Wohin steuert Spanien?

Madrid Die meisten spanischen Parteien machen seit den Wahlen eine jämmerliche Figur. Ein Versuch zu analysieren, wohin die politische Reise Spaniens gehen könnte.

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Die einzige Partei, die bisher ihrer Linie treu geblieben ist, ist Podemos. Sie würde auch als einzige Partei von Neuwahlen profitieren
Die einzige Partei, die bisher ihrer Linie treu geblieben ist, ist Podemos. Sie würde auch als einzige Partei von Neuwahlen profitieren

Foto: GERARD JULIEN/AFP/Getty Images

Neuwahlen wollen die meisten Parteien in Spanien eigentlich verhindern. Sie müssten mit Stimmenverlusten rechnen, weil sie seit den Wahlen ein erbärmliches Schauspiel abliefern. Andererseits lässt die derzeitige Gemengelage wenig Spielraum für stabile Pakte.

Ciudadanos entlarvt

Die konservative Aufsteigerpartei, die im Wahlkampf versprochen hatte den korrupten Eliten das Handwerk zu legen, hat sich mit dem Plädoyer für Mariano Rajoy als Ministerpräsident selbst diskreditiert. Der halbseidene Versuch, den Lapsus durch politisches Lavieren wieder auszubügeln, hat die Glaubwürdigkeit der Newcomerpartei noch weiter untergraben. Ciudadanos hat sich endgültig geoutet als eine Partei, die aus demselben Holz geschnitzt ist wie die Volkspartei. Von Erneuerung keine Spur. Auch das Vokabular des aalglatten Parteiführers, Albert Rivera, könnte aus der Feder eines Redenschreibers der PP stammen. Er appelliert an die „Verantwortung“ im Namen der „Demokratie“ und der „Stabilität“. Im Falle von Neuwahlen, würde Ciudadanos von allen Parteien die meisten Federn lassen.

PSOE verkracht

Bei den Sozialisten ist bereits einen Tag nach den Wahlen der offene Krieg ausgebrochen. Seither steht alles zur Disposition; der eigene Parteichef Pedro Sanchez und das Wahlversprechen, Mariano Rajoy um jeden Preis zu verhindern, und eine Linksregierung zu bilden. Mit der klaren Absage der PSOE an die Forderung von Podemos, ein Referendum zur Selbstbestimmung in Katalonien durchzuführen, ist eine mögliche Koalition mit der Linkspartei in weite Ferne gerückt, und Sanchez Tage als Parteichef wären gezählt.

Neue starke Frau an der Spitze der PSOE, könnte dann die andalusische Ministerpräsidentin Susana Diaz werden. Die Karten möglicher Pakte würden nochmal neu gemischt. Aber bis es soweit ist, geben die Sozialisten vor, alles sei beim Alten geblieben. Die politische Quadratur des Kreises würde auch die PSOE, im Falle von Neuwahlen, viele Stimmen kosten.

Partido Popular in Geiselhaft

Unterdessen wirkt die PP immer mehr wie eine Partei, die vom eigenen Parteivorsitzenden Rajoy in Geiselhaft genommen wurde, um seine Investitur als Ministerpräsident zu erzwingen, „komme was wolle“. Und sollte die eigene Regierungsbildung nicht gelingen, dann will Rajoy wieder als Kandidat bei den Neuwahlen antreten. Es geht Rajoy vor allem um die Erhaltung der eigenen Macht, um jeden Preis. Und wenn das der Untergang der eigenen Partei ist, gar nicht zu reden von der sich hinziehenden Agonie eines Landes ohne handlungsfähige Regierung. Aznars Forderung einen offenen Parteikongress einzuberufen, hat Rajoy eine klare Absage erteilt. Ein solcher werde nicht stattfinden, weder „baldmöglichst“, und schon gar nicht „offen“.

Damit bleibt alles beim Alten. Während Rajoy sich nach außen gesprächsbereit gibt, ohne tatsächlich, -mangels Koalitionspartnern-, ernsthafte Gespräche zu führen, zwingt er die Parteiführung intern, auf seinen Kurs. Man gibt sich geschlossen und harmonisch, aber innerhalb der Partei rumort es. Nicht nur die meisten Spanier wollen Rajoy nicht noch einmal als Ministerpräsidenten, auch die Mehrheit der PP-Wähler wünscht sich eine neue Parteiführung.

Zwar gibt sich die PP gelassen, im Falle von Neuwahlen rechne man nicht mit Stimmverlusten. Tatsächlich könnte aber die Unfähigkeit der Partei zur Erneuerung aus eigener Kraft, die Volkspartei im Frühjahr Stimmen kosten.

Podemos profitiert

Die einzige Partei, die bisher ihrer Linie treu geblieben ist, ist Podemos. Sie muss sich daher auch nicht verrenken, um mit der PSOE eine Koalition einzugehen, da sie von Neuwahlen profitieren würde.

Linksregierung fraglich

PSOE-Parteichef Sanchez ist angezählt, und eine mögliche Koalition mit Podemos fraglich geworden. Noch offen ist die Frage, wie lange die Sozialisten den alten Schein aufrecht erhalten und wann Köpfe rollen werden. Warten sie Sanchez Verhandlungen mit den möglichen Partnern einer Linkskoalition ab? Und wenn diese scheitern sollten, übernimmt Diaz das Kommando, und die PSOE zieht mit neuer Parteispitze und neuem Wahlversprechen in die Neuwahlen?

