Hamlet in Berlin

Bühne An der Schaubühne angekündigt ist Hamlet von William Shakespeare. Gespielt wird "Hamlet von Marius von Mayenburg und Thomas Ostermeier, bearbeitet ...

An der Schaubühne angekündigt ist Hamlet von William Shakespeare. Gespielt wird "Hamlet von Marius von Mayenburg und Thomas Ostermeier, bearbeitet nach Motiven und Texten von William Shakespeare."

Zugegeben: Das Eröffnungstableau - eine lange gedeckte Tafel mit Gästen und Bedienten im Hintergrund - ist geglückt und macht unmittelbar die Verbindung von Leichenschmaus für den toten König und anschließendem Hochzeitsbankett verständlich, die Hamlet bekanntlich in die Krise stürzt. Die fahrbare Bühne von Jan Pappelbaum, mit dem Perlschnurvorhang als Projektionsfläche für die - inzwischen unvermeidlichen - Videoprojektionen (Sebastien Dupouey) hat einen funktionalen Reiz. Aber das ist alles Positive, was wir von dieser Hamlet-Inszenierung berichten können.

Worin besteht ihre Notwendigkeit? Vermutlich darin, dass jeder Regisseur glaubt, irgendwann in seiner Karriere sich selbst einen Hamlet schuldig zu sein - dieses faszinierendste, rätselhafteste, komplexeste Stück der europäischen Dramenliteratur, in dem zu spiegeln sich seit seiner Entdeckung als Schlüsseldokument der literarischen Moderne im späten 18. Jahrhundert jede Generation es aufs Neue unternahm. Aus Hamlet-Inszenierungen und -Interpretationen ließe sich eine europäische Geistesgeschichte schreiben. Selbst schwache oder missglückte Versuche geben dem Publikum Rätsel auf - sofern sie Shakespeare zu Worte kommen lassen, wobei Kürzungen bei dem Sechs-Stunden-Stück obligatorisch sind.

Von Mayenburg und Ostermeier haben nicht eigentlich gekürzt, sondern vielmehr den großen Hamlet-Text als Vorlage eines eigenen Stückes benutzt - zeitgemäß, modern, modisch, aufgepeppt mit Songs und angereichert mit Szene-Sprache - Hamlet, seine Mitspieler von der Bühne drängend: "Ich muss mal eben noch einen Monolog stemmen." Die komplexe Handlung gibt´s nicht mehr, sie wird aufgehoben in Text- und Szenenfragmenten. Hamlet-Kenner können sie zwar unter allerlei Inszenierungsmüll wieder erkennen - doch den fünf Schauspielern und der einen Schauspielerin, die bis auf Hamlet (Lars Eidinger) alle Doppelrollen haben, geben sie keine Chance zur Entwicklung ihrer Figur. Das gilt insbesondere für Hamlet selbst: Im Unterschied zu Shakespeares Stück - und darin soll wohl das Neue dieser Lesart bestehen - trägt dieser nicht die Rache-Maske der Verstellung, sondern tritt bereits als ein Verrückter wie aus dem Bilderbuch auf: unflätig, irre Worte blökend, Erdschlamm fressend, natürlich gewalttätig, zwischendurch singend, auch mal eine kurze Passage auf englisch sprechend (sehr originell), mit Saftkartons spielt er spritzenden Fußball und die Mutter vergewaltigt er fast (Ödipus lässt grüßen). Da bleibt nichts von der brillanten Doppelbödigkeit seiner Intelligenz und seines Witzes, von Hamlet dem Grübler und Wahrheitssucher, von der komplexen Persönlichkeit, die Generationen von Lesern und Interpreten fasziniert und die Rolle zur größten schauspielerischen Herausforderung gemacht hat. Plump ist dieser Hamlet, ein verdreckter, blutbeschmierter Wüstling, der ab und zu zerbrochene Teile der großen Monologe "stemmt" , in denen manchmal aufblitzt, was einem an Text und Sinn vorenthalten wird, sonst aber rülpsend seinen Mitspielern die Zunge rausstreckt, wie ein pubertierender Knabe.

Dabei unterscheidet er sich nur geringfügig vom übrigen Personal, dem die Regie ebenso das Sich-Wälzen in nasser Erde, das Saft- und Milch- und Blutspritzen und allerlei unmotivierte Gestik und Klamauk vorschreibt. Damit meint sie wohl, die an sich legitime Interpretation vom "dänischen Königshof als korruptem politischen System" vorgeführt zu haben, und entzieht zugleich dem eigenen Anspruch, "Shakespeares Hamlet als eine bis heute gültige Analyse des intellektuellen Dilemmas zwischen komplexem Denken und politischer Betätigung" zu zeigen, jede Glaubwürdigkeit. Aber es war ja nicht Shakespeares Hamlet, dessen kakophonisches Finale das Premierenpublikum auslachte, sondern dessen von keines Gedankens Blässe angekränkelte Bearbeitung als Farce.

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