Die Aufforderung „Ändert euch!“ schallt den Theatern seit einigen Jahren vehement entgegen. Rassismus, Sexismus, Machtmissbrauch – es ist erschreckend, welche Missstände an einzelnen Häusern öffentlich wurden. Und Theaterdeutschland musste sich an ein neues Selbstbild gewöhnen: Hinter den Fassaden der bildungsbürgerlichen Institution herrscht bisweilen noch der Feudalismus.
Einige der zentralen Fragen in der hitzigen Strukturdebatte lauteten: Ist das Modell des alleinverantwortlichen Intendanten noch zeitgemäß? Erscheint es vertretbar, dass drei Viertel der Stadt- und Staatstheater von Männern geleitet werden? Und wie geht es den Mitarbeiter:innen und Schauspieler:innen, deren „Normalvertrag Bühne“, wie man den Standardvertrag an deutschen Theatern nennt, alle ein bis zwei Jahre aus schwer anfechtbaren künstlerischen Gründen nicht verlängert werden kann? Was ist mit den Berufseinsteiger:innen, die auf gering bezahlten Assistenzstellen ihrer Karrierechance entgegenschuften? Oder den Dramaturg:innen, die in immer geringerer Besetzung ein immer umfangreicheres Rahmenprogramm organisieren? Betroffene, die intern nicht gehört wurden, wandten sich an die Medien, riskierten ihren Job und ihre psychische Gesundheit. Interessenvertretungen gründeten sich, darunter das Ensemble Netzwerk, in dem sich Schauspieler:innen zusammenschließen, die Initiative Art but fair, die für bessere Arbeitsbedingungen eintritt, oder der Verein Pro Quote Bühne, der Geschlechtergerechtigkeit fordert.
Aber wie erreicht man verantwortliche Führung? Wie lassen sich Mitarbeiter:innen schützen? Diese Fragen leiteten unsere Programmgestaltung für die Konferenz „Theater und Netz“, die das Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de und die Heinrich-Böll-Stiftung am vergangenen Samstag in Berlin organisierten. Kurzfristige kosmetische Korrekturen wie etwa die Entlassung einer missbräuchlich agierenden Intendanz ziehen nicht zwangsläufig die Änderung tief verwurzelter Führungsstrukturen nach sich. Das betonte die Diversitätsbeauftragte des Staatstheaters Hannover, Leyla Ercan, in ihrem Vortrag. Genauso wenig bringt die Einstellung einiger Persons of Color eine diskriminierungssensible oder diversitätsorientierte Institution hervor. Strebt eine Organisation ernsthaft einen Wandel an, muss sie ihm Ressourcen widmen, machte Miriam Camara von der Beratungsagentur akoma deutlich, die auf diversitätsorientierte Entwicklungsprozesse spezialisiert ist. Eine der wichtigsten Ressourcen dabei ist Zeit – für Gespräche, Schulungen, die Gestaltung neuer Prozesse und Abläufe, in denen das Erreichte verstetigt werden kann. Die Pariser Oper zum Beispiel hat im Februar eine „Diversitätsoffensive“ gestartet, um die Besetzung in dem Traditionshaus vielfältiger zu gestalten. Auch soll das Opernrepertoire kritisch auf koloniale Denk- und Darstellungsweisen überprüft werden. Bis solch hehre Ziele jedoch wirklich erreicht seien, dauere es mindestens zehn Jahre, schätzt Leyla Ercan.
Veränderung ist Chefsache
In Paris waren es, wie so oft, Mitarbeitende, die Veränderung anmahnten. Verantwortlich fühlen muss sich allerdings vor allem die Führungsebene: Steht die Leitung eines Theaters nicht hinter dem Änderungsanliegen, bewirken einzelne Zuständige nur wenig. Trotzdem ist Beteiligung extrem wichtig. An den großen Stadt- und Staatstheatern sowie Opern gibt es bis zu hundert Berufe – in der Verwaltung und in den Werkstätten, auf der Bühne und im Foyer. Nicht immer müssen alle an einem Tisch sitzen, um die neue Ausrichtung des Hauses zu besprechen. Aber sie müssen informiert werden über Zielsetzungen und Zwischenergebnisse. Denn ein Veränderungsprozess ist niemals abgeschlossen. Für eine lernende Institution wird er zum Dauerzustand. Und die Organisationsentwicklung, für die im Hochleistungsbetrieb Theater mit seinen Proben und Premieren in einem eng getakteten, kulturpolitisch regulierten Produktionszyklus kaum Freiraum bleibt, muss eine zentrale Führungsaufgabe werden.
Stellt sich bloß die Frage: Warum dieser Aufwand? Wieso auf die Bedürfnisse lautstarker Einzelner eingehen? Miriam Camara antwortet auf diesen Anwurf, den oft Gegner:innen identitätspolitischer Maßnahmen erheben, dass es sich beim Streben nach einem diversen, barrierefreien, diskriminierungssensiblen Arbeitsumfeld nicht um eine ideologische Forderung handelt, sondern schlicht und ergreifend um die Umsetzung rechtlicher Vorgaben. Ein kurzer Blick ins Grundgesetz offenbart, dass die Gleichbehandlung aller Bürger:innen durch den Staat seit mehr als 70 Jahren vorgeschrieben ist. Und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist seit 2006 geregelt, dass Mitarbeiter:innen von Unternehmen und Beschäftigte im öffentlichen Dienst, etwa an Theatern, gegen Diskriminierung klagen können.
Viele der derzeit angestrebten Änderungen sind also nachholende Entwicklungen. „Ändert euch!“ ist dennoch ein Aufruf für die Zukunft. Denn nicht nur künstlerisch, auch betrieblich können Theater Labore gesellschaftlichen Wandels sein.
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