Schnell leben und sterben

IM KINO In »Fiona« begibt sich Amos Kollek mit seiner Hauptdarstellerin Anna Thomson in die New Yorker Crack-Szene

Seit Anfang März macht der neue Film von Amos Kollek Fiona seinen Weg als sogenannte Platform-Release durch deutsche Kinos. Platform-Release bedeutet, dass ein Film nicht als bundesweiter Großstart anläuft, sondern mit einer relativ kleinen Anzahl Kopien von Stadt zu Stadt wandert. Der Filmverleih Pegasos arbeitet hier mit einem Konzept, das trotz der geringen zur Verfügung stehenden Mittel der Durchsetzung des Films im Markt eine Chance gibt. Manche Filme brauchen eben lange Laufzeiten und eine Programmierung zu den »richtigen« Uhrzeiten in den »richtigen« Kinos, um ihr Publikum zu finden.

Amos Kollek kam zur Premiere von Fiona zusammen mit der Hauptdarstellerin Anna Thomson nach Frankfurt. Er sei kein »Blockbuster-Regisseur«, obwohl natürlich auch er einem breiten Publikum etwas mitzuteilen habe. Amos Kollek zeigt ein anderes Bild von New York als das amerikanische Main- stream-Kino. Er geht mit seiner Kamera und seinem Team die eine Ecke weiter, dorthin, wo der Moloch aus der Perspektive von ganz unten zu erkennen ist. So wird man auch des dreckigen und schäbigen Angesichts des Big Apple gewahr. Der Zuschauer erkennt, dass diese Geschichte in einem der reichsten Länder der Welt spielt, das sich zwar seines ausgeglichenen Haushalts rühmt, in dem aber trotzdem 35 Millionen Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag leben.

Die Wechselwirkung und Interaktion einer einzelnen Person mit ihrer Umwelt, dieses Verhältnis ist für den in New York lebenden, gebürtigen Israeli Amos Kollek stets von Interesse. Und es sind Frauen, die dabei die Hauptrollen spielen. In Sue (1997) erzählt Kollek die Geschichte einer fortschreitenden Vereinsamung einer jungen Frau, die aufgrund ihres rasanten Abstiegs in die Armut - Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Leben auf der Straße - und weil sie sämtliche Hilfsangebote ausschlägt und sich in ihrer Not niemandem anvertraut, sich schließlich in eine tödlich endende Isolation manövriert. Wie diese Figur mit einer erschütternden Hingabe Männern ihren Körper als Objekt darbietet und gleichzeitig mit geradezu kindlicher Naivität ein Konzept von wahrer Liebe vertritt, ohne dabei kitschig zu wirken, das ist vor allem das Verdienst von Anna Thomsons großartiger schauspielerischer Leistung. Und nicht zuletzt der außergewöhnlich intimen Beziehung zwischen Kamera und Schauspielerinnen-Körper. Dieser zärtliche, nicht-denunziatorische Blick auf sich schutzlos der Kamera ausliefernde Körper ist auch für Fiona charakteristisch.

Fiona, wiederum von Anna Thomson dargestellt, wird von ihrer Mutter, einer Prostituierten als Baby ausgesetzt, weil die Mutter ihrer Tochter ihr eigenes Schicksal ersparen will. Sie kommt zu Pflegeeltern, die nicht eben zimperlich sind, wird vom »Vater« sexuell missbraucht, und so erscheint Fionas Weg in die Prostitution und Drogenabhängigkeit unausweichlich.

Kollek taucht in ein soziales Milieu ein, in dem Gewalt permanent in der Luft liegt. Die Freier betrachten die Frauen ausschließlich als Ware: Wenn ihnen ein Wort oder eine Geste nicht passen, reagieren sie sofort aggressiv. Einer verletzt Fionas Freundin mit einem Messer lebensgefährlich. Aber auch die Frauen bewaffnen sich und machen von ihren Waffen Gebrauch, als ihnen ein paar dahergelaufene Kerle auf plumpe Macho-Art ihre Plätze in einem Restaurant streitig machen. Die erotisch zugespitzte Dramatik der Szene entlädt sich, indem Fiona kaltblütig drei Polizisten erschießt. Anschließend taucht sie in einem Crackhaus unter.

Obwohl hier eine Ansammlung von Frauen lebt, deren ausgemergelten Körpern man den jahrelangen Drogenmissbrauch ansieht, bietet dieser Unterschlupf doch auch Zuflucht und Geborgenheit. Eines Abends trifft Fiona in einer Kneipe eine ältere Prostituierte, mit der sie das Bett teilt. Als Fiona morgens wach wird, ist die Frau verschwunden. Auf dem Dach findet sie nur noch die Schuhe der fremden Frau, sie passen. Ein zurückgelassenes Baby-Foto räumt die letzten Zweifel aus: Fiona hatte Sex mit der eigenen Mutter. Vor Scham hat sich diese das Leben genommen, nachdem sie ihre Tochter an dem Kettchen, das sie vor Jahren ihrem Baby umgelegt hatte, wiedererkannte.

Im Gegensatz zu Sue hat Kolleks neuer Film beinahe ein Happy-End: Fiona trifft ihren »Traumprinzen«, einen ältlichen, schwarzen Polizisten, dem der jahrelange Dienst auf der Straße ein Fußleiden eingetragen hat. Dass Ernie Fionas wegen seine Ehefrau tatsächlich verlässt, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Es sei seine letzte Chance, glücklich zu werden, sagt er zu seiner Frau und stürzt sich in das Abenteuer, das in Gestalt einer jungen, sexy Blondine in Leopardenpelz, roten Highheels und mit einem farblich zu den Schuhen passenden Straßenkreuzer vor seiner Haustür wartet, um mit ihm nach Kalifornien aufzubrechen. Wäre da nicht die Blutspur in Fionas Hand ...

Fiona ist die zweite Zusammenarbeit von Amos Kollek mit Anna Thomson. Kollek hatte Thomson ein Drehbuch auf den Leib geschrieben, in dem er das schnelle, vergängliche Leben einer jungen Frau im Milieu von Drogen und Prostitution in New York von heute zeigen wollte. Er begann vor Ort zu recherchieren, doch dann verselbständigte sich die Geschichte. Es wurde in einem realen Crackhaus gedreht und einige der Darstellerinnen, zum Beispiel die Mutter von Fiona, spielen sich selbst. Anna Thomson findet unter diesen teils dokumentarisch anmutenden Drehbedingungen zur schauspielerischen Höchstleistung. Thomson, die als Schauspielerin längst keine Unbekannte mehr ist, nach Rollen in Susan Seidelmans Desperately Seeking Susan, Clint Eastwoods Bird und Unforgiven und in I shot Andy Warhol von Marry Hanon, sagt über ihre Arbeit mit Amos Kollek: »Er hat mich für phantastische Projekte engagiert. Ich bin total begeistert, dass es diese Figuren gibt und sie mir angeboten wurden.«

Nachdem Thomson in Sue einen die Leere und Depression der Hauptfigur und das totale Unvermögen, zu einer lebensbejahenden Entscheidung zu kommen, körperlich erfassen ließ, überschreitet sie auch in Fiona Grenzen, die den Zuschauer an den Rand dessen führen, was er auszuhalten vermag.

Gegenwärtig ist Kollek in der Postproduktion seines dritten Films mit Anna Thomson Fast Food - Fast Women. Er spielt in einem Schnellrestaurant, man darf auf einen neuerlichen Rohling, der den Zuschauer fordert, gespannt sein.

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