Ein Haus des Volkes

Schlossdebatte Wenn schon nicht das Parlament in der Berliner Mitte steht, sollte dort wenigstens ein Demokratisches Forum entstehen. Ein Einwurf zur Berliner Schlossdebatte

Die Bedeutung, die die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland hat, kann kaum überschätzt werden. Es handelt sich immerhin um das Zentrum der Hauptstadt dieses Staates und nicht um eine beliebige Baulücke, die da gefüllt werden soll. Die Baumeister des post-napoleonischen reformierten und rekonstruierten Staates Preußen – allen voran der große Friedrich Schinkel – hatten sehr genau gewusst, was und wofür sie dieses Zentrum planten: Preußen als Erbe des alten Griechenlands, die Museumsinsel mit Altem Museum und Nationalgalerie, in der Machtachse zum Schloß hin angelegt, gaben der alt-klassischen und der zeitgenössischen Kunst den Rang der Staatsraison: Der preußische Staat als Kulturstaat, als Idee und ideologisches Projekt.

Das ist nun Geschichte, spätere Generationen haben sie verwirkt, die Idee verspielt und verraten, was vom Stadtschloss übrig blieb (es war sehr viel) wurde von der DDR gesprengt. Dazu ist kaum Neues mehr zu sagen. Wohl aber zur Rekonstruktion dieses Schlosses als dem Kern und Bezugspunkt dieses klassizistischen Ensembles gebauter Staatlichkeit.

Der langweiligste Entwurf hat gewonnen

Die im Berliner Kronprinzenpalais über drei Etagen detailliert ausgebreitete Ausstellung der in der letzten Entscheidungsphase beurteilten Entwürfe demonstriert, dass der erste Preis, der Entwurf des italienischen Architekten Franco Stella, dem am wenigsten originellen, dem am wenigsten kontroversen, dem Entwurf auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zuerkannt worden ist – einfach gesagt: dem langweiligsten. Darum wohl auch die Einstimmigkeit der Entscheidung.
Was bei all der eindrucksvollen Fülle von Computersimulationen, Modellbauten, Grundrissen, Erläuterungen, Detailansichten und vor allem vielen großen Worten der Bezugnahme auf die Wettbewerbsvorgaben – „weitgehend auf den historischen Stadtgrundriss zurückgreifen“ – unter dem Strich auffällt, ist das nahezu völlige Fehlen von Überlegungen zur Funktion dieses Bauwerks im Zentrum des deutschen Staates an diesem historischen Ort, oder, emphatisch gesprochen, im Zentrum der deutschen Demokratie.

War es schon ein Fehler gewesen, den Gedanken nicht einmal zuzulassen, hier im Herzen der Republik dem deutschen Parlament ein architektonisch würdiges Hohes Haus zu errichten (und es nicht wieder im Reichtagsgebäude an der städtischen Peripherie unterzubringen, wie es der Autokrat Wilhelm II. für den von ihm so genannten „Affenstall“ verfügt hatte), so hat man auch das weitergehende Gedankenspiel nicht zugelassen: Nämlich mit welchem Leben dieser historisch-politisch zu symbolträchtige Ort denn gefüllt werden sollte? Zu viel, zu mutig war es schon den Wiedervereinigern gewesen, das „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ in der Friedrichstraße den DDR-Bürgerrechtsbewegungen und ihren Nachfolgern zu lassen, ihnen, denen die friedliche Vereinigung zumindest ideell wesentlich zu verdanken ist – sie wurden in einen Neubau in der Greifswalder Straße, eine andere Peripherie verbannt und das für sie zu wertvolle Haus den Erben eines schlesischen ‚Schlotbarons’ zurückgegeben. Auch das ist nun Geschichte und erledigt.

Immer wird nur städtebaulich argumentiert - aber wozu soll dieses Bauwerk dienen?

Nicht erledigt hingegen ist die Frage, was für das ehemalige Schlossareal demokratie-würdig, was politik-würdig ist. Sie wurde nie gestellt und folglich auch nicht beantwortet – auch von keinem der Architekten. In den Erläuterungen zu ihren Entwürfen findet sich kaum ein ernsthaftes Wort dazu. Hier wird nur städtebaulich, architekturhistorisch, geschichts-ästhetisch argumentiert und begründet, von der Kuppel über die Fassaden bis hin zum Grundriss. Aber wozu soll dieses Bauwerk dienen?

