Wohlstandsgefängnis

Die fetten Jahre sind vorbei II Die Alt-68er, die erwachsen werden mussten in dieser Gesellschaft

"Die fetten Jahre sind vorbei" - diese Botschaft hinterlassen zwei junge Leute in den Berliner Luxusvillen, in die sie einbrechen, um die noblen Inneneinrichtungen zu bizarren Raumskulpturen aufzutürmen, die teuren Kunstwerke in den Kühlschrank zu packen und das Riesensofa in den Swimmingpool zu kippen; geklaut wird nicht. Dem Klassenfeind Angst einjagen, ihn verunsichern - "die Erziehungsberechtigten" unterzeichnen sie ihre Bekennerschreiben. Eine kleine, harm- und hilflose No-Global-Protestaktion. 1968 ist vorbei, die Großdemos bringen nichts mehr, aber das linke Gewissen will beruhigt werden. Tucholsky hatte solche aktionistische Rhetorik - denn es ist Rhetorik!- auf den bösen Begriff gebracht: "Man tut was für die Revolution und beruhigt sich bei dem Wissen, so kommt sie doch nicht. " Um diesen Kern spinnt Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Hans Weingartner eine sympathische Handlung, einen Kleinkrimi mit Spannung und Gefühl, mit großer Zuneigung für seine Figuren: Zu den zwei revolutionären Freunden (Daniel Brühl und Stipe Erceg) gehört eine junge Frau (Julia Jentsch), die erst dem einen, dann dem anderen zugehört - Beziehungskrise, aber die Männerfreundschaft ist stärker. Ein Vierter wird unfreiwillig Mitglied der Verschwörerbande: der geldschwere Manager Hardenberg (Burghart Klaußner), der die Freunde beim Einbruch erwischt und den sie darum notgedrungen entführen. Hardenberg stellt sich als Alt-68er heraus und belebt mit dem überzeugenden Leben dessen, der einfach erwachsen werden musste in dieser Gesellschaft das alte Klischee: "Wer unter 30 nicht links und über 30 noch immer links ist, ist nicht normal." Tatsächlich haben unsere sympathischen jungen Rebellen den pragmatischen Argumenten ihres Gefangenen nichts entgegenzusetzen außer papierenen Phrasen über Armut und Ausbeutung der Dritten Welt, die an intellektuellem Niveau weit unter dem liegen, was No-Globals, Weltsozialforum und Attac, Naomi Klein oder Arundhati Roy in unzähligen Schriften an Anklagematerial gegen die Multis populär aufbereitet und leicht zugänglich gemacht haben. Naiv ist schon ein Euphemismus zur Kennzeichnung dieser Repräsentanten der heutigen Protestgeneration - denn das sollen sie offensichtlich sein. Wer es, wie unser gefangener Manager, der den Dreien in einer Mischung von Ehrlichkeit und Heuchelei Sympathie für ihren Idealismus bezeugt, mit solchen Gegnern zu tun hat, der hat wenig zu fürchten. Die "Erziehungsberechtigten" Weingartners sind Papiertiger.

Eine der Fragen, die man stellen darf und muss, lautet: Hat Weingartner Recht, wenn er ein solches Bild zeichnet? Alte Linke (wie der unterzeichnende Kritiker) mögen in der Tat den heutigen Protestbewegungen einen Verlust an intellektueller und theoretischer Stringenz und der Anstrengung des Begriffs ankreiden, ihnen auch eine partielle Orientierungs- und Ratlosigkeit zum (ungerechten) Vorwurf machen - aber derart analytisch unbedarft sind die heutigen Protestbewegungen dann doch nicht. Vielmehr haben sie inzwischen eine Ernst zu nehmende und - im Gegensatz zu den 68er Marxisten - keineswegs überwiegend sektiererisch-elitäre Literatur hervorgebracht, ohne die es die Zehntausende von Florenz oder Porto Allegre und die dort gehaltenen Reden nicht gegeben hätte. Unsere menschlich rührenden und berührenden Rebellen im Film haben davon anscheinend nichts gehört. Sie stehen in keinem Zusammenhang mit solchen Bewegungen (allenfalls eine kurze Protestszene in einer Einkaufsstraße gegen die in asiatischer Kinderarbeit gefertigten Schuhe wäre so zu deuten), scheinen überhaupt - jedenfalls die beiden männlichen Akteure - ein merkwürdig abstraktes Leben ohne Bodenhaftung, ohne erkennbaren Beruf, aber mit ausreichendem Einkommen zu führen.

Das Beste an diesem Film sind die wunderbaren Schauspieler, so dass man sich seines Mitgefühls für diese Menschen nicht zu schämen braucht. Weingartners Botschaft ("aufzurütteln und ein Bewusstsein zu schaffen") wird es aber schwer haben, gehört zu werden. Ohne leidenschaftliche und begründete Empörung über den Zustand unserer Welt gibt es keine "revolutionäre Energie", sondern bestenfalls Jugendstreiche. Weingartners "Revolutionäre" haben am Schluss aus ihrem fast katastrophal endenden, kindlichen Aktionismus nichts gelernt und brechen auf in die schlechte Utopie der nächsten privaten Protestaktion. Während wir sie im Epilog auf dem Weg sehen, Fernsehmasten in die Luft zu sprengen, nur damit in Europa für einige Minuten die Glotze ausgeht, engagieren sich zum Beispiel Tausende junger Idealisten in konkreten Dritte-Welt- und Umweltprojekten mit der revolutionären Geduld des langsamen Bohrens dicker Bretter. Das gibt nicht den Stoff für einen in Cannes gelobten Aktionsfilm, könnte aber dem erklärten Traum des Regisseurs, jungen Leuten "auf der Suche nach ihrer verschütteten revolutionären Energie" Mut zu machen, einen Ort anbieten. Keine Utopie, aber eine Perspektive.

Ekkehart Krippendorff, geboren 1934, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und lebt in Berlin. Er verfasst für diese Zeitung regelmäßig Theaterkritiken.


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