Spanien beerdigt Demonstrationsfreiheit

Knebelgesetz Am 1. Juli trat in Spanien das Knebelgesetz in Kraft. Die ley mordaza schränkt die Demonstrations- und Meinungsfreiheit empfindlich ein. Die Bußgelder sind ruinös hoch

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Eine spanische Aktivistin protestiert gegen das nun in Kraft tretende Gesetz
Eine spanische Aktivistin protestiert gegen das nun in Kraft tretende Gesetz

Foto: Dani Pozo/AFP/Getty Images

Nur wenige Monate vor den Parlamentswahlen versetzt die konservative Regierung der Demokratie im eigenen Land einen weiteren schweren Schlag. Das neue „Gesetz zum Schutz des Bürgers“, im Volksmund „Knebelgesetz“ (ley mordaza), liefert die Bürger tatsächlich der Willkür der Staatsgewalt aus und erstreckt sich von der Straße bis ins Internet

Unangemeldete Versammlungen und Demonstrationen vor öffentlichen Gebäuden, seien es Krankenhäuser, Verwaltungen oder das spanische Parlament, werden von jetzt an mit bis zu 30.000 Euro geahndet. Protestaktionen innerhalb öffentlicher Gebäude kosten bis zu 600.000 Euro. Wer unautorisiert Bilder oder Videos von Sicherheitskräften verbreitet, muss ebenfalls mit Strafen von über einer halben Million Euro rechnen.

Freibrief für die Polizei

Obwohl die Beträge eklatant sind, handelt es sich „nur“ um Ordnungswidrigkeiten bzw. verwaltungsrechtliche Sanktionen, die von der Behörde verhängt werden und nicht von einem Gericht. Der Rechtsweg im Vorfeld ist damit ausgeschlossen. Das Bußgeld kann höchstens im Nachhinein gerichtlich angefochten werden, sofern der Kläger dann noch liquide ist. Der Gesetzgeber hat die Polizeibeamten quasi mit richterlichen Kompetenzen ausgestattet: Sie fällen das Urteil welche verwaltungsrechtliche Sanktion verhängt wird.

Störungen öffentlicher oder religiöser Veranstaltungen ziehen Geldbußen bis 600.000 Euro nach sich. Spontane Versammlungen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen kosten 100 bis 600 Euro.

Wer es gegenüber der Polizei an Respekt fehlen lässt, sich nicht ausweist, oder seinen Ausweis dreimal im Jahr verliert, gegen Zwangsräumungen demonstriert oder auf der Straße Alkohol konsumiert, muss ebenfalls mit Bußgeldern bis 600 Euro rechnen. Demonstranten die Zwangsräumungen aktiv behindern bittet der Staat mit bis zu 30.000 Euro zur Kasse.

Aufrufe im Internet strafbar

Der regelmäßige Besuch „krimineller“ Seiten im Internet kann mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft werden. Aufrufe zu spontanen Protestkundgebungen über soziale Netzwerke oder sms können ebenfalls Geldbußen oder Haftstrafen nach sich ziehen.

Die Volkspartei hatte das Gesetz mit ihrer absoluten Mehrheit gegen den Widerstand der übrigen Parteien durch das Parlament gedrückt. Nicht nur die Oppositionsparteien sind empört, auch NGO's wie Amnesty International oder Greenpeace kritisieren das Gesetz. Kritische Bürger würden nun wie gefährliche Bürger behandelt, rügt der Oppositionsabgeordnete Amor von den Sozialisten.

Zurück zur Franco-Diktatur

Das Knebelgesetz wirft Spanien zurück in die dunkelsten Tage des Franco-Regimes“, titelt die New York Times. Menschenrechtsexperten der UNO kritisieren, dass das Gesetz in vielen Bereichen nicht eindeutig formuliert sei und damit Tür und Tor öffne für eine „unverhältnismäßige“ Anwendung.

So sei auch der Begriff Terrorismus schwammig formuliert, und erlaube eine Kriminalisierung von Aktivitäten, die nicht terroristisch sind. Auch bestehe die Gefahr der missbräuchlichen Kontrolle und Zensur im Internet.

