„Lasst uns im Dialog bleiben“

Interview Die LGBTI-Community blickt besorgt auf die Wahl in Polen. Ein Aktivist erklärt, wieso
Ausgabe 28/2020
Unter Polens Rechten ist es Konsens, „Werte der Familie“ vor LGBT zu „schützen“
Unter Polens Rechten ist es Konsens, „Werte der Familie“ vor LGBT zu „schützen“

Foto: Attila Husejnow/Zuma Press/Imago Images

Am Sonntag entscheidet sich in Polen, ob der bisherige Amtsinhaber Andrzej Duda im Amt bleibt. Duda ist Anhänger der nationalkonservativen PiS, die seit Jahren einen Kurs gegen homosexuelle und queere Menschen im Land fährt. Miko Czerwinski erörtert Hoffnungen und Befürchtungen der Community.

der Freitag: Vergangene Woche wurde gegen die queere polnische Menschenrechtsaktivistin Elżbieta Podleśna in einem Urteilspruch eine zweijährige Haftstrafe verhängt. Was wird ihr vorgeworfen?

Miko Czerwinski: Podleśna protestierte letztes Jahr gegen homophobe Aussagen von Vertretern der katholischen Kirche in Polen. Sie verbreitete ein Bild der berühmten Schwarzen Madonna mit einem Regenbogen-Heiligenschein. Dazu ein Statement, dass die Jungfrau Maria im Gegensatz zur katholischen Kirche alle Menschen liebt und akzeptiert. Danach musste Podlesna viel Hass ertragen. Auch öffentlich-rechtliche Medien warfen ihr vor, religiöse Gefühle verletzt zu haben. Auf Grundlage des Blasphemie-Paragrafen wurde sie angeklagt. Die Staatsanwaltschaft entschied jetzt, nach einem Jahr, dass sie wegen „öffentlicher Beleidigung religiöser Gefühle“ zwei Jahre ins Gefängnis muss. Das ist nichts als der Versuch, die Kritiker*innen der Kirche mundtot zu machen. In Krakau sprach ein Erzbischof von einer „Regenbogen-Seuche“, die über Polen hereinbrechen würde. Die katholische Kirche ist stark homophob und heizt die Hassnarrative rechter Politiker weiter an. Auch meine Organisation wurde bezichtigt, religiöse Gefühle zu verletzen, als wir eine Tanz-Demo vor seiner Kirche organisierten. Jetzt soll also schon Tanzen als Blasphemie gelten. Letztes Jahr gab es eine Pride-Parade in Białystok, bei der viele Aktivist*innen von Schlägertrupps angegriffen wurden. Einige davon waren von der regierenden PiS-Partei unterstützt worden. Es gab aber auch homophobe Gegenproteste in und vor den Kirchen in Białystok.

In seiner Wahlkampagne hetzte Präsident Duda immer wieder gegen die LGBTI-Community. Warum hat das scheinbar in weiten Teilen der Bevölkerung Anklang gefunden?

Es geht mehr um einen Konsens in rechten Kreisen, dass „Werte der Familie“, wie sie es nennen, geschützt werden müssten. Das ist ihr Ass im Ärmel. Wenn man sich das größere Bild anschaut, wird klar, dass sie ihre „Spalten-und-Erobern“-Taktik anwenden. Dabei suchen sie einen Feind, den es zu bekämpfen gilt. Vor fünf Jahren waren das die Geflüchteten und Migrant*innen. Aber eigentlich gab es nie viele Refugees in Polen, das Feindbild war wenig greifbar. Vielleicht haben sie deshalb ihr Hassnarrativ geändert und LGBTI-Menschen zum neuen Gegner erklärt. Das fing letztes Jahr bei den Europawahlen an, zog sich durch die polnischen Parlamentswahlen bis hin zur aktuellen Präsidentschaftswahl. Schon am Anfang wurden sehr schlimme Dinge gesagt. Sie setzten LGBTIs mit Pädophilen gleich, oder dass wir angeblich Kinder mit Sexerziehung verderben würden. Was dieses Mal passierte, war aber eine weitere Grenzüberschreitung der Entmenschlichung. Die schrecklichste Aussage vom Präsidenten war, dass LGBTI-Personen keine Menschen, sondern eine Ideologie seien. Dies wurde von mehreren Politikern der regierenden Partei wiederholt und machte den Weg frei für viele Hass- und Gewaltangriffe auf unsere Community.

