Warum singen die Vögel?

Musik über die Musik Olivier Messiaens "Saint Francois d`Assise" an der Deutschen Oper Berlin

Das kulturelle Großereignis, Olivier Messiaens Franziskus-Oper in der Deutschen Oper, endete mit einem Triumph für die Musik, einem Triumph für die, die sich in ihren Dienst gestellt hatten: für Orchester, Chor, Solisten und den Dirigenten Marc Albrecht - und einer herben Niederlage für den, der diesem ungewöhnlichen Werk einen zusätzlichen Erwartungsbonus gegeben hatte: Daniel Libeskind, seit dem einzigartigen Jüdischen Museum ein großer Name, nun auch Opernregisseur und Bühnenbildner. Fast unisono tönte die Ablehnung des Premierenpublikums. Da dabei allerdings auch richtige Pfeifen zu hören waren, liegt der Verdacht nahe, es habe es sich hier um eine vorbereitete Protestaktion gehandelt. Wie auch immer: über allem stand das Werk eines Musikers, der inzwischen ins Pantheon der ganz Großen aufgenommen worden ist, wo er eine einzigartige Position innehat - Musik als Gottesbeweis. Schon um dieser ungeheuer dimensionierten Beweisführung willen dürfte der Opernbesuch das Aufregendste sein, was derzeit auf der abgemagerten und orientierungslos vor sich hin routinierenden deutschen Bühnenszene zu erleben ist.

Warum singen die Vögel? Für rationalistische Wissenschaftsgesellschaften ist das eine längst beantwortete Frage ("Brunst-Lockrufe"), in vormodernen Gesellschaften inspirierte ihr Gesang Mythen und Folklore und noch Oscar Wilde schuf aus dem Lied der Nachtigall eine der anrührendsten Liebesmärchen. Olivier Messiaen hat gewissermaßen gegen diese Moderne Zeit seines Lebens (1908-1992) überall in der Welt Hunderte von Vogelstimmen als musikalisches Material aufgezeichnet - dabei notierte er zusätzlich Farben, Formen, Düfte, den Wind und das Licht der dazugehörenden Landschaften. Im Gesang der Vögel aber erkannte er etwas, das in einer bloßen biologischen Funktionalität nicht aufgeht, nämlich das Tor zu einer spirituellen Dimension der Natur - und die konkretisierte sich für ihn persönlich im katholischen Glauben. Messiaen war nicht nur bekennender Christ, sondern auch explizit katholischer Komponist und hat mit seiner Musik darüber fortwährend Rechenschaft abgelegt. Die Einarbeitung der Vogelstimmen in seine Kompositionen ist mehr als bloße Materialbereicherung: Wenn sie gewissermaßen die authentische Stimme gottgeschaffener Schöpfung sind, dann wird seine Musik zum Medium ihrer Vermittlung, eben Musik über die Musik. "Die Musik trägt uns zu Gott aus Mangel an Wahrheit" zitiert Messiaen Thomas von Aquin, die Wahrheit ist uns nur, wie es platonisch bei Goethe heißt, "am farbigen Abglanz" erahnbar; und so heißt es in der Oper: "Musik und Poesie haben mich (Franziskus) in Deine Nähe geführt: durch das Abbild, durch das Symbol und durch das Fehlen von Wahrheit".

Diese Oper, Saint Francois d`Assise, deren Textbuch ebenfalls vom Komponisten stammt, war eine Art Auftragswerk der Pariser Oper unter Liebermann und hatte 1983 ihre Uraufführung - acht Jahre hatte Messiaen daran gearbeitet. Aufgrund ihrer enormen instrumentellen und musikalischen Komplexität und nicht zuletzt ihres gewaltigen Umfanges - acht Bände Partitur, mehr als vier Stunden Musik - gilt sie als fast nicht aufführbar und die ungekürzte Berliner ist darum auch nach Salzburg und Leipzig weltweit erst die vierte Aufführung überhaupt.

Es ist eine Musik, die aus einer Fülle kleiner je für sich mit Bedeutung besetzter Einheiten zusammengesetzt ein großes Mosaik ergibt, ein Tableau, das sinnlich unmittelbar erlebbar, für die anteilnehmende Phantasie geradezu im Unsichtbaren sichtbar und ohne analytisches Vorwissen verständlich ist. Diese sinnliche Überwältigung mag theoretisch an Wagner erinnern, aber während jener das Gefühl geradezu totalitär vergewaltigt, bleibt bei Messiaen der Kopf immer klar und die Musik eben wegen ihrer Konstruktion aus dieser Fülle hörbarer Elementarteilchen immer durchsichtig.