„Das Gesetz schränkt Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung unnötig und unverhältnismäßig ein“, so der UNO Sonderbeauftragte Kiai.

Protestveranstaltungen wie die Besetzung der Puerta del Sol in Madrid durch die „Indignados“-Bewegung, aus der später die „Podemos“-Partei hervorging, sind mit der Gesetzesreform wohl endgültig passé. Als die Krankenpflegerin Romero wegen schlampiger Sicherheitsvorkehrungen an Ebola erkrankte versammelten sich Bürger und Krankenhausangestellte spontan und spanienweit vor und in Krankenhäusern, um gegen die Fahrlässigkeit der Gesundheitsbehörde zu protestieren. Dem schiebt das neue „Gesetz zum Schutz des Bürgers“ jetzt einen Riegel vor. Auch die vielen spontanen Kundgebungen gegen Zwangsräumungen durch die Banken, welche in der Presse stets großen Widerhall fanden, gehören nun wahrscheinlich der Vergangenheit an.

Wo keine Kundgebung, da auch kein Artikel. Damit reduziert sich die von der Regierung so oft kritisierte „Negativberichterstattung“ der Medien. Sicherlich ist das Teil des Kalküls der Volkspartei.

Spanier nutzen ihr Demonstrationsrecht

Die Wut der Spanier ist groß: 87.000 mal gingen sie in den vergangenen zwei Jahren auf die Straße. Das sind über hundert Demonstrationen pro Tag. Allerdings kam es in den wenigsten Fällen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die Demonstranten halten sich an die Regeln. Warum also, fragt die Organisation „no somos delito“,musste das „Gesetz zum Schutz der Bürger“ verschärft werden?

Die Antwort des spanischen Präsidenten Rajoy ist knapp und süffisant. Er verstehe den Trubel um die Gesetzesreform nicht. Schließlich stärke das neue Gesetz doch nur die „freie Ausübung der Grundrechte“.

Die traurige Wahrheit ist wohl eher, dass die Volkspartei im Wahlkampf jeglichen politischen Protest auf der Straße schon im Keim ersticken will.

Kollekte mit dem Knebelgesetz

Neben dem Abschreckungseffekt, könnte das „Knebelgesetz“ auch erhebliche Summen in die klammen Staatskassen spülen, zu Lasten kritischer Bürger, die dennoch von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen.

De facto hat die Regierung mit dem "Knebelgesetz" eine Einnahmepipeline geschaffen, die sich, aufgrund der Beliebigkeit der Bußgelder (30 bis 600.000 Euro) und des weiten Einsatzfeldes (sms, Internet, soziale Netzwerke, Straße), je nach Geldbedarf auf- und zudrehen lässt.

Und Anlass zu protestieren gibt es in Spanien mehr als genug: Zahlreiche Politiker der Volkspartei sind in Korruptionsskandale verstrickt. Dass die Regierungspartei auf Justiz und Ermittlungsbehörden einwirkt, um die Korruption zu vertuschen, ist in Spanien ein offenes Geheimnis. Auch die öffentlich rechtlichen Medien werden von der Partido Popular gegängelt und die privaten Medien unter Druck gesetzt.

Eine jahrelange sozial ungerechte Sparpolitik versucht die Volkspartei nun, kurz vor den Wahlen, mit einer Politik der Zuckerbrötchen wieder wett zu machen. Der plötzliche Stimmungswandel ist vor allem eines: Unglaubwürdig.

Der einzige Pluspunkt im Wahlkampf der Volkspartei ist der mantra-artig wiederholte Wirtschaftsaufschwung. Der aber ist bei den meisten Spaniern noch nicht angekommen.

Dass die eigenen Argumente zu schwach sein könnten für einen Wahlsieg, fürchtet mittlerweile auch die konservative Regierung und packt mit dem „Knebelgesetz“ in der heißen Wahlkampfphase Daumenschrauben und Streckbank aus.

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