Mängel der Geschichte

Thriller Christoph Hochhäuslers „Die Lügen der Sieger“ dreht sich um Manipulation, Macht und Medien. Die Story bleibt recht überschaubar
Ausgabe 25/2015

Vielleicht fängt man am besten beim Licht an. Das Licht ist wichtig in Die Lügen der Sieger, Christoph Hochhäuslers neuem Film, einem Thriller über Manipulation, Macht und Medien. Wenn sich zwei mächtige Männer, ein Minister und ein Lobbyist der Chemieindustrie, in einem teuren Berliner Restaurant zum einvernehmlichen Handshake treffen, dann ist es dunkel – bis auf ein paar harte, grelle Spotlights, die den Schattenmännern höhnische Fratzen zeichnen. Das Licht ist hier nicht Mittel zum Zweck (etwas sichtbar werden lassen), sondern Akteur: Es fräst regelrecht Dinge und Details aus ihrem Umfeld heraus, es isoliert und verzerrt, es macht Bilder, die hyperbolisch sind und artifiziell.

Und noch was tut das Licht in diesem Film – immer wieder blitzt es gefährlich durchs Bild, überstrahlen Lichtreflexionen die Leinwand, durchteilen horizontale Lichtstreifen von metallischem Blau den Bildraum: Die Lügen der Sieger ist ein Film voller lens flares. So nennt man die Lichtflecken, -schlieren und -streifen, die auf der Oberfläche des Filmbilds entstehen, wenn beim Drehen das Licht reflektiert wird und direkt ins Kameraobjektiv fällt. Was früher als zu vermeidender Fehler galt, setzen Hollywoodblockbuster seit ein paar Jahren exzessiv als Gestaltungsmittel und Bildornament ein, und Die Lügen der Sieger tut es ihnen nach. Die lens flares stehen für ein Moment der Selbstreflexivität, weil sie auf den filmischen Apparat selbst, die Kamera, verweisen. Auf der anderen Seite, und das ist für den Film entscheidender, verwandeln die flares – als gleißendes Gegenlicht und punktuelle Blendung – das Feld des Sehens in einen Raum strategischer Kriegsführung: blenden und geblendet werden, sehen und nicht sehen, Schutz und Schirm, Latenz und Verbergung.

Modernistisches Begehren

Darum geht es in Die Lügen der Sieger: Ist das, was wir in der Zeitung lesen, objektiv? Sind die Bilder, die wir zu sehen kriegen, wahr? Oder sind die Zeitungen und Bilder nicht vielmehr eine Art Schirm, ein absichtlich Zu-sehen-Gegebenes, hinter dem sich in Wirklichkeit ganz andere Interessen verbergen? Florian David Fitz spielt den raubeinigen Investigativjournalisten Fabian Groys, der erst einem Bundeswehr- und dann einem Giftmüllskandal auf der Spur ist. Was er nicht weiß (die Zuschauerin aber, und das ist ein Problem, von Anfang an), ist, dass er längst ins Visier einer ominösen Agentur geraten ist, die für die Chemielobby arbeitet und ihm absichtlich falsche Informationen zuspielt, um Einfluss auf seine Berichterstattung zu nehmen. Zu spät merkt Groys, dass er zum Werkzeug von Manipulateuren geworden ist.

Mit dieser Story schließt Hochhäuslers Film an den Paranoiathriller der 70er Jahre an, an Filme wie Zeuge einer Verschwörung (1974) oder Die Unbestechlichen (1976) von Alan J. Pakula, in denen Journalistenhelden mehr oder weniger erfolgreich gegen einen Sumpf aus Lügen, Verschwörungen und Korruption ankämpfen. Die Lügen der Sieger weiß um diese Traditionslinie und macht sie stark. Die Redaktionsräume, in denen Groys arbeitet, sind mit Plastikmöbeln in grellen Farben ausgestattet und schicken das Publikum auf eine Zeitreise in die 70er. Auch die Besetzung der Groys-Figur mit dem generisch hübschen Florian David Fitz kann als Versuch gelesen werden, einen Männertypus zu reaktualisieren, wie ihn Warren Beatty und Robert Redford, die Hauptdarsteller der beiden Pakula-Thriller, im Kino damals verkörperten. Dem Mainstream-Appeal von Fitz stellt Hochhäusler die Theaterschauspielerin Lilith Stangenberg zur Seite, die seit 2012 Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne ist. Es gelingt ihr, etwas René-Pollesch-hafte Weirdness, Distanz und Nicht-Einfühlung in den Film hinüberzutransportieren, aber letzten Endes wirkt sie ein wenig domestiziert.

Auf der einen Seite lehnt sich Die Lügen der Sieger also ans Genre an und spielt mit filmhistorischen Referenzen. Auf der anderen Seite ist da aber auch ein unbedingter Kunstwille, ein geradezu modernistisches Begehren nach ästhetischer Verfeinerung und Komplexität. Die Musik von Benedikt Schiefer fiept und sägt sehr Neue-Musik-mäßig und atonal von der Tonspur, und die Montage von Stefan Stabenow organisiert nervös flirrende Sequenzen aus lauter Mikro-Jumpcuts – mit beiden hat Hochhäusler schon bei Unter dir die Stadt (2010) zusammengearbeitet. Großartig ist die Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider. Kühl und kompliziert, filigran und verletzlich sind dessen Bilder, eingefangen in ständiger, zitternder Bewegung. Und vielfach geschichtet, durch Spiegelungen und halb durchsichtige Oberflächen wie Jalousien, die Sehen und Nicht-Sehen, das Wechselspiel von (vermeintlicher) Transparenz und Opazität ins Bild setzen.

Das große Problem von Die Lügen der Sieger ist letztlich, dass diese Bilder, diese Montage, diese Musik allesamt viel klüger sind als der Plot und das Drehbuch. Dieses Buch, das Hochhäusler zusammen mit dem Schriftsteller Ulrich Peltzer geschrieben hat, liebt die schwarz-weißen Gegensätze und weiß zu jedem Zeitpunkt, wie Gut und Böse verteilt sind; es ist grobschlächtig und besserwisserisch. Alles, was an den Bildern und Tönen fein und differenziert ist, die nervöse Spannung und diffuse Alarmbereitschaft, die von ihnen ausgeht, droht das Drehbuch tonnenschwer hinunterzuziehen. Schade.

Info

Die Lügen der Sieger Christoph Hochhäusler Deutschland 2015, 108 Minuten

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