Das Treffen des schwulen Aktivisten Bartosz Staszewski mit dem Präsidenten Duda wurde innerhalb der Szene kontrovers diskutiert. Sollte der Dialog mit der PiS-Partei gesucht werden?

Einige gaben bei der Debatte rund um das Treffen zu bedenken: Würdest du dich auch mit Nazis treffen, wenn du weißt, dass sie dich töten oder entmenschlichen wollen? Duda hat das Treffen für sein politisches Spiel instrumentalisiert. Nun kann er sagen, dass er mit allen Seiten spreche – was eine falsche Behauptung ist. Dialog ist möglich, wenn es Respekt auf beiden Seiten gibt. Wenn eine Partei diesen Respekt so sehr verletzt, dass die eigene Menschenwürde infrage gestellt wird, stellt sich mir die Frage, ob wir mit Duda sprechen sollten. Natürlich gibt es aber auch in der PiS-Partei Politiker, die noch diskriminierendere Maßnahmen ablehnen würden.

Was wären die Folgen einer Wiederwahl Andrzej Dudas am 12. Juli für die polnische LGBTI-Community?

Da gibt es eine Reihe von Konsequenzen. In Polen kann der Präsident neue Gesetze einbringen, bestätigen oder diese mit einem Veto blockieren. Als Duda vor fünf Jahren ins Amt kam, legte er gegen das Gesetz zur Geschlechtsanerkennung transsexueller Menschen ein Veto ein. Wenn er wiedergewählt wird, würde das so weitergehen: Progressive Gesetze blockieren, homo- und transphobe Gesetze durchwinken. Zum Beispiel hat Duda auch eine erzkonservative Familien-Charta vorgestellt, bei der die Ehe als Verbindung von Mann und Frau verteidigt und Adoptionsrechte für homosexuelle Paare abgelehnt werden.

Welche politischen Hauptforderungen hat die queere Community im Lichte der aktuellen Wahlen?

Als allererstes brauchen wir ein Gesetz gegen Hassverbrechen. Durch eine Studie unserer Stiftung fanden wir heraus, dass in Polen fast 70 Prozent der LGBTI-Personen Diskriminierungserfahrungen machen müssen, in kleineren Städten und Gemeinden steigt diese Zahl auf 84 Prozent. Dieser Hass muss gestoppt werden. Aber wenn die regierende Partei und die katholische Kirche an ihrer hasserfüllten Sprache festhalten, werden diejenigen ermutigt, die kein Problem damit haben, Gewalt gegen uns anzuwenden. Die Polizei spielt das Problem oft herunter. Und bis auf das Arbeitsschutzgesetzt gibt es im polnischen Recht keinerlei Schutz vor Hassverbrechen und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Aber natürlich gibt es da noch andere Themen: Wir haben weder eine eingetragene Partnerschaft noch die Ehe für Alle. Die Gesetze zur Geschlechtsanerkennung stellen eine Gesetzeslücke dar. Momentan müssen die eigenen Eltern verklagt werden, wenn man das eigene Geschlecht ändern will – weil davon ausgegangen wird, dass die Eltern nach der Geburt einen Fehler bei der Geschlechtszuweisung gemacht haben müssen. Dies kann ein traumatisierender Prozess für die Betroffenen sein.

