Der Avatar als ideologischer Platzhalter

Avatare Über virtuelle Solidarität.

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Wo Demonstrationen auf eine Weise angemeldet werden, wie man sonst nur seinen Facebook-Status ändert; per Knopfdruck und nach ausgiebigen Studien diverser Meinungs-Blogs und YouTube-Portale, da ist auch die Volksfront nie besonders weit.

Nach den Terroranschlägen der letzten Tage in Frankreich, hat sich wieder einmal alles und gar nichts geändert: das halbe Internet ist jetzt »Paris«, während andere »das Volk« oder »ihr seid nicht das Volk«-Volk sind und alle alles sowieso schon lange, wenn nicht gar schon immer geahnt haben.

Man positioniert sich mittels einer virtuell-virulenten, symbolischen Anteilnahme in den sozialen Netzwerken mit Menschen, die man weder kennt, bzw. kannte oder sich jemals mit Ihnen verbunden fühlen wollte. Stellvertretend ersetzen bunte Bildchen in den französischen Nationalfarben das ermüdende, langwierige, zwischenmenschliche Gespräch, das man auf einer Basis geteilten Wissens führen müsste, um sich vor anderen klarzumachen. Auffallend dabei ist, dass es sich fast ausschließlich um Abstraktionen (die »Demokratie«, die »Meinungsfreiheit«, die »Werte«) und nicht etwa um bestimmte Personen handelt. Diese »Avatare« - dessen Aufgabe eine erhöhte Nutzerfreundlichkeit durch ein gerafftes, dialogbasiertes System ist -, jetzt in blau-weiß-rot, ersetzen nun nicht selten die deutsche Nationalflagge aus Zeiten des nationalistischen WM-Taumels vom letzten Sommer, das »Free Gaza«-, »Free Gaza from Hamas«- oder »Boycott Israel«-Engagement vorangegangener Zeiten. Wenn’s mal wieder schnell gehen muss, man die Angelegenheit oder sich in ihrem Kontext für besonders wichtig hält oder sich selbst einfach nur gerne spiegelt, um sich dabei zusehen zu können, grade »das Richtige« zu tun. Darin vereinen sich auf struktureller Ebene die Solidaritätsbekundungen fast aller politischen Lager. Sie alle machen sich im sozialen Netzwerk zum Platzhalter einer zu vermittelnden Ideologie. Auch die »gefällt mir«-Angaben die man dort vorweist, sprechen eine ähnliche Sprache, sind sie jedoch nicht so flexibel und auf den ersten Blick erkennbar. All das ist Teil der marx'schen »Charaktermaske«, durch die wir die Verhältnisse tragen und reproduzieren, verschoben in die Ebene des Virtuellen. Jedoch hat das alles noch nichts mit einer dringenden, analytisch präzisen Religionskritik oder einer Stellungnahme zum Terrorismus zu tun. Noch nicht einmal mit einer menschelnden Maßregelung, die sich auf den Humanismus und seine moralischen Werte zu wagen beruft und die sich im Gegensatz zu einer politisch häufig völlig unzurechnungsfähigen Solidarität, wenigstens nicht in dem Maße instrumentalisieren lässt, als gäbe es überhaupt gar keine Subjekte mehr.

Die Bekundung, sich mit dem, der oder den Betroffenen auf diese Weise solidarisch zu zeigen, ist selbstverständlich nicht neu und die spontane Reaktion nach einem unmittelbaren, meist einschneidenden und medial spektakulären Ereignis, zeigt sich nicht zum ersten Mal als eine emotionsgeladene, oft blinde und von Ohnmacht und Distinktionskampf gleichermaßen getriebene Identifikationshandlung.

