Dein Körper, das ungeliebte Wesen

Bühne Was hat eine Wassernixe, die keine Nixe mehr sein möchte mit unserer Gegenwart zu tun? Eine Menge, wie Barrie Koskys Berliner Inszenierung der Dvorak-Oper "Rusalka" zeigt

Barrie Kosky, der zukünftige Intendant der Komischen Oper, hat ein wichtiges und selten gewordenes programmatisches Versprechen am exemplarischen Fall einer Märchen- oder Mythenoper eingelöst. Denn wer möchte, Hand aufs Herz, heute Rusalka, die Geschichte einer Nixe, die um jeden Preis Mensch werden will und dabei von ihrer Liebe zu einem Prinzen bitter enttäuscht wird, noch ernst nehmen und dafür ein Publikum interessieren?

Kosky hat den Mut, diese in Europa kulturell vielfältig verwurzelte Erzählung in ihrer Vertonung durch Antonin Dvorak so zu inszenieren, dass er ihr keine eindeutige Interpretation oktroyiert, vielmehr seinem Opernpublikum die Reife und das schöpferische Erkenntnisinteresse zutraut, eigene Fragen an den Stoff zu stellen und von ihm Antworten zu erhalten. Dazu gibt er Hilfestellungen. Das ist das programmatische Versprechen.

Eine solche Frage an den Stoff könnte sein, ob nicht jeder Mensch irgendwann und irgendwo den Traum hat, und sei es nur für einen Augenblick, ein anderer zu sein. „Ein Mann träumt davon, eine Frau zu sein. Oder man möchte zu einer anderen Religion wechseln, in ein anderes Land ziehen oder seine Hautfarbe ändern“, sagt Kosky – und so träumt Rusalka davon, Mensch zu sein. Den eigenen Körper als lästig zu empfinden, auch das ist eine existenzielle Erfahrung – darum in dieser Inszenierung die dramatische und schmerzvolle Befreiung Rusalkas von ihrem Wassernixenfischschwanz.

Komponiertes Schweigen

Der Kritiker entdeckte eine andere mögliche Lesart, die sich vor allem musikalisch legitimiert. Es schien ihm, als führte diese Oper zwei Diskurse: den einer betörenden Melodik der Natur- und Geisterwelt (herausragend die Mond-Arie Rusalkas), und den einer bedrohlichen Dramatik bei der Schilderung der Menschenwelt, der Rusalka um der Liebe zu ihrem Prinzen willen angehören will. Aus dieser von den ersten Takten bis zum unversöhnten Ende spürbaren Spannung lebt der ungewöhnliche und erregende Opernabend.

Dieser Spannung liegt die überlebenspolitische Großfrage nach dem Umgang des Menschen mit der Natur zugrunde. Dvorak, mehr noch als sein eher dem Märchenhaften verbundener Librettist Jaroslav Kvapil, scheint schon zur Jahrhundertwende (Uraufführung 1900) Mensch und Natur auf einem Kollisionskurs gespürt zu haben: selbstzerstörerisch die konventionelle Welt des Prinzen, aber selbstzerstörerisch auch die Sprachlosigkeit der Natur, die von den Menschen erlöst werden will. „Wehe, dass ich den Menschen vertraut“, singt Rusalka.

Der neue Chefdirigent Patrick Lange hat den Mut, die Musik minutenlang so anzuhalten, wie es Dvorak vermutlich vorschwebte – „komponiertes Schweigen“. Das Orchester zeigt sich in bester Form, insbesondere die Bläser und die Pauken; die Solisten mit der bejubelten Ina Kringelborn an der Spitze, allesamt eindrucksvoll in Gesang und Spiel, wie es sich für die Komische Oper gehört.

Und Kosky erliegt diesmal nicht der Versuchung inszenatorischer Mätzchen und selbstverliebter Albernheiten, lässt vielmehr alles als Kammeroper in einem geschlossenem Bühnenraum spielen (Klaus Grünberg), wozu die ausdrucksvollen Kostüme von Klaus Bruns kongenial passen. Nach mehr als drei Stunden ergreifend erzählender Musik verlangt auch der sich dehnende Schluss vom Publikum eine Haltung zuhörender Entspannung zur Aufnahme nachdenkenswerter Botschaften aus der Vielschichtigkeit der Märchenwelt.

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