Zur Person

Miko Czerwinski ist Aktivist bei Amnesty Poland, im Vorstand der polnischen LGBTI-Stiftung Równość (Gleichberechtigung) und organisiert unter anderem den Krakow Pride March mit. Czerwinski identifiziert sich als nicht-binär

Etwa 100 Verwaltungsbezirke, Städte und Gemeinden in Polen haben sich zu „LGBTI-freien Zonen“ erklärt. Das ist knapp ein Drittel Polens. Auch wenn die Maßnahmen nicht rechtlich bindend sind – was hat das für Auswirkungen?

Tatsächlich ist es noch etwas komplizierter. Es gibt zwei Arten dieser Chartas. Da gibt es die sogenannten „Familienrechtschartas“, die sowohl sexistisch als auch homophob sind. Viele hören „Familienschutz“ und denken erst Mal: Das hört sich super an. Aber bei näherer Betrachtung erkennt man, wer dadurch alles ausgeschlossen wird: Alleinerziehende Mütter, adoptierte Kinder, queere Menschen und deren Familien. Durch die Chartas wird Aufklärung über sexuelle Vielfalt erheblich erschwert und Menschenrechtsaktivismus in diesen Bereichen blockiert. Wir wollten zum Beispiel in einer der Zonen, die eine „familienfreundliche“ Charta verabschiedet hatte, einen Film mit einer queeren Thematik zeigen. Im Kulturzentrum wurde uns gesagt, dass sie LGBTI-Ideologie nicht unterstützen würden. Sie verboten die Filmaufführung.

Die anderen Chartas sind noch offener homophob. Eine der Folgen davon ist, dass in diesen Zonen queere Personen vermehrt mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Stell dir vor, an einem Ort zu leben, wo eine Resolution verabschiedet wird, die besagt, dass du dort nicht willkommen bist. Dass du kein Mensch, sondern eine Ideologie bist. Dies findet meist in kleinen Gemeinden und Dörfern statt, wo sich die Bewohner*innen ohnehin schon von der Gesellschaft abgeschnitten fühlen. Das ist eine doppelte Exklusion: Du fühlst dich aufgrund deines Wohnorts isoliert und musst dann noch Ausgrenzung wegen deiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erfahren. Wir sind mit unserer Stiftung durch diese Zonen gereist und haben immer wieder festgestellt, dass es dort unter queeren Menschen die Mentalität gibt: „Ich bin die einzige Person hier, die trans ist oder homosexuell“

Vor allem im Süd-Osten Polens wurden diese Chartas verabschiedet. Wie erklären Sie sich, dass vor allem in diesen Zonen Maßnahmen gegen LGBTI-Personen verhängt wurden?

Diese Regionen sind die konservativsten Gebiete, wo die katholische Kirche und die PiS-Partei am meisten Macht haben. Das geht Hand in Hand. Es ist auch erwähnenswert, dass die regierende Partei 2013 eine breitflächige Kampagne gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ gestartet hat – mit öffentlichen Events und einseitigen Podiumsdiskussionen. Seit vielen Jahren haben die Menschen dort immer wieder zu hören bekommen, dass diese „Gender-Ideologie“ ihre Familien zerstören werde. Wenn es keine anderen Wissensquellen gibt, fangen die Menschen an, daran zu glauben – und bekommen Angst vor LGBTI-Personen. Dazu kommt, dass ultrakonservative Think Tanks wie das Ordo-Iuris-Institut, welches die Chartas propagiert hat, mit der polnischen Regierung kooperieren.

Gab es innerhalb dieser Zonen Widerstand gegen die Chartas?

Viele haben nach der Verabschiedung der Chartas protestiert, weil sie ihren homophoben Kern erkannt haben. Krakau liegt theoretisch auch in einer solchen LGBTI-freien Zone. Innerhalb der Stadt hat sich dagegen aber viel Widerstand gebildet. Auch in Nowy Sącz, einer anderen betroffenen Stadt, hat eine Schulklasse einen Brief an den Stadtrat geschrieben. Darin haben sie Diversität und Austausch gefordert. Unser größtes Problem ist die hohe Anzahl dieser Zonen, die 2020 noch einmal gestiegen ist. Wir können nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen.

