Das Wort Herausforderung ist leicht gesagt und provozieren will heutzutage fast jeder Regisseur, der auf sich hält. Der Katalane Calixto Bieito ist für seine provozierenden Inszenierungen von Oper und Schauspiel berühmt, bei vielen, vor allem bei Opern-Traditionalisten, auch berüchtigt - und das nicht immer ganz zu Unrecht. Aber die leidenschaftliche Ernsthaftigkeit wird ihm niemand absprechen wollen. Die Herausforderung, die er sonst vor allem durch die Herausarbeitung der Unterdrückung der Frau seinem Publikum ins Gesicht schleuderte, ist in dieser Oper weniger aktuell-modisch als vielmehr radikal und existenziell.
Die Geschichte von den 16 Nonnen, die ohne auch nur den geringsten Vorwand zu bieten, von den radikalen Revolutionsfanatikern 1794 aufs Schafott geschickt wurden, ist historisch und literarisch bekannt genug (Georges Bernanos, Gertrud von Le Fort, Bühnenbearbeitungen, Drehbücher) und hat sich in Franco-Spanien 1939 wiederholt. Die Herausforderung besteht darin, diesen katholisch-religiösen Extrem-Stoff heute einer sich säkularisierenden und dem organisierten Christentum zunehmend den Rücken kehrenden Gesellschaft mit einer dramatischen Wucht so distanzlos vorzuführen, dass da kein Ausweichen in ästhetische Opernleidenschaft möglich ist: Hier musst Du Farbe bekennen so wie diese Nonnen es taten, auf die hier aufgeworfenen existenziellen Fragen des eigenen Umgangs mit den, wie Bieito es formuliert „drei Grundlagen von Menschsein überhaupt: Spiritualität, Kunst und Liebe.“ Gebündelt werden diese zu einer Ur-Angst, die das Leitmotiv der Oper ist. Die Angst und der Tod. „Der Tod ist sozusagen der wichtigste weil einzig unausweichliche Moment unseres Lebens“.
Die Geschichte, die zeitlos erzählt wird, ist die einer jungen Frau, die aus Angst vor dem Leben in dieser Gesellschaft ins strenge Karmelitenkloster geht und dort auch wieder die Angst – die Angst der anderen – kennenlernt und schließlich lieber mit ihnen in den Tod geht als ihm auszuweichen. Das ganze Drama dieser differenziert dargestellten Schwestern-Gemeinschaft spielt sich äußerlich auf einer bedrohlichen Einheitsbühne karger, turmartig aufgebauter Metallbetten ab, tatsächlich aber in einer Musik, die eine wahre Entdeckung ist und deren Überwältigungskraft man sich kaum entziehen kann: Zarteste Chorgesänge kontrastiert mit wuchtigen Paukenschlägen, einer Blechbläser-Sektion, die man so in der Komischen Oper noch nie dem Bühnengeschehen eine so dramatische Wirkung der vierten Dimension hat geben hören – überhaupt ist dieses Orchester unter der Leitung von Stefan Blunier geradezu in Spitzenform und lohnt schon um seinetwillen, den Besuch der Karmeliterinnen.
Differentzierte Hochleistungen
Aber die Musik aus dem Orchestergraben findet ihren kongenialen Partner im Ensemble der Sänger-Schauspielerinnen. Alles läuft ja, von der Handlung her gesehen, auf die Guillotinierung der Schwestern zu – und atemlos verfolgt man dieses dramaturgisch-musikalische Crescendo hin zu diesem Höhepunkt der bis zur eigenen Zuschauerbetroffenheit nachvollziehbaren Angst vor dem brutalen Tod aus dem Geiste der religiösen Selbstüberwindung. Wenn es je einer Bühne gelungen ist, eine Mordaktion realistisch, fast möchte man sagen naturalistisch darzustellen – wer kennt sie nicht, die Bilder von den Mordkommandos der deutschen Einsatzgruppen beim Abschießen hilfloser Frauen und Kinder - dann ist es hier, wobei es offen bleiben darf, ob die unheimlich genaue Musik oder die gesanglich differenzierten Hochleistungen der Sängerinnen oder deren darstellerische Kunst, ihre Todesangst miterleben zu lassen, oder eben Bieitos Personenführung ausschlaggebend sind: Was wir zu sehen und zu hören bekommen, ist für eine Bühne einmalig, für die ungebrochen mörderische Gegenwart (Srebrenica) aber eine sich wiederholende Geschichte. Auch der qualvoll auskomponierte und von Christiane Oertel bewegend bis an die Schmerzgrenze gespielte und gesungene mühsame Tod der alten Priorin – bis hin zur Totenwaschung durch zwei Nonnen - muß hier erwähnt werden als weiteres Beispiel für Bieitos kompromißlose Provokation, die bricht mit der Verharmlosung ästhetisierten rührenden Sterbens der tragischen Operndiven (Violetta, Desdemona). Und dann sind da die spannungsgeladenen langen Pausen, die Blunier als wahre musikdramaturgische Denkpausen inszeniert.
Genug des Kritiker-Lobes: Man gehe hin, schaue, höre, lasse sich auf Poulencs musikalische Herausforderung ein und denke über das Gehörte, Gesehene, Erlebte nach – ehe der betriebsame Alltag mit seiner Ersatzreligion von „Vergnügen und Geld, womit die Menschen aber nur unzufrieden und unglücklich werden“ (Bieito), uns wieder voll im Griff hat.
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