Irgendwie schrecken wir vor dem Gedanken zurück, Wolfgang Amadeus Mozart mit Politik in Verbindung zu bringen - und in der Flut der Geburtstagsliteratur, seien es neue Biographien oder die obligatorischen Sonderseiten der großen Zeitungen, wird man so gut wie nichts dazu finden. Für die "Harfe Gottes" (Heidegger) ein Un-Thema, fast ein Tabu. Tatsächlich aber entgehen dem politisch unsensiblen Ohr wesentliche Dimensionen des Schönen, des Glanzvollen, des Brillanten dieser unverändert frischen und lebendigen Musik ebenso wie einer Opernregie, die nichts weiß von Mozarts intensiven Beziehungen zu den österreichischen und böhmischen Freimaurern. Zumindest der späte Mozart, der der 1780er Jahre und der großen Da Ponte-Opern, ist ohne den geistigen und politischen Horizont der Aufklärung im Allgemeinen und das Projekt der Bildung einer humanistisch-egalitären Elite in der Form der Freimaurerei nicht zu denken und zu verstehen.
Eine von Mozarts letzten Opern, La Clemenza di Tito (Die Milde des Titus), wurde während der Arbeit an der Zauberflöte, in der die Freimaurer explizit auf die Bühne gebracht wurden, als Krönungsoper für den mit großen Fortschrittserwartungen begrüßten Leopold II. geschrieben. Sie ist ein Schlüsselwerk für die Politik-Frage und in gewisser Hinsicht ein politisches Vermächtnis. Uwe Eric Laufenberg hat sie als "Potsdamer Winteroper" im suggestiven, kleinen Schloßtheater im Neuen Palais eindeutig - zu eindeutig, möchte man hinzufügen - politisch inszeniert: Titus wird, die Oper beim Wort nehmend, als der fast übermenschlich edle, großmütige, jeder Rache abholde und nur dem Nutzen und der Wohlfahrt seiner Römer dienende Fürst gezeigt, der für nicht weniger als eine Revolution von oben steht. Für Reform, Abbau von Adelsprivilegien und Rechtsstaatlichkeit, für das Programm der Freimaurer also - und damit auch für Mozarts politische Hoffnungen. Die These, dass es sich hier keineswegs nur um eine Propaganda-Oper für den neuen Kaiser handelt, ist belegbar aus der Vorgeschichte und aus Mozarts aktiver Anteilnahme an der Entstehung des Librettos, das den älteren Stoff systematisch auf jene reformerischen Erwartungen hin zuspitzt und die Ideale der Aufklärung deutlich genug formuliert. Nur wer sich selbst beherrscht, wer zu dienen versteht und alle persönlichen Interessen und Eitelkeiten überwindet, hat das moralische Recht zu Regierung und Machtausübung. "Auf dem Gipfel der Macht ist Wohltun die einzige Freude, sonst ist Regieren nur Qual und Pflicht", singt Titus. Laufenberg lässt seinen Sänger-Darsteller (hervorragend: Lothar Odinius) das Leiden an der kaiserlichen Machtposition deutlich zeigen und der ethisch-normativen Parabel von Milde, Toleranz, Demut und Großzügigkeit Glaubwürdigkeit vermitteln. Leider will sich der Regisseur selbst nicht bescheiden mit der Inszenierung des leicht verständlichen Lehrstücks, sondern drückt - wohl um die Umgebung des außergewöhnlichen Titus als durch und durch verrottet und brutal zu zeigen - mit projizierten Bildern aus dem Irak-Krieg, mit Abu-Ghraib-Folterungen und Selbstmordattentätern so auf die Aktualisierungstube, dass der Kritiker eher verstimmt war als gestimmt, ihm beizupflichten. So vordergründig instrumentalisiert lässt sich Mozart auch nicht politisch lesen.
