Ort der Handlung: das bekannte Ballhaus Naunynstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg. Angekündigt der türkische Titel Lö Bal Almanya, erläutert als „ein musikalisches Schauspiel“ von Nurkan Erpulat (studierte Regie in Berlin) und Tuncay Kulaoglu (Filmemacher und Dramaturg). Verdunkelung, ein Schauspieler tritt vor den Vorhang und liest einen pseudowissenschaftlichen Text zum Thema „Die deutsche Kakerlake“. Man versteht: gemeint sind die Türken aus der Sicht der Deutschen. Schwarzer Humor? Witzig? Eine Provokation? Es gibt einige verdrückte Lacher. Der Vorhang geht auf – neun Schauspieler, sechs Männer und drei Frauen, sitzen an Bistrotischen, regungslos, schweigend. Schweigend. Schließlich geht einer ans Klavier und spielt einen Rock’n’Roll – niemand rührt sich. Dann leise gesungen ein primitives deutsches Lied („unrasiert und fern der Heimat“); im Laufe der nächsten zweieinhalbstunden Stunden wird es, neben anderen einst populären Melodien, noch öfter angestimmt. Christoph Marthaler lässt grüßen.
Vor 50 Jahren waren die ersten türkischen Vertragsarbeiter angekommen. „Gastarbeiter“ und ihre Wahrnehmung durch die deutsche Öffentlichkeit sind das Thema von Lö Bal Almanya, einer Collage von Original-Texten aus den letzten Jahrzehnten. Da gibt es kaum einen Prominenten, der sich nicht mit subtil-rassistischen Äußerungen befleckt hätte: Autor Erpulat hat gründlich recherchiert und im Textbuch seine Quellen genannt. Aber garantiert das bereits einen aufklärerischen Theaterabend? Wecken peinliche Zitate allein beim Publikum Zorn und Scham? Befördern sie das kritische, nicht zuletzt das selbstkritische Nachdenken über den tatsächlichen oder vermeintlichen Konflikt der Kulturen? Mit welchen Methoden der dem Theater spezifischen Möglichkeiten arbeitet die Regie?
Tatsächlich haben wir es hier weniger mit Theater zu tun als mit Kabarett, das als Gattung sich durch seinen unverbindlichen Witz auszeichnet, durch seine Parteilosigkeit ebenso wie sein Desinteresse an analytischer, also: literarisch-dichterischer Be- und Verarbeitung seines Materials. Außer einer angedeuteten Chronologie haben die 22 Szenen keinen dramaturgischen Zusammenhang, es sind Nummern von unterschiedlicher Qualität.
Manche leben von ihrem real-satirischen Charakter wie der Einbürgerungskurs mit seinen absurd-komischen Testfragen, andere überschreiten die Schmerzgrenze des Peinlichen wie die von einem Staubsauger entsorgte Asche der Solinger Brandopfer, wieder eine andere wiederholt neun Mal den bescheidenen Regieeinfall, die Türken mit dem Kopf gegen die Wand (die Mauer) rennen zu lassen, deren Fall sie dann aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließt. Es gibt einen eindringlichen Höhepunkt: die collagierte Rede Helmut Kohls über Türken in Deutschland, über Toleranz, Gastfreundschaft, Heimat und Familie. Mehmet Yilmaz gelingt es sprachlich die Kohls Text zugrundeliegende Borniertheit, Verklemmtheit, ja Bosheit und Inhumanität so freizulegen, dass gleichzeitig auch noch die Verlogenheit der die meisten Szenen grundierenden Heimatlieder-Lyrik zum unheimlichen Vorschein kommt.
Glücklicherweise wurde das Kakerlaken-Thema vom Anfang nicht wieder verwendet: Man muss anti-türkische und anti-islamische Ressentiments des deutschen kollektiven Unterbewusstseins ans Licht der Öffentlichkeit zerren. Aber Kakerlaken und deren Vertilgung mit Gift gehören nicht dazu.
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