Am 12. September 1999 waren im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutsch lands Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen. Mit diesen Wahlen wurde eine umfangreiche Umstrukturierung der kommunalen Strukturen, die ihren Höhepunkt in der Zusammenlegung der Positionen von Oberstadtdirektor und Oberbürgermeister findet, vollendet. Und sie waren wie fast alles, was dort passiert, ein Gradmesser für zukünftige Entwicklungen. Der Wahlkampf in den einzelnen Städten und Gemeinden war mit zahlreichen, jeweils örtlich begründeten politischen Absurditäten und Spezifika einhergegangen. Etwa, dass aus einer Partei zwei oder drei Personen für den OB-Posten kandidierten oder einzelne Kandidaten gezielt diskreditiert wurden. So geschehen in Köln, wo der sozialdemokratische OB-Kandidat wegen unlauterer Aktiengeschäfte, die ihm den geringen Gewinn von DM 15.000 eingetragen haben, vor zwei Wochen abtreten muss te. Was zur Folge hatte, dass die SPD in einer ihrer Hochburgen ohne Kandidaten dastand. Gagschreiber von Soaps und Comedyserien könnten sich hier mühelos mindestens die nächsten fünf Jahre mit Stoff versorgen.
Mitten in diesem Getümmel kündigte die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen Mitte August eine Kinoinitiative NRW an. Hinter diesem leicht angestaubten Begriff verbirgt sich der neueste Coup der mit 80 Mill. DM größten Filmfördereinrichtung Deutschlands. Um der ungehemmten Ausbreitung von Multiplexkinos mehr entgegenzusetzen als die ewig gleichen Lamentos oder beängstigende Zahlen, macht die Filmstiftung mit ihrer Kinoinitiative NRW mobil. Die Initiative soll das Kino »neuer Art« befördern und die »Tote-Hosen-Zonen« der Innenstädte beleben. Denn laut Dieter Kosslick (Geschäftsführer der Filmstiftung NRW), müsse man »intelligente Unterhaltung« anzubieten und gleichzeitig »neue Urbanität« schaffen. Um dies zu erreichen, werden in einem ersten Schritt als Modellversuch die vier Kinos: Roxy-Kino in Dortmund, filmforum in Duisburg, Schauburg in Gelsenkirchen und Lichtburg in Oberhausen »runderneuert«. Konkret bedeutet das, durch gezielte Umbaumaßnahmen innerhalb der Lichtspielhäuser und gestalterische Akzente außerhalb eine Wiederbelebung bzw. neue Qualität des Kinos und des öffentlichen Raums herzustellen. Um dies zu erreichen, ist z.B. im filmforum (Duisburg) ein weiterer Kinosaal geplant, und die Fassade soll durch einen beleuchteten Glaszylinder die Außenwirkung des Gebäudes steigern. Das Roxy Kino (Dortmund) soll ein attraktives Foyer erhalten, im Obergeschoss sind ein Studiokino und ein offener Multimedia-Bereich mit Café/Restaurant vorgesehen. Der geplante Umbau der Schauburg (Gelsenkirchen) zielt darauf, den Eingangsbereich transparenter zu machen. Die beiden vorhandenen Kinosäle sollen innenarchitektonisch und tontechnisch aufgewertet werden, zudem ist der Einbau eines weiteren Studios als Kinder- und Programmkino angepeilt. Um die Lichtburg (Oberhausen) attraktiver zu gestalten, ist eine Grundrenovierung/sanierung des Hauses sowie eine Programmprofilierung nötig. Zusätzlich sollen gezielte Umfeldmaßnahmen á la open-Air-Kino etc. das Kino neu in Szene setzen.