Der deutsche Lesben- und Schwulenverband forderte im April 300 deutsche Städte und Gemeinden dazu auf, Städtepartnerschaften für eine Verbesserung der Situation zu nutzen und im Falle des Scheiterns temporär auszusetzen. Die französische Gemeinde Saint-Jean-de-Braye hat die Partnerschaft mit der südpolnischen Kleinstadt Tuchów wegen der Anti-LGBTI-Charta bereits beendet.

Meiner Meinung nach hat die französische Gemeinde nicht wirklich den Dialog gesucht. Es ist keine gute Idee, die Partnerschaften zu beenden. Es gibt andere Möglichkeiten, politischen Druck auf die lokalen Regierenden auszuüben. Als Partnerstadt oder -gemeinde kann zum Beispiel darauf bestanden werden, bei gemeinsamen Treffen eine LGBTI-Konferenz einzuplanen. Bei Partnerstadt-Reisen können bewusst LGBTI-Personen eingeladen werden oder queere Kulturzentren besucht werden, um Vielfalt sichtbar zu machen. Wir als Stiftung wollen die Austauschmöglichkeiten mit den deutschen Gemeinden nicht verlieren. Lasst uns die Partnerschaft beibehalten und diese diverser gestalten, anstatt ganze Zonen zu bestrafen – und mit ihnen auch die queeren Personen, die dort leben. Ich erinnere mich an meine erste Reise nach Deutschland als Kind im Rahmen eines Austauschprogrammes. Dort sah ich das erste Mal die Regenbogenfahne. Das war ein Riesending für mich!

In einem Schreiben an die Regierungschefs von fünf polnischen Verwaltungsbezirken hat die EU-Kommission die LGBTI-freien Zonen verurteilt und damit gedroht, EU-Mittel zu streichen. Was halten Sie von dieser Drohung?

Es ist positiv und wichtig, dass die Kommission hier Haltung zeigt. Aber die Mittel zu kürzen, könnte nach hinten losgehen. LGBTI-Personen könnten dann als Sündenböcke dargestellt werden: „Schaut, wegen der Schwulen drehen sie uns den Geldhahn ab!“ Wichtiger wäre es, die Aufsichts- und Kontrollfunktion der Kommission auszunutzen, um Anti-Diskriminierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.

Seit dem 1. Juli 2020 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Welche Maßnahmen sollte die deutsche Regierung ergreifen, um die Situation der LGBTI-Personen in Polen zu verbessern?

Direkt von Anfang an sollte auf diplomatischer Ebene politischer Druck ausgeübt werden. Deutschland muss offen fragen: Warum schließt die polnische Regierung bewusst Menschen aus? Dabei sollten die europäischen Institutionen sich auch klar darüber sein, dass die Entwicklungen in Polen oder Ungarn auch die Zukunft der Europäischen Union widerspiegeln könnten – wenn nichts gegen die Diskriminierung unternommen wird, wenn Grundrechte nicht beachtet werden. Wir wissen, dass ähnliche politische Kräfte mit dem gleichen Mindset in anderen europäischen Ländern Auftrieb erfahren. Daher muss klar sein: Die europäischen Werte stehen auf dem Spiel.

Blicken Sie eher optimistisch oder pessimistisch auf die kommenden Monate?

Neben all dem Hass spüren wir viel Solidarität und Unterstützung aus Teilen der Gesellschaft. Abhängig vom Ausgang der Stichwahl werden wir sehen, ob wir fünf weitere Jahre homo- und transphobe Politik in Polen haben werden – oder ob progressivere Kräfte gewinnen. Dudas Gegenkandidat Rafał Trzaskowski hat signalisiert, sich für unsere Rechte einzusetzen. Egal wie die Wahlen ausgehen, ich werde weiter daran arbeiten, unserer Community Hoffnung zu geben. Das braucht es jetzt.

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