Bühnen Steigende Energiekosten und sinkende Zuschauerzahlen: Der von Claudia Roth angekündigte „Kulturfonds Energie“ soll auch den Theatern helfen. Wie blicken sie eigentlich diesem Winter entgegen?
Jack Frost, hier vorläufig nur auf der Bühne. Vielleicht ist er aber schon bald auch im Zuschauerraum unterwegs
Foto: Zuma Press/Imago Images
Energiekosten, die um das Vierfache steigen könnten, dazu sinkende Einnahmen, sollte das Publikum coronabedingt weiterhin verhalten bleiben: Zum Auftakt der Spielzeit blickten die Leiter:innen der Theater und Spielstätten sorgenvoll gen kalte Jahreszeit. Wie sollten diese Kosten aufgefangen werden? Preissteigerungen und Mindereinnahmen – diese Gemengelage ließ gerade kleinere Einrichtungen befürchten, sie müssten ihr Programm ausdünnen oder gleich ganz die Pforten schließen. Panik in der von zwei Jahren Ausnahmezustand gebeutelten Branche verhinderte immerhin Ende August die Aussage von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, es werde keine weiteren Schließungen im Kulturbereich geben. Der Schock der Lockdowns saß da noch tief.
Vergangene Woch
ngene Woche nun hat Claudia Roth angekündigt, einen „Kulturfonds Energie“ aufzulegen. Mindestens eine Milliarde Euro soll den Kultureinrichtungen zufließen, um die gestiegenen Energiekosten aufzufangen – ab dem 1. Januar 2023, aber rückwirkend bis in den jetzigen Oktober. Finanziert werden die Hilfsgelder aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, dessen Mittel in der Coronazeit nicht gänzlich abgerufen worden sind.Bremen, Leipzig, StuttgartWie nötig diese Hilfsmaßnahme ist, zeigt das Beispiel des Schauspiels Leipzig. Zwar haben sich die Preise etwas beruhigt, doch das Theater kalkuliert noch immer mit einer Verdopplung der Energiekosten, was Verwaltungsleiter Daniel Herrmann zufolge rund 300.000 Euro an Mehrausgaben für Strom und Fernwärme pro Jahr bedeuten würde. Ob die Stadt als Trägerin die jährliche Förderung um diese Summe aufstocken würde, ist aufgrund des Fonds hoffentlich keine Frage mehr.Auch das Netzwerk Freie Theater ist froh über die schnelle Reaktion der Kulturstaatsministerin. Elf mittlere und kleine Spielorte der freien Szene sind in diesem Netzwerk zusammengeschlossen, einmal quer durch die Theaterrepublik, von der Schwankhalle Bremen über das Lofft Leipzig bis zum Theater Rampe Stuttgart. Sie alle eint, dass ihnen kaum mehr Spielraum bleibt, um Kostensteigerungen abzufedern. Der Co-Geschäftsführer des Netzwerks, Maximilian Grafe, berichtet von sich überlagernden Entwicklungen, die die Ausgaben erhöhten: Zu den hohen Energiekosten komme die Inflation und, eigentlich erfreulich, ein Mindesthonorar für die Künstler:innen. „Für die Produzierenden ist das eine Herausforderung“, so Grafe.Trotzdem schauen die Häuser des Netzwerks zuversichtlich auf die nächsten Monate. „Wir sind nach wie vor optimistisch, dass wir nächsten Sommer weiterhin eine diverse, vielfältige freie Szene haben werden. Aber“, so betont Grafe, „diese Hilfen kommen nicht zu früh“. Was die Theater für die kommenden Monate stärkt, ist ihre Erfahrung im Umgang mit komplexen Aufgaben als Betriebe, die Kunst mit Wirtschaftlichkeit kombinieren. „Die Künste haben die Fähigkeit, zu improvisieren und agil zu sein“, sagt Maximilian Grafe. Das gilt insbesondere nach den Coronajahren mit den Lockdowns, ständig neuen Hygienevorschriften und kurzfristigen Vorstellungsausfällen wegen Krankheit. Für jede Planung galt es, auch noch Plan B bis D zu entwerfen.Wenn die Kulturstaatsministerin im Gegenzug für die Hilfen aus dem Kulturfonds Energie 20 Prozent Einsparungen im Energieverbrauch fordert, wie sie es zumindest für vom Bund getragene Kulturinstitutionen angekündigt hat, ist ein großes Theater wie das Schauspiel Leipzig zuversichtlich, auch das noch hinzubekommen. Mit Eingriffen in die Klimatisierung, also einer weiteren Drosselung der ohnehin qua Bundesverordnung (der, Achtung, „Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“) auf 19 Grad begrenzten Temperatur in Foyers und Sälen sowie einer geringeren Wassertemperatur in den Sanitärbereichen könnten „schätzungsweise weitere 15 Prozent Energie eingespart werden, ohne den Komfort für das Publikum merklich einzuschränken“, so Verwaltungsleiter Daniel Herrmann. Was die Zahl 20 angeht, ist das Netzwerk Freie Theater skeptischer: Um Lüftungen oder Heizungen auszutauschen, seien Investitionen nötig, so Maximilian Grafe. Und damit ein langfristiges finanzielles Engagement, gekoppelt an komplexe Aushandlungen mit Eigentümern und