Der Demagoge spricht

Bühne Die Opernwelt zu Gast bei Freunden aus der Politik: In großem Stil an der Deutschen Oper Berlin in "Macbeth", als Soloabend an der Staatsoper in Kagels "Der Tribun"

Zum Ende der Spielzeit gibt es Erstaunliches aus der Welt der Oper zu berichten, das heißt Ungewöhnliches. Gleich zwei politische Opern und die zugleich in extremer formaler Polarität: In der Deutschen Oper Berlin getreu deren aktuellem Motto Verdis Macbeth als "Große Oper", so groß, daß die Riesenbühne fast zu klein ist für den mehr als achtzig Köpfe starken Chor der Hexen/Aufwartefrauen/Kriegshinterbliebenen/Soldaten – plus Protagonisten, versteht sich. Und in der zum bayrischen Bierzelt mit Holzbänken und Tischen umfunktionierten kleinen Schiller-Theater-Werkstatt der Staatsoper Der Tribun von John Cage und Mauricio Kagel mit nur einem Darsteller und einem Mini-Blasorchester, alle in Lederhosen und grünen Hütchen, einschließlich der Bierbedienung in Dirndln. In der Deutschen Oper ein ausverkauftes Riesenhaus, in der Staatsoper-Werkstatt einige Dutzend neugierig entspannter Besucher, von denen niemand wusste, was ihn erwartete – Macbeth dagegen kennt jeder. Allerdings nicht diesen und nicht so.

Der Regisseur Robert Carsen hat die Geschichte vom mörderischen Machttrieb in die Zeit des „real existierenden Sozialismus“ der achtziger Jahre und deren brutal-bürokratische Atmosphäre gelegt – und sie geht, bis auf wenige unvermeidliche Widersprüche, eindrucksvoll auf. Anfangs scheint der alles dominierende graue Beton des Bühnenbilds (Miruna und Radu Boruzescu) die Sänger kaltzustellen.

Aber im zweiten Teil mit dem Wehklagechor der Diktaturopfer, den anklagenden Photos der Verschleppten und Ermordeten entfalten das düstere Drama und die unheimlich kongeniale Musik eine unwiderstehliche Wucht der Emotionen, deren sich am Schluss nur zwei oder drei verirrte kaltherzige Buhrufer zu entziehen vermochten: Der Kritiker gibt zu, dass er auf Berlins Opernbühnen dergleichen seit langem nicht erlebt und erfahren hat. Das Verdi-Wunder dieser Oper besteht darin, die menschenverachtende Tragödie der Machtpolitik ohne Rekurs auf zerstörte Liebesbeziehungen (der Stoff, aus dem fast alle Opern gemacht sind) so vorzuführen, dass sie der politischen Kritik unterworfen wird und gleichzeitig vom Gefühl eine mit Argumenten unerreichbare Tiefendimension erhält.

Keine Oper

Ganz anders und wie auf einem anderen Planeten die musikalische Kritik der Macht durch Mauricio Kagel, dessen Tribun – eingeleitet von einem geistverwandten kurzen, „sprachlosen“ Stück von John Cage – die Karikatur eines populistischen Demagogen (darum das Bierzelt als Ort der Handlung), der in so vielen verzwirbelten und von lautstark bis leise, mit und ohne Maske, von oben herab und sich unters Publikum mischend bösartig-anbiedernde Plattitüden Liebeserklärungen an „mein Volk“, das „nie irrt“, variiert und durchkonjugiert, die Klassengesellschaft für abgeschafft erklärt und allen alles verspricht. Was die zu verblödenden Menschen hören wollen und dem wir auch als Publikum unsere Zustimmung zu geben aufgefordert werden, natürlich mit einem kräftigen Tusch der Blaskapelle.

Keine Oper: Der Demagoge (Nicholas Isherwood), obwohl erfahrener Sänger, ist eine reine Sprechrolle – die aber beherrscht er in allen rhetorischen Nuancen hervorragend. Das Stück war ursprünglich ein erfolgreiches Hörspiel. Populistische Demagogen gibt es derzeit in Deutschland nicht – im Unterschied etwa zu Holland, Dänemark oder auch Italien – weshalb ihm der eigentliche Resonanzboden fehlt und man hier und heute in dieser offensichtlich von Kagel mit intensiver Sammlung von Sprachmaterial konstruierten Figur niemanden zu erkennen vermag und die intelligente und mehrdimensionale Kritik ins Leere läuft. Aber der experimentelle Mut der Staatsoper zum explizit politischen Theater sollte unbedingt anerkannt und ermutigt werden.

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