Das „Nutzungskonzept“ der Wettbewerbsvorgabe ist da ebenso hohl wie die Aussagen der Architekten – die „außereuropäischen und wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen“ seien unterzubringen, die „Weltkulturen“ sollen „ins Zentrum der deutschen Hauptstadt geholt“ werden; einer findet es daraufhin besonders wichtig, dass irgendeine sicher bedeutende „Münzsammlung“ endlich hier ihren angemessenen Platz finde. Als wenn es da nicht schon genügend „Sammlungen“ auf der Museumsinsel und in der Charitè, im Zeughaus mit neuem Anbau und im Märkischen Museum gäbe, alles im Umkreis weniger hundert Meter. Muss nicht die Gretchenfrage gestellt und beantwortet werden: Wenn schon nicht das Parlament – was gehört an diesen Ort?

Statt einer Agora für Boutiquen...

Die Vorgabe spricht ebenso vage wie prätentiös von „Agora“ – die Architekten nehmen den Begriff auf und übersetzen ihn, wenn überhaupt, in Restaurationsbetriebe und Boutiquen. Doch kann dies ernsthaft Zweck und Inhalt dieses nationalen Aufbauprojekts sein? Erst wenn die einfache Frage nach der Nutzung beantwortet ist, wenn die Funktionen des hier zu behausenden gesellschaftlichen Inhalts wenigstens im Prinzipiellen geklärt sind, steht die Nachfolgefrage zur architektonischen Beantwortung an: Wie könnte diesen Funktionen am Besten gedient sein? Selbstverständlich im Kontext und Ensemble der historischen Umgebung von Museumsinsel, Dom, Schinkelscher Bauakademie und Friedrichswerderscher Kirche – vielleicht ist dann tatsächlich eine Schlossrekonstruktion die beste Lösung - vielleicht. Aber das heute mit leerem Pathos so genannte „Humboldt-Forum“ verweigert sich einer klaren und ehrlichen politischen Zweckbestimmung.

Die These klingt, ungewollt, wie eine sich selbst ins Abseits stellende Provokation, daß an diese Stelle ein „Palast der Republik“ gehört, ein „Haus der Demokratie“, ein „Haus des Volkes“. Es müsste bestehen aus Versammlungsräumen, die von Bürgerbewegungen und Initiativgruppen gemietet werden können. Es müsste eine offene Bibliothek enthalten mit moderner deutscher Literatur und dazugehörigem bequemen Leseraum. Parallel zur Frankfurter Buchmesse könnte hier die dort vorgestellte Literatur des jeweiligen Gastlandes für ein Jahr zugänglich sein. Natürlich müsste dieses Haus ein großzügiges Kaffeehaus enthalten mit den wichtigsten deutschen und europäischen Tageszeitungen; es könnte über Filmprojektionsräume verfügen, wo Filme gezeigt werden, die nicht in den kommerziellen Verleih kommen – beispielsweise solche von den verschiedenen kleineren deutschen Festivals; es könnte ein Kunstkabinett enthalten, wo jeweils immer nur ein zeitgenössisches Kunstwerk ausgestellt wird.

...brauchen wir ein Haus des Volkes

Es könnte ein Demokratisches Forum geben, wo jeden Tag ein anderer Bundestagsabgeordneter sich den Fragen des Publikums stellt; es könnte ein Medien-Forum eingerichtet werden, wo in täglich wechselndem Turnus Journalisten sich befragen lassen und Auskunft geben über ihre Arbeit und ihre Zeitung. Kurz: eine kreative, mit basisdemokratischer Phantasie begabte Leitung eines solchen „Hauses der Demokratie“ könnte diesen Ort in der Mitte Berlins lebendig und attraktiv machen, offen für jedermann und jede Frau und ein Diskussionsforum für jedes aktuelle Problem. Nur nicht noch ein Museum, sondern ein „Forum“, das diesem Namen gerecht wird.

Wenn sich diese Ideen vereinbaren ließen mit einem rekonstruierten Schloss – bitte sehr, warum nicht. Aber diese und nicht die städtebaulich-historische Ästhetik sollten Ausgangs- und Bezugspunkt der Schlossdebatte sein. Das wird derzeit niemand hören wollen, wo sich alles nur um Große und Ganze dreht, und damit das wirklich Große und Ganze gar nicht ins Blickfeld gerät.

Ekkehart Krippendorff, Jahrgang 1934, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Kunst und Politik.

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