Arm aber sexy: Festivals in Heidelberg, Berlin und Mülheim zeigen zeitgenössische Dramatik
Theater In Berlin, Heidelberg und Mülheim finden Festivals für zeitgenössische Dramatik statt. Die Qualität der Texte ist hoch, doch die die Situation der Autor:innen prekär
Schön schräg: Simone Blattners Inszenierung des Singspiels „Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)“ von Ariane Koch
Foto: Thomas Brenner
Theater – ist das die ganz große Nabelschau? In Nele Stuhlers Gaia am Deutschen Theater (GÖ) führt sich der Betrieb in schönster Lächerlichkeit selbst vor. „Was? Wir machen einmal die Woche Nabelschau. Höchstens“, verteidigt sich ein Dramaturg in einer Sitzung, in der alle in ihr Handy starren und sich in einem sinnlosen Dialog verirren. Herrlich komische Unterhaltung ist das, schauspielerisch ein Vergnügen und in der Inszenierung von Sarah Kurze ein (wenn auch überlanges) Feuerwerk an Einfallsreichtum.
Entstanden ist Gaia für die Lange Nacht bei den Autor:innentheatertagen am Deutschen Theater Berlin, einem der drei großen Festivals für zeitgenössische Dramatik, die in diesem Jahr fast zeitgleich stattfinden. Der
i großen Festivals für zeitgenössische Dramatik, die in diesem Jahr fast zeitgleich stattfinden. Der Heidelberger Stückemarkt endete vergangenes Wochenende, die Autor:innentheatertage laufen eben aus, und in Mülheim beginnen am 13. Mai die Theatertage und ihr Stückewettbewerb.Gute Zeiten für die zeitgenössische Dramatik, mag man meinen. Zumal schon eine kleine Auswahl des in Berlin, Heidelberg und Mülheim Gespielten und Gelesenen zeigt, dass die Theatertexte mitnichten nur auf den eigenen Nabel schauen (obwohl mit Bühnenbeschimpfung von Sivan Ben Yishai in Mülheim noch eine bitterbös-komische Abrechnung mit dem Theater an den Start geht). Kim de l’Horizon, 2022 mit dem Buchpreis ausgezeichnet, stellte in Heidelberg den Text Dann mach Limonade, Bitch vor. Vier Wesen konkurrieren im Magen des alles verschlingenden „Schlurz“ in einer Survivalshow um Aufmerksamkeit – eine sprachspielerische Abrechnung mit spätkapitalistischer Selbstoptimierung. In Berlin war de l’Horizons Märchen-Überschreibung Hänsel & Greta & The Big Bad Witch in der Berner Inszenierung von Ruth Mensah zu sehen. Auch hier geht es ums Überleben, aber das aller Lebensformen, seien es Flechten, Schnecken oder eine Buche, die als Figuren auftreten. Heutig ist die Sprache, zusammengewoben aus Slang, Fachvokabular und Wortneuschöpfungen; der Ernst von Klimakrise und Artensterben schwingt immer mit. Verdient hat Kim de l’Horizon dafür den Hermann-Sudermann-Preis für Dramatik 2023 erhalten.Glutenfreier KuchenGegenwartsbewusst sind die Theatertexte, und weit ist ihr Themenspektrum. Queere Lebensentwürfe und das Ringen um Selbstbestimmung stellt Leonie Lorena Wyss, die dafür mit dem Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet wurde, ins Zentrum von Blaupause. Lamin Leroy Gibba, der dort den Publikumspreis und den SWR2 Hörspielpreis gewonnen hat, erfindet in Doppeltreppe zum Wald ein Treffen der „Gemeinschaft Schwarzer Menschen die in Deutschland Leben Plus Afrikanische Diaspora“, kurz „G-S-M-DIDLPAD“, bei dem es in der nicht nur nicen Schwarzen Community um glutenfreien Kuchen und den Traum von der Modelkarriere geht, aber auch um Identitätsfragen, Traumata und Erfahrungen mit Rassismus.Als „Meister:innen der Gegenwart“ hat die Dramatikerin Maxi Obexer einmal die Mitglieder ihrer Zunft bezeichnet. „Wir müssen die neuen Sprachen dieser Welt auf die Bühnen bringen“, sagt sie bei einem Telefonat. Holger Schultze, Leiter des Theaters Heidelberg und des Stückemarkts, bezeichnete die Autor:innen als „das Rückgrat unseres Theaters“. Und Bernd Isele, Leiter der Autor:innentheatertage, findet: „Eigentlich muss jedes Theater zeitgenössische Autor:innen fördern, es geht nicht, nur ein Klassikerprogramm zu fahren. Die Autor:innen erzählen etwas über das Heute, stellen Fragen und reflektieren Gesellschaft.“Aber in der Theaterlandschaft liegt laut Maxi Obexer, die sich im Verband der Theaterautor:innen gewerkschaftlich engagiert, doch noch „vieles im Argen“. Darum hat Kim de l’Horizon das Preisgeld des Hermann-Sudermann-Preises, immerhin 6.000 Euro, abgelehnt, um damit „auf die immer prekärer werdende Lage“ hinzuweisen, „in der Dramatiker:innen stecken“.Für Autor:innen bis 35 Jahre gebe es, so Bernd Isele, ein „engmaschiges Netz an Fördermechanismen“, die gut ineinander griffen und den Start in eine Karriere ermöglichten. „Rutscht man aus dem Nachwuchssegment heraus, wird der Flaschenhals, durch den man muss, viel enger. Dabei beginnt Schreiben als Beruf eigentlich erst in dieser Lebensphase. Wenn man Kinder bekommt, zum Beispiel. Aber die deutsche Theaterlandschaft ist auf Aktualität getrimmt, auch auf Jugend, und das ist ein Skandal.“ Maxi Obexer kann nur zustimmen: „Der Jugendwahn und die Altersdiskriminierung werden noch mal ein Problem werden. Die Politik muss erkennen, dass eine Riesen-Armutswelle auf uns zurollt, wenn die Institutionen so weitermachen.“ Der Verband der Theaterautor:innen hat das eine oder andere Mal schon eine Altersgrenze bei Wettbewerben verhindert. Aber breiter angelegte Maßnahmen sind nötig – mehr Stellen für Hausautor:innen, Stipendien und Residenzprogramme, Werkaufträge und ein Augenmerk auf Kontinuität in Arbeitsbeziehungen.„Wir brauchen neue Stoffe, neue Formen, und zwar im transgenerationalen Austausch“, sagt Maxi Obexer. „Und ich glaube, dass auch beim Publikum die Begeisterung dafür da ist, dass hier eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart passiert.“ 95 Prozent Auslastung beim Heidelberger Stückemarkt in diesem Jahr lassen auf reges Interesse schließen.