Netflix, Marvel, Feminismus

Das neue Fernsehen Thesen zur Kulturindustrie

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Netflix, Marvel, Feminismus

Foto: superawesomevectors (CC) / http://goo.gl/Cqb2I2

»Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.«
- Bertolt Brecht

Die Grenzen zwischen Konsument und Produzent sind längst verwischt. Der Geist des »Prosumenten« wacht seitdem vor allem über die Kultur. Konnte man in den frühen Stadien des Rundfunks sowohl im Radio als auch im TV bereits anrufen, mitbestimmen bzw. abstimmen und letztendlich in Talk- und Game-Shows leibhaftig am Sendeinhalt mitwirken, entwickelte sich mit der Zeit und mit rasantem Fortschreiten der Technik ein immer größer werdender Kreis von Möglichkeiten der Partizipation. Sah Brecht noch das