Verdun in Madrid

Spanien Die „Blutpumpe“ des ersten Weltkriegs und Rajoys Strategie, die Sozialisten abzunutzen haben viel gemeinsam. Wird Rajoys Verdun sein Waterloo? Oder sein Königgrätz?

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Am 21. Februar 1916 befahl der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn den Angriff auf die französische Festung Verdun. Es folgte ein achtmonatiges Gemetzel, das 800.000 Soldaten das Leben kostete. Dabei hatte Verdun kaum strategischen Wert. Ziel des deutschen Generalstabs war es, die Franzosen auszubluten und die alliierten Engländer zur Aufgabe zu zwingen. Beides misslang. Heute ist Verdun das Symbol militärischen Scheiterns schlechthin.

Rajoy auf verlorenem Posten

Wie die Deutschen damals, steht auch Mariano Rajoy heute auf verlorenem Posten. Niemand will mit ihm koalieren, niemand will ihn als Ministerpräsidenten. Weil er nicht gewinnen kann, versucht der scheidende Ministerpräsident seine Gegner auszubluten. Mit seinem Verzicht auf die Regierungsbildung hat sich Rajoy Zeit erkauft, und die Reihen seiner Gegner erst mal durcheinander gewirbelt.

Auch die Deutschen verzeichneten bei dem Angriff auf Verdun zunächst Geländegewinne, um sich dann festzubeißen. Die Franzosen hatten sich neu geordnet und leisteten unerwartet zähen Widerstand. Rajoy spekuliert auf den Sturz des sozialistischen Parteichefs Pedro Sanchez, um dann mit einer neuen Parteiführung der PSOE doch noch ins Geschäft zu kommen. Sollte das nicht klappen, dann rechnet er mit Rückenwind bei Neuwahlen, weil sich seine Gegner, bei dem erfolglosen Versuch eine Linksregierung auf die Beine zu stellen, ausgezehrt haben.

Minenfeld Neuwahlen

Was aber passiert, wenn die Sozialisten, wie einst die Franzosen, jetzt erst recht zusammenrücken und Rajoy als Premier mehr denn je ablehnen? Wenn der Druck der Volkspartei die Gegner Rajoys doch noch zusammenschweißt, und sei es in Form von Kooperationen statt Koalitionen? Und wenn es zu Neuwahlen kommt, wie werden die Spanier reagieren? In vier Wochen Stellungskrieg seit den Wahlen hat Rajoy alles andere als konstruktive Politik gemacht.

Stattdessen die alten Rezepte; wie schon im Konflikt mit Katalonien, gab er sich kompromiss- und gesprächsbereit, ohne Kompromisse anzubieten oder Gespräche zu führen. Mit seinem Nein zur Investitur, ohne aber zurückzutreten, hat Rajoy einmal mehr die Spielregeln geändert, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Denn eigentlich hätte er den Auftrag des Königs annehmen müssen.

Hat Rajoy den König für sein getürktes Spiel benutzt? Oder war es gar ein abgekartetes Spiel zwischen dem Königshaus und der Volkspartei, um die Sozialisten in Bedrängnis zu bringen? Bei der PSOE gibt es Einige, die das argwöhnen. Die Weihnachtsansprache von Felipe VI, jedenfalls klang als sei sie für die PP geschrieben. So beschwor der König den politischen Dialog und die spanische Einheit, und verlor kein Wort über die Korruption.

Und nicht zuletzt hat Rajoy, wieder einmal, nicht Wort gehalten, mit seiner Versicherung, er werde sich „natürlich“ erneut für das Amt des Ministerpräsidenten anbieten, um die Investitur dann abzulehnen. Werden die Spanier Rajoys zähes Festhalten an der Macht, mit allen Mitteln, an den Urnen bestrafen? Gut möglich.