Der meist durch eben diese, ohne Frage einleuchtende, Verzweiflung motivierte Ruf nach einer fest zu vertretenden und zu verteidigenden Position im neo-liberalen Zeitalter des Kapitalismus, steht zwar diametral zum aktuellen Credo, dass z.B. »Vorstellungen von Rechts und Links doch nur Spaltungen, längst aufgelöst, veraltet und demnach unbrauchbar« seien, jedoch wird bei näherer Betrachtung das dialektische Verhältnis zwischen einem unermüdlichen und stetig wachsenden Drang nach Übersicht und Deutlichkeit und einem gleichzeitigen Abwehrverhalten der unmittelbaren Lage klar. Wahn und Verblendung konstituieren auf diese Weise das kollektive Bewusstsein einer Gesellschaft. Dieses scheint, vor allem durch die Ausrichtung des Glaubens an eine positivistische Informiertheit, der es nicht um eine fundamentale, moralische oder gar wissenschaftliche Analyse geht - und im Verblendungszusammenhang auch gar nicht gehen kann -, sondern um die bloße Aneinanderreihung von, im besten Falle, Halbwahrheiten, welche zu »Cui Bono«-Spekulationen ausformuliert werden, weit hinter eine greifbare und zu überprüfende Realität gerückt zu sein. Trotz alledem, wird sich fast ausschließlich auf die großen Begriffe »Demokratie« und »Freiheit« berufen, werden die individuellen »Opfer« (und auch »Täter«) des Attentats für den »Kampf der Kulturen« (Samuel P. Huntington) instrumentalisiert und gleichzeitig zum Verschwinden gebracht, auf das große Ganze, dessen Teil man selbst ist, übertragen, um die Motivation einer, bzw. irgendeiner darauffolgenden Handlung zu legitimieren. Ob es sich bei dem Terrorattentat nun um einen »Kampf der Kulturen« handelt oder nicht, spielt letzten Endes gar keine Rolle.

Solange sich allerdings auf eine Freiheit berufen wird, die sich lediglich darauf beschränkt, strunzdumme Hollywood-Komödien wie »The Interview« schauen, und sich über identitätsstiftende Symbole und Karikaturen ausdrücken zu »dürfen«, man gleichermaßen aber ständig dazu bereit ist, freiwillig existentielle und ganz konkrete Freiheiten aufzugeben, sich mit einem ausbeuterischen Arbeitsverhältnis, Sexismus, Homophobie, Rassismus und all den Scheußlichkeiten, die die Gesellschaft Tag für Tag für einen bereit hält, völlig unkritisch arrangiert, solange lässt sich auch keine ernstzunehmende Ideologiekritik formulieren, welche in der Lage wäre, das Ganze als das Unwahre herauszustellen.

Bei all dem Verständnis dafür, dass man als einigermaßen emphatisches, menschliches Wesen eine überwältigende Betroffenheit verspürt, so gibt es doch immer noch einen entscheidenden Unterschied zwischen einer sich an der Ratio bedienenden Kritik der Umstände und allen voran, zu einem kritischen Blick auf Gesellschaft, Politik und Religion und einem auf Parolen reduzierten emotionalen Standpunkt, z.B. dem eines satirischen Comics und dessen Wiederholung.

Man könnte an dieser Stelle auch einfach beleidigend werden und der »JeSuisParis« hashtagenden Gemeinde, die sich nicht selten sogar als »Antideutsche Ideologiekritiker« verstehenden und sich auch sonst immer nur allzu gerne mit vollem Sarkasmus und der gehörigen Portion Post-Ironie, gegen eine Volksfront der »Wutbürger« bei den Montagsmahnwachen, der »Pegida«, den »Truthern« oder der verschwörungstheoretischen Querfront richten, ebenfalls »Wutbürgertum« attestieren oder sie als heuchlerisch und dumm bezeichnen - was sicherlich auch stimmt -, kann ferner jedoch sicher sein, dass es nur ein paar Tage Zeit bedarf, bis sie sich selbst, und kurz darauf dann auch die »Spiegel«-, »Zeit«- und »Focus«-Leserschaft dazu bekennt, sich in blindem Aktionismus einer gefühlsduseligen Identifikation mit den Opfern als »wir alle« und der eigenen Ohnmacht hingegeben zu haben, was sie letztendlich auch fundamental von der durch und durch reaktionären Volksfront der (restlichen) »Wutbürger« unterscheidet. Ein paar Gründe mehr als nur der, als Erstes das Zeilengeld einzustreichen, gibt es allerdings schon: »Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert.« (Theodor W. Adorno)

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