Dem Geschäftsführer der Filmstiftung Dieter Kosslick war klar, dass die in der Branche üblichen Maßnahmen wie Darlehen zum Umbau bzw. Modernisierung eines Filmtheaters, Fortbildungskurse für Theaterleiter und Kinomitarbeiter sowie Prämien für ein »qualitativ« herausragendes Programm, längst nicht mehr ausreichen, um qualitative Veränderungen herbeizuführen. Ihm wie auch dem Rest der Branche hat sich das neue Gardemaß der Kinolandschaft »80% zu 10% zu 10%« fest ins Gehirn eingebrannt. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich kein Geheimcode für die nächste Ausschüttung von Filmfördergeldern, sondern sie beschreiben die Zukunft künftiger Kinobesuche: 80% aller Kinobesucher werden sich ihren Lieblingsfilm in einem Multiplex ansehen und nur jeweils 10 Prozent gehen dafür in ein Programmkino beziehungsweise ein Einzelkino. Mit anderen Worten, den Programmkinos und Einzelhäusern in den Innenstädten steht das Wasser bis zum Hals! Die Multiplexe scheinen durch ihren modernen Standard und ihr breit gefächertes Konsumangebot unschlagbar. Sie vermitteln ihren Besuchern ein Gefühl von Modernität und wirklichem Leben, vom Dazugehören zur Spaß- und Fungesellschaft hier und jetzt. Und das Publikum bewegt sich in diese Großkinokomplexe, egal wo sie stehen. Der eigentliche Ort, das Aussehen, die Atmosphäre spielen scheinbar keine Rolle. Und die Innenstädte veröden zunehmend, da es für die Investoren aufgrund planungstechnischer Voraussetzungen, der Möglichkeiten des Grunderwerbs und aus Kostengründen wesentlich schneller möglich ist, ein Multiplex in Stadtrandlage oder auf der grünen Wiese zu realisieren. Historisch gesehen, waren die Zentren der Städte stets Orte hoher Dichte und Nutzungsmischung. Durch die Abwanderung einkommensstärkerer Bevölkerungsgruppen, den Strukturwandel im Einzelhandel, veränderte Standortpräferenzen und ein völlig verändertes Freizeitverhalten verändert sich ihre historisch gewachsene Funk tion. Genau an dieser Stelle setzt die Filmstiftung mit der Kinoinitiative NRW an und verzahnt die zwei Bereiche Kino und öffentlicher Raum klug zu einer gemeinsamen Überlebensstrategie. Unterstützt wird sie dabei vom MASSKS. Dahinter verbirgt sich das Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport in Nordrhein-Westfalen. Es hat als flankierende Maßnahme eine Arbeitshilfe für Städte und Gemeinden in NRW herausgegeben, die Hilfestellung leisten soll, wenn ein Investor vor Ort seinen scheinbar für alle »heilbringenden« Plan veröffentlicht, die Stadt oder den Stadtrand durch ein Multiplexkino zu bereichern. Sie wisse, so Ministerin Ilse Brusis, dass es im Kino in erster Linie um gute Filme gehe. Es sei höchste Zeit, das »gute alte Kino« wettbewerbsfähig zu machen und die Innenstädte fit für die vielfältigen Bedürfnisse ihrer Besucher. Und dazu sei die Kinoinitiative NRW das geeignete Instrument. Sie könne sich im übrigen auch vorstellen, so Brusis, dass Kinobetreiber, Kulturschaffende und Einzelhändler am »runden« Tisch gemeinsame Ideen entwickeln, die dann über den Weg des Stadtmarketing im Rahmen der Städtebauförderung ebenfalls von ihrem Hause unterstützt werden. Es gebe in dieser Hinsicht noch viele Ideen, es gehe darum, die richtigen Leute miteinander ins Gespräch zu bringen. Dies ist ein gänzlich anderer Ton als bei den Großprojekten wie la Centro in Oberhausen oder dem UCE (Urban Entertainment Center) in Frankfurt. Hier sind die Belange des Einzelnen völlig unwichtig, und eine stadteigene Identität ist nicht gefragt. Diese Gigantoprojekte haben eine isolierte eigenständige Architektur, sie könnten auch auf dem Mond oder Mars sein. Und wer da nicht reinpasst - Penner, Obdachlose, Jugendliche mit dem »falschen« Aussehen, alte Leute, den wird man sich von den verglasten Flächen zu halten wissen.
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