Da tut es gut, sich einer anderen politischen Inszenierung zu erinnern, die Harry Kupfer 2000 an der Komischen Oper vorgestellt hat. Hier wurde die Figur des Titus gesehen als zynisch-machiavellistischer Tyrann (Napoleon!), dessen Milde letztlich nur eine besonders raffinierte Taktik der Machterhaltung und Machtsteigerung ist - szenisch eindrucksvoll, aber musikalisch kaum zu rechtfertigen. Höchst spannend also, wie zwei engagierte und gewiss nicht leichtfertige Regisseure dasselbe Stück, dieselbe Musik völlig entgegengesetzt interpretieren; bei den Aufführungen handelt es sich schließlich nicht um die Entdeckung neuer, bisher übersehener Dimensionen an einem großen Kunstwerk, sondern um einander ausschließende Lesarten.
Nun will es das Glück des Mozart-Jahres, dass die italienische Musikwissenschaftlerin Lidia Bramani eine akribisch aus den Archiven und der verstreuten Literatur erarbeitete historische Studie mit dem Titel Mozart massone e rivoluzionario (Mozart, Freimaurer und Revolutionär) vorgelegt hat, die überzeugend zeigt, wie eng gerade La clemenza di Tito mit der freimaurerischen Politik verknüpft ist. Angefangen bei den Auftrag gebenden böhmischen Logenbrüdern bis hin zu den Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit besingenden Kantaten, die Mozart im Umfeld dieser Oper vertont hat - etwa einen Text des damals bekannten Sozialreformers Franz Heinrich Ziegenhagen (Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt, KV 619), einen Sozialisten der ersten Stunde. Und am Ende hört man die strahlende C-Dur-Ouvertüre ganz anders, setzt sie doch ein mit drei mächtigen Unisono-Schlägen des Orchesters; die Drei ist in der Freimaurersymbolik eine besonders wichtige Zahl.
Es mag Zufall sein, dass die beiden großen Berliner Geburtstagskonzerte - das des Orchesters der Komischen Oper und das weltweit übertragene der Staatskapelle am 27. Januar - jeweils mit der Titus-Ouvertüre begannen, diesem strahlend-optimistischen Glaubensbekenntnis zu Solidarität und Rechtsstaatlichkeit, das Bramani "die komplexe, aber nicht unergründliche musikalische und dramaturgische Botschaft, das politische Projekt Mozarts" nennt. Solchermaßen hellhörig gemacht, ist es dann mit aller Behutsamkeit legitim, das von der Komischen Oper als zweites Stück vorgestellte c-Moll-Klavierkonzert Nr.24 (von Martin Stadtfeld leider nur mit technischer Perfektion vorgetragen) in seinen unüberhörbaren dunklen Momenten auch im weitesten und ernsthaftesten Sinne politisch zu interpretieren. Nämlich vor dem Hintergrund des (im vorbildlich informativen Programmheft dargestellten) Falles einer barbarischen öffentlichen Hinrichtung in Wien, einem Rückfall in voraufklärerische Praktiken.
Darüber hinaus aber darf man sich, um den politischen, den universellen Mozart zu hören, noch einer anderen, mit Worten nicht erreichbaren Dimension dieser Musik zu öffnen versuchen. Sie wurde in der vergangenen Woche aufs Bewegendste spürbar in Daniel Barenboims Musizieren der g-Moll-Symphonie Nr. 40 und des Es-Dur-Klavierkonzerts Nr. 22. Da gab es Augenblicke des Einbruchs kosmischer Transzendenz in die Wirklichkeit dieser gefährdeten und vergifteten Welt, in denen die Luft stillzustehen schien und der Rezensent sich wünschte, die Zeit festhalten zu können, auf dass alle Menschen erkennen möchten, dass Glück und Harmonie keine weltfremde Utopie, sondern in Musik antizipierte Möglichkeiten sind. Mozarts Ästhetik ist eine ständige ethische Herausforderung der real existierenden Gesellschaft.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.