Deutscher Lessing - wie das? Gibt es etwa einen nicht-deutschen Lessing? Jawohl: Lessing, Gotthold Ephraim. "Seine Bedeutung für die Nation liegt in seinem Widerspruch zu ihr" (Hofmannsthal), also "nicht-deutsch" zu sein. In eine sich ihres Schwermuts und Tiefsinns, ihrer Grübelei und ihres Ernstes rühmenden Kultur der Bedeutsamkeit, da bricht Lessing ein wie ein Lichtstrahl in die Dunkelheit. Da schießt er mit hellstem Verstand und einer Sprache, die so rein und durchsichtig ist wie Kristall, die Pfeile der Aufklärung in die Seele der deutschen Innerlichkeit. Da macht er, einmalig, das psychische und materielle Elend in der Folge eines von seinem eigenen, dem preußischen Staate gewonnenen Kriege zum Gegenstand einer Komödie, ohne dabei seine kritisch-anklagende Integrität zu kompromittieren. Im Gegenteil: Es ist die Komödie, der Wort- und Sprachwitz, es sind die einmaligen Figuren, die er dafür zum ewigen (inzwischen fast 250-jährigen und noch immer jugendlichen) Leben erweckt. An deren Beziehungen das Elend deutsch-preußischer Männlichkeit vergnüglich erkennbar wird, und wir gleichzeitig erkennen: Es dreht sich alles ums Geld. Die Tragödie kann versuchen, die Menschen durch die Erfahrung des Mitleids zu bessern; die Komödie schafft durch Lachen Distanz und schärft den Verstand. Minna von Barnhelm ist eine der wenigen Verstandes-Komödien, die die deutsche dramatische Literatur hervorgebracht hat.
Sie ist es nicht am Berliner Deutschen Theater in der Inszenierung von Barbara Frey. "Deutsche Stoffe" sind das Thema der Saison, die bisher viel von dem gehalten hat, was versprochen wurde. Mit dieser Minna aber wird ein Eigentor geschossen: Nicht das wird herausgearbeitet, was den deutschen Stoff vom Soldatenglück auf so beglückende Weise undeutsch, eben komisch macht und uns das befreiende Lachen der Erkenntnis beschert, so dass wir ausrufen dürften: Mehr Lessing, mehr Komödie braucht das Land! Nein: Minna von Barnhelm wird zum düster-melancholischen Problemstück, darf man sagen: verfälscht? Jedenfalls "verdeutscht". Da haben wir nun schon eine brillante Komödie, und dann wird sie uns als Trauerspiel vorgeführt, als eine Übung in Depression und Tiefsinn. Am Schluss stehen alle ratlos unterm Sternenhimmel und wissen nicht so recht, was das alles soll - aber sicher bedeutet es etwas Bedeutendes.
Die ständig sich drehende Bühne besteht aus halbhohen, dunkel gekachelten Wänden, die den schäbigen Charme einer Bedürfnisanstalt der fünfziger Jahre verbreiten - Klo und Dusche sind ständig sichtbar -, und auch die Mülltonne, in die der Hotelabfall entleert wird, fehlt nicht. Durch dieses Mini-Labyrinth bewegen sich die Menschen, mal schnell, mal in schmerzhaft langsamer Zeitlupe. Mal sind sie exaltiert, mal schnippisch, mal streng sachlich, mal albern - wie´s grade kommt. Keine der Figuren ist in sich kohärent, allenfalls der Wachtmeister Werner (Frank Seppeler), der aber um den Preis steifer Eindimensionalität. Man spielt situativ auf Komik und komische Effekte, was oft daneben geht oder allzu deutlich als aufgesetzter Regie-Gag erkennbar ist. Dabei könnte die Besetzung mit Ulrich Matthes als Tellheim kaum hochkarätiger sein, mit Sven Lehmann - als Mephisto in Thalheimers Faust noch in bester Erinnerung - als dem treuen Diener Just. Martina Gedeck ist eine sympathische, aber unspezifische Minna, Nina Hoss in der dankbaren Rolle Franziskas gibt lauter kleine Einzelstückchen zum Besten, aber nichts will sich zur Gestalt runden, allenfalls das große Solo Riccauts (Michael Goldberg) mag in der Erinnerung für eine Weile haften bleiben. Der Abend zieht sich träg-traurig in die Länge, beim rationalen Höhepunkt, auf den hin Lessing seine Geschichte konstruiert hatte - Tellheim-Barnhelms endliche Vereinigung - stehen die Mitspieler deprimiert mit hängenden Köpfen und Händen vor den Gesichtern ratlos umher.
Natürlich ist das Absicht. Aber welche? Soll der aufklärerische Optimismus zum wiederholten Male als vergebliche Utopie vorgeführt werden? Oder dass der Krieg, jeder Krieg die Menschen psychisch tief verstört und beschädigt, und dass Lessing das nur nicht habe offen zeigen dürfen? Ersteres ist keine Neuigkeit mehr, was auch ganz konventionelle Inszenierungen wissen. Und Letzteres stimmt nicht, denn die Komödie selbst ist ja eine Form kritischer Überwindung der schlechten Empirie, der Wortwitz ein Mittel der Erkenntnis (weshalb Minna es nicht leicht hatte, in Preußen aufgeführt zu werden; die Uraufführung war 1767 in Hamburg, in Berlin erst ein Jahr später). Nur will sie auch als eine solche gespielt werden und nicht als deutungsbeladener "deutscher Stoff". "Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein", ruft Lessing/Minna uns Deutschen zu, "das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruß."
Dabei hat das DT gerade gegenüber diesem Stück eine Art historischer Verpflichtung: Max Reinhard hatte mit Minna seine Karriere als Regisseur klassischer Stücke begonnen, die Wiederentdeckung der fast vergessenen Komödie wurde 1904 wie eine zweite Uraufführung gefeiert mit keinem Geringeren als Adolph von Menzel als künstlerischem Berater. Ganz ist das Stück aber auch von Freys Inszenierung nicht totzukriegen; man hat des Öfteren tatsächlich gelacht. Nur hätte der Text mehr solcher Zustimmung verdient, ist er doch ein Feuerwerk brillanter Formulierungen und schlagfertiger Dialoge. Man sollte innerlich befreit, erhobenen Hauptes und mit der Melodie des Stückes im Ohr das Theater verlassen. Statt dessen applaudierte man pflichtgemäß, nahm den Mantel und ging.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.