einer massiven Einheit zusammen und lässt mit seinem in voller Lautstärke vorgetragenen Choral im Kirchenton keinen Zweifel daran aufkommen, dass da "an einem grauen Vormittag, mitten im Whisky, Gott nach Mahagonny gekommen war", um die Menschen - vergebens - zur Umkehr aufzurufen. Bibel, Christentum und Religion gehören integral zum Brechtschen Welt- und Weltveränderungspathos - und Kurt Weill hat das ganz offensichtlich gespürt und hörbar gemacht. Überhaupt: Die große Entdeckung dieses Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ist die Weill´sche Musik, so wie sie Petrenko mit den auf Kammerbesetzung reduzierten "Orchestersolisten" der Komischen Oper durchsichtig und scharf profiliert erarbeitet hat. Die lyrischen Passagen sind so lyrisch, wie sie nur sein können, ohne sich nach Strauß (wie Brecht Weill vorwarf) oder Puccini anzuhören. Allein schon um dieser Musik willen ist dieser Abend eine kleine Sensation.

Andreas Homokis Regie nimmt ihren Ausgangspunkt von klug explizierten Prämissen: Kein didaktisches Brecht-Theater, Spaß und Vergnügen müssen sein, gleichzeitig soll die von der Musik geleistete Arbeit eines Kommentars der Handlung ihre szenische Entsprechung der Verfremdung und Nicht-Identifikation haben. So sehen wir zu Anfang einen großen papierbespannten Kubus als Projektionsfläche für die Brechtschen Szenenanweisungen und Erläuterungen, und die Sänger-Schauspieler (alle in bester Form) kommen mit einigen Stühlen und Malerleitern völlig aus: Klarheit, Durchsichtigkeit, Konzentration aufs Wort bzw. die Musik scheinen angesagt. Aber dann, je mehr die Stadt der Netze, in denen die Menschen gefangen werden, selbst in den Vordergrund des Geschehens rückt, verwuselt sich die Handlung und verliert ihre Fäden. Der radikale Freiheitsapostel Jim gegen den Rest der Welt, das wird noch szenisch sichtbar, die Vergnügungsstadt aber wird zur Disko, wenn man will zur "Fan-Meile", wo sich die Protagonisten verlieren. Am Ende versteht man mangels Differenzierung auch sprachlich kaum mehr etwas - bis eben der ausgedehnte Schlusschoral alles auf den Punkt emotionaler Transzendenz bringt. Die Musik aus dem Orchestergraben, Chor und Gesangssolisten auf der Bühne triumphieren über die Regie, die sich immer mehr einer szenischen Aufführung angenähert hat. Trotzdem starke und nachvollziehbare Zustimmung des Publikums.


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