Baubehörden, wenn die oftmals historischen Gebäude der Spielstätten unter Denkmalschutz stehen.Gerade das Schauspiel Leipzig hat gezeigt, was möglich ist, wenn Energieeffizienz und ein klimaneutraleres Produzieren als langfristige Aufgabe betrachtet werden und das nötige Geld zur Verfügung steht. Im September machte es mit einer Pressemitteilung auf sich aufmerksam, die eine Einsparung von jährlich 750.000 Kilowattstunden ankündigte. Die Dämmung von Dächern und Fassaden, ein Austausch der veralteten Raumluft- und Kälteanlage und stromsparende LED-Leuchten machten das möglich. Finanziert wurde die energetische Sanierung von der Sächsischen Aufbaubank. Zum Vergleich: Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht im Jahr durchschnittlich 4.500 Kilowattstunden, eine größere Bäckerei 50.000 Kilowattstunden.Jetzt auch Chef:innensacheSind Theater also Energieschleudern? Institutionen mit einem hohen Energiebedarf sind sie auf jeden Fall, aber das gilt für jede öffentliche Einrichtung und den Betrieb großer Gebäude generell. Die Theater haben sich, das muss man ihnen zugute halten, jenseits der Suche nach kurzfristigen Einsparmöglichkeiten schon auf den Weg gemacht hin zu einem klimafreundlicheren Produzieren. Mit dem Netzwerk Performing for Future gibt es seit 2020 einen ehrenamtlichen Zusammenschluss von Mitarbeiter:innen an Stadt- und Staatstheatern und Häusern der freien Szene, in dem intensiv Wissen ausgetauscht und generiert wird. Oftmals werben die Engagierten seit Jahren innerhalb ihrer Theater für klimaneutrales Produzieren. Was lange „bottom up“ ablief, also als Initiative von unten, ist spätestens mit der Energiekrise zur Chefsache geworden. Nun müssen auch Intendant:innen „top down“ aktiv werden. Wenn beide Ebenen zusammenspielen, stehen die Chancen gut, das nur langfristig zu bewältigende Vorhaben der Klimaneutralität anzugehen.Das Fachwissen, wie das gehen kann, steht zur Verfügung. Die Deutsche Theatertechnische Gesellschaft, kurz DTHG, hat gerade den dritten Band des Theatre Green Book aus dem Englischen übersetzt. Erklärt wird, in übersichtlichen Texten und mit vielen Schaubildern, wie Theaterproduktionen, die Gebäude und schließlich die gesamte Organisation in ihren betrieblichen Abläufen nachhaltiger gestaltet werden können. Für den hiesigen Theaterbetrieb gab es einige Anpassungen, wie der DTHG-Vorstandsvorsitzende Wesko Rohde kürzlich im Theaterpodcast erzählte. Der Denkmalschutz mit seinen strengen Auflagen ist ein wesentlicher Grund dafür.Unterstützt werden die Ansätze im Theaterbetrieb auch von der Kulturstiftung des Bundes. Sie hat gleich drei Förderprogramme zu Klima und Nachhaltigkeit im Portfolio: Das Pilotprojekt „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“ begleitete 19 Kultureinrichtungen dabei, die eigenen CO2-Emissionen zu erfassen. Nur wer den eigenen ökologischen Fußabdruck kennt, kann sich zielgerichtet auf den Weg zur Klimaneutralität machen. Und so fragt auch Maximilian Grafe vom Netzwerk Freie Theater zu Recht, ob der Kulturfonds Energie es auch erlaubt, CO2-Bilanzierungen abzurechnen oder Transformation Manager einzustellen. Die Kulturstiftung des Bundes begleitete mit einer Veranstaltungsreihe zudem die „Materialinitiativen“, also Akteur:innen, die sich für die Wiederverwendung von Materialien im Kulturbetrieb einsetzen. Einen theaterübergreifenden Fundus für Kostüme, Requisiten oder Dekorationen gibt es etwa in Hamburg und Berlin, einen „Second-Hand-Baumarkt“ in Leipzig, wo Holz, Farbreste oder Kabel eine neue Verwertung finden. Auch Technik-Pools werden auf lokaler Ebene oft schon organisiert. Aus ihnen können sich kleinere Kulturstätten Scheinwerfer oder Lautsprecher ausleihen. Das neueste Programm „Fonds Zero“ ist eine bundesweite Nachhaltigkeitsinitiative, die seit September 2022 mit vier Millionen Euro klimaneutrale Kunstprojekte, Netzwerke und Wissenstransfer fördert.An diese Förderprogramme muss der Bund anknüpfen. Und, eine Lehre aus der Coronazeit, die Gelder für den Kulturfonds Energie dezentral über die Verbände im Kulturbereich vergeben. In der Pandemie waren das fürs Theater etwa der Fonds Darstellende Künste, der Bundesverband Freie Darstellende Künste oder der Dachverband Tanz. Wenn der energetische Umbau der Branche vom Kulturfonds Energie mit langfristigen Maßnahmen verknüpft wird, kann er dazu beitragen, Deutschland dem Erreichen der Klimaziele näherzubringen. Die kurzfristigen Sorgen der Kulturinstitutionen wird er hoffentlich lindern.
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