Und sie ist doch zugleich ekstatisch und mitreißend: Wenn der Schlussakkord in der "weißen Tonart" C-Dur in einer unendlich scheinenden Fermate gar nicht aufhören will, ja sich langsam zu einem schier unglaublichen Fortissimo steigert, dann wird das Unerträgliche bis an die Schmerzgrenze ausgedehnt, werden wir von der Musik so geblendet wie Faust vom Anblick der Sonne und wird Musik zum Vorgeschmack der Ewigkeit, in der die Zeit aufgehoben ist. Diese sinnliche Erfahrung der "Freiheit der Herrlichkeit" ist durch keine noch so gute Reproduktion, sie ist nur im lebendigen Vollzug zu erleben. Dieser Wahrheit des Komponisten, seinem Lobe von etwas, das größer ist als wir, der Aufforderung zum Aufbruch in die Spiritualität, der jede/r folgen kann und wozu es keiner Auserwähltheit - wohl aber der großen Anstrengung - bedarf, dem ist in der Begegnung mit dieser Musik schwer auszuweichen.

Und doch traf die Inszenierung Libeskinds auf eine breite Ablehnungsfront des Premierenpublikums. Nicht, dass der technische und ästhetische Aufwand der Produktion nicht eindrucksvoll wäre - im Gegenteil. Es gab eher zu viel Bedeutungsschwere durch eine Maschinerie, die als Mitspieler konzipiert war: Sieben mal sieben schwarze Würfel mit seltsamen Zeichen, dunklen Spiegelflächen und architektonischen Modellen besetzt füllen die Bühne aus und machen aus den singenden Protagonisten Randfiguren. Liest man Libeskinds Erläuterungen zur Genesis dieser lebendigen ›Gesamtskulptur‹, so scheint es sich um ein - in sich durchaus faszinierendes - älteres, aber unerfüllt gebliebenes Projekt Writing Architecture Machine für die Biennale in Venedig gehandelt zu haben, das er, ob seiner damaligen Intentionen als "spirituelles Experiment" jetzt auch als Konzept für dieses religiöse Werk für geeignet hielt. Man könnte von einer Art "Recycling" sprechen, von ästhetischer Umfunktionierung. Und die ging nicht auf. Schwarz und bedrohlich wirken die sich rätselhaft im dunklen Bühnenraum bewegenden Maschinenelemente, die keine "Antwort auf Messiaens musikalischen Text mit einem architektonischen Text" (Libeskind) sind, sondern ein unproduktiver Kontrast zu einer strahlenden Musik mit einer ihr zugrundliegenden Farbtheologie.

Es ist, als wolle Libeskind jede mögliche Assoziation mit der Jesus-Nachfolge unterdrücken, um religionsübergreifend den "Suchenden" in diesem historisch nach wie vor rätselhaft großen Menschen herauszuarbeiten. Franz von Assisi auch bildlich ohne Kreuz - eine "Aktualisierung", die konzeptionell nachvollziehbar ist, aber in dieser Radikalität dann letztlich doch etwas Unredliches hat. Kohärent damit die Verweigerung jeder Andeutung franziskanisch-mönchischer Attribute in der Kostümierung: Franz selbst in einem schön geschneiderten rotbraun-silbrigen Mantel, luxuriöser Gegensatz zur grob gewebten Kutte des armen Heiligen. Die geradezu statische Führung des Chores und der Brüder mit einer Fülle schwer verständlicher Details erzeugen ein weiteres szenisches Unbehagen, das nicht zum Stachel im bequemen kulturellen Konsumverhalten wird, sondern der spirituellen Wucht dieser Musik eher im Wege steht.

Trotzdem. Intendant Zimmermann resümierte die lange, intensive und offensichtlich auch konfliktgeladene Probenzeit mit dem Wort, der Weg sei das Ziel, die Aufführung eher eine "Zugabe" zu einem Lernprozess an einem Werk, das keinen der Mitwirkenden unverändert, unberührt gelassen habe. Das ist seiner Wiedergabe und allen Beteiligten anzumerken, das teilt sich dem Publikum mit und dafür muss man der Deutschen Oper dankbar sein - für diese sich selbst transzendierende Begegnung mit dem Außergewöhnlichen.

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