Würde sich eine neue Parteichefin Diaz dann auf eine große Koalition mit der Volkspartei einlassen, wie von der PP gefordert? Eher unwahrscheinlich, denn die PSOE wäre in einer großen Koalition der klare Verlierer und die PP der Gewinner. In einem Dreierpakt mit den Rechtsparteien, PP und Ciudadanos würden die Sozialisten komplett zum Wasserträger degradiert. Wahrscheinlicher ist, dass sich die PSOE in die Opposition zurückzieht. Dort kann sie sich von Podemos einerseits abgrenzen, und andererseits mit den Linksparteien wirksam paktieren, um sich politisch zu profilieren.

Würde eine PSOE unter Diaz einer erneuten Investitur Rajoys zustimmen? Wohl kaum. Vielmehr wäre die neue Parteiführung nicht mehr an das Wort der alten Parteiführung gebunden und könnte Rajoy zugunsten eines alternativen Präsidentschaftskandidaten aus den Reihen der PP in die Wüste schicken. Damit könnte die PSOE für sich zudem verbuchen, geschafft zu haben, was der PP aus eigener Kraft nicht gelungen ist, nämlich eine personelle Erneuerung der Volkspartei.

Was wird aus der PP?

Andererseits, wie will eine schwache PP-Fraktion, in einer Minderheitsregierung, effektive Politik machen? Noch dazu gegen eine Opposition mit einem übermächtigen linken Block?

Der zur Schau gestellte Optimismus in den konservativen Reihen ist wohl eher ein Bluff. Der geforderte Dreierpakt, PSOE, Ciudadanos und PP entspringt mehr Wunschdenken, als politischem Realismus. Aber da Rajoy bedingungslos seine eigene Kandidatur durchsetzen will, bleibt ihm nichts anderes übrig als auf Traumschlösser zu bauen.

Rajoys krampfhaftes Festhalten an der Macht wirft auch die Frage auf: Geht es Rajoy tatsächlich nur um die politische Karriere? Oder steckt mehr dahinter? Zum Beispiel die Angst, dass ihn seine korrupte Vergangenheit einholen könnte, wenn er nicht mehr an den Schalthebeln der Macht sitzt? Rajoy wäre nicht der erste PP-Baron, der sich nach der Aufgabe seiner politischen Ämter vor Gericht wiederfand. Berühmte Beispiele sind der Exfinanzminister Rodrigo Rato, oder der Ex-Ministerpräsident der Balearen Jaume Matas.

Oder doch Neuwahlen?

Obwohl Ciudadanos-Chef Rivera Neuwahlen fürchtet, wie der Teufel das Weihwasser, schließt er diese mittlerweile nicht mehr aus. Tatsächlich hätte ein weiterer Urnengang auch sein Gutes. Der Hick Hack der letzten beiden Wochen hat vielen Spaniern die Augen geöffnet, wo die Parteien, die sie gewählt haben, tatsächlich stehen:

Ciudadanos legt den korrupten Eliten nicht das Handwerk, sondern sich mit ihnen ins Bett.

Innerhalb der PSOE gibt es starke Vorbehalte gegenüber einer Linksregierung, und man distanziert sich klar von Podemos.

Die PP stellt den Machtanspruch des eigenen Parteivorsitzenden über alles andere, auch wenn eine klare Mehrheit der Spanier sich bei den letzten Wahlen gegen Rajoy ausgesprochen hat.

Podemos ist tatsächlich die einzige Partei, die ihrer Linie treu geblieben ist.

Mit Neuwahlen hätten die Spanier auch das erste mal die Chance, eine unselige Angewohnheit spanischer Politiker zu sanktionieren, nämlich vor den Wahlen mit falschen Versprechen Stimmen zu sammeln, um nachher doch alles anders zu machen.

Und nach den Wahlen?

Gesetzt der Fall, was sich da dunkel am Horizont abzeichnet, tritt tatsächlich ein: Sanchez Versuch einer Linkskoalition scheitert, weil er von der eigenen Partei torpediert wird, und Diaz übernimmt die Parteiführung.

Sehr wahrscheinlich würden die Linksparteien insgesamt gestärkt aus den Neuwahlen hervorgehen, zu Lasten der PSOE und zugunsten von Podemos.

Eine geschwächte PSOE hätte jetzt die Qual der Wahl, entweder doch mit Podemos zu koalieren, oder sich auf eine große Koalition mit der PP einzulassen. Beides, aus Sicht von Diaz, Himmelfahrtskommandos für die Sozialisten. Die Opposition würde sich auch nicht mehr anbieten.

Wäre es dann für Diaz nicht vernünftiger der PSOE einen weiteren Aderlass zu ersparen, noch vor den Neuwahlen die Reißleine zu ziehen und die Investitur eines konservativen Ministerpräsidenten zu ermöglichen, um sich in die sichere Opposition einer schwachen Minderheitsregierung zu retten?

Darauf setzt wohl Rajoy. Aber im Weg steht, Rajoy. Denn Rajoy als Ministerpräsident lehnt die andalusische PSOE-Chefin bisher ausdrücklich ab. Oder...? Es wird immer noch gepokert, und die Einsätze sind noch nicht vom Tisch.

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