Neuer Kongress – frischer Wind

Madrid Die Vereidigung der neuen Kongressmitglieder ist ein Vorgeschmack auf den politischen Wandel in Spanien. Neue Gesichter, skurrile Vorfälle, aber auch harte Bandagen.

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Die altbekannten grauen Eminenzen in Schlips und Kragen wirkten fast ein bisschen deplaziert, zwischen all den jungen Gesichtern, Rastalocken und Lederarmbändchen im spanischen Kongress. Aus dem ein oder anderen gequälten Grinsen zu schließen, fühlte sich manch alter Herr auch etwas unbehaglich.

Baby im Parlament

Der Podemos-Abgeordnete Lopes de Uralde fuhr mit dem Fahrrad vor. Rita Bescansa von Podemos brachte ihr Baby Diego samt Kinderwagen mit, und hievte das Gefährt über die Treppen des Plenarsaals. Die Podemos-Kollegen herzten und busselten den Säugling quer durch die Abgeordnetenbänke. Zwischendurch gab Mama die Brust. Diskrete Hinweise einiger PP-Abgeordneter, dass es im Kongresspalast auch einen Wickelraum mit Betreuung gebe, ignorierte Bescansa. Es sei an der Zeit das alltägliche Leben auf der Straße in die Parlamente zu tragen.

Mehrere Abgeordnete mussten Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Später entschuldigten sich die Sicherheitskräfte, man habe nicht gewusst, dass es sich um Kongressmitglieder gehandelt habe. Abgeordnete, die in Jeans und T-Shirt auflaufen, kennt man bisher nicht im Kongresspalast. Und die Gesichter schon gar nicht, denn 62 Prozent der Abgeordneten sind neu.

Verfassungseid frei nach Podemos

Auch beim Eid auf die Verfassung erlaubten sich die Podemos-Abgeordneten ungewohnte Freiheiten: „Ich verspreche die Verfassung zu achten, daraufhin zu arbeiten sie zu ändern und die staatlichen Institutionen für das Volk wiederherzustellen. Niemals wieder ein Land, ohne seine Bürger.“

„Das war ein Riesenspaß“ meinte der Sozialist Rafael Simancas nach der ersten Sitzung des neuen Kongresses.

Trotz allem wurden am ersten Tag die Fäustlinge ausgepackt und harte Politik gemacht.

Sozialist ist Kongresspräsident

Der baskische Sozialist Patxi Lopez wurde zum neuen Kongresspräsidenten gewählt. Darauf hatten sich zuvor Ciudadanos, Sozialisten und die PP geeinigt. Ciudadanos-Chef Albert Rivera hat den Deal vermittelt. Podemos-Vorsitzender Pablo Iglesias wirft PSOE-Führer Pedro Sanchez vor, durch den Handel mit der Partido Popular, die eigenen Wähler verraten zu haben. Sanchez verteidigt sich, er habe ausschließlich mit Ciudadanos verhandelt, nicht mit der Volkspartei.

Krach zwischen PSOE und Podemos

Kein Mitglied von Podemos wird, wie von den Newcomern gefordert, am sogenannten Kongresstisch sitzen, der die Kongressarbeit koordiniert. Sattdessen haben die Sozialisten einen ihrer Plätze an ein Mitglied der baskischen Partei PNV abgetreten.

Damit ist das Klima zwischen Podemos und der PSOE deutlich abgekühlt: „Wenn Jemand Knüppel zwischen die Beine einer politischen Wende geworfen hat, dann war das Sanchez“, so Iglesias. Denn Sanchez braucht Podemos für seine Investitur als Ministerpräsident. Iglesias müsse entscheiden, ob er mit seinem Votum eine PSOE- oder eine PP-Regierung unterstützen werde, konterte Sanchez. Bing, Ring frei für die nächste Runde.

Diego for president

Allen die Show gestohlen hat aber zweifelsohne der sechs Monate alte Diego. Und das, obwohl er nicht mal wahlberechtigt und schon gar kein gewähltes Kongressmitglied sei, findet "El Mundo". Die Reaktion der Spanier ist gespalten: Ein Baby im Kongress? Zumutung oder richtig so? Diego jedenfalls hätte es weit bringen können an dem Tag. Bei den Wahlen zum Kongresspräsidenten wählte ein Abgeordneter: Diego.

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