Korruption taufrisch

Dazu kommen diverse taufrische Korruptionsskandale, die bis in die jüngste Vergangenheit und die höchsten Sphären der konservativen Regierung reichen. In Valencia hat die Polizei 24 Personen festgenommen, darunter den ehemaligen Kreistagspräsidenten der PP, Alfonso Rus. Es geht um illegale Kommissionen bei der Vergabe von Bauaufträgen. Auch die ehemalige PP-Bürgermeisterin von Valencia, Rita Barbera, könnte involviert sein. Wie schon einst für den ehemaligen Schatzmeister der PP, Luis Barcenas, hält Rajoy für Barbera seine Hand ins Feuer. Sie sei „absolut sauber“. Und wieder einmal handele es sich nur um "Einzelfälle", so Rajoy in einem Fensehinterview. Ab wie vielen Einzelfällen sind, nach konservativer Rechnung, Einzelfälle keine Einzelfälle mehr? Rajoy sieht jedenfalls keinen Grund, weshalb die neuesten Korruptionsskandale die Verhandlungen für eine Regierungsbildung erschweren sollten.

Im Fall Acuamed wurden 14 Personen festgenommen, darunter hohe Beamte des Umweltministeriums, die beim Bau von Entsalzungsanlagen öffentliche Gelder, überwiegend aus EU-Fonds, in Millionenhöhe abgezweigt haben sollen. Frederico Ramos de Armas, ein enger Vertrauter der Vizeregierungschefin, Soraya Saenz de Santamaria, soll bereits im März 2014 interne Ermittlungen gestoppt haben. Ein ranghoher Beamter, der die Unregelmäßigkeiten aufgedeckt hatte, verlor seinen Posten. Rajoys neuerliche Beteuerung, seine Partei gehe "unerbittlich" gegen die Korruption vor, wird damit ad absurdum geführt. Auch der ehemalige Landwirtschaftsminister und heutige Europakommissar, Arias Cañete, könnte in den Fall verwickelt sein.

Auffällig ist, dass beide Korruptionsfälle in Madrid und Valencia ans Tageslicht kamen, in denen im Frühjahr 2015, linke Regierungsbündnisse die jahrelange Vorherrschaft der alten konservativen Garden abgelöst haben. Was könnte das für Spanien bedeuten, wenn die konservative Regierung das Ruder aus der Hand geben muss?

Außerdem wurde ein Verfahren gegen die Volkspartei an sich eröffnet, wegen der Vernichtung von Beweismaterialien im Fall Barcenas.

Schwankende Sozialisten

Mit deutschem Maß gemessen müsste Rajoy längst erledigt sein. Aber in Spanien ticken die politischen Uhren anders. Denn im Falle von Neuwahlen würden nicht die Sozialisten profitieren, sondern Podemos. Daher mehren sich in der PSOE wieder die Stimmen, die für die Duldung einer PP/Ciudadanos-Regierung plädieren. Einer der Befürworter ist der ehemalige Regierungschef der Sozialisten, Felipe Gonzalez. "Herr Gonzalez, diese Volkspartei, mit Rajoy an der Spitze, und ohne irgendeine Erneuerung, soll die PSOE wieder an die Regierung bringen?" twittert vorwurfsvoll der bekannte Fernsehjournalist Inaki Gabilondo. Bleibt Sanchez hart? Wird er weich? Oder muss er weichen?

Nach einem Monat Hinhaltetaktik, macht Rajoy jetzt zum ersten Mal konkrete, aber auch lustlose, Angebote. Die Volkspartei könnte in den Regionalparlamenten die Politik der PSOE unterstützen, falls Podemos widerspenstig wird. Auch über eine Reform des Arbeitsgesetzes oder des umstrittenen Erziehungsgesetzes „Ley Wert“ könne man reden. Nicht verhandelbar sind nach wie vor, klipp und klar, Rajoys Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten.

Sanchez Antwort auf Rajoys Angebot ist ein klares Nein. "Wir unterstützen nicht die Partei der Korruption." Rajoy hätte bereits vor zwei Jahren zurücktreten müssen, als der Fall Barcenas publik wurde. Der Gestank der Korruption im Umkreis der Volkspartei werde langsam unerträglich. Die Zukunft der Volkspartei sei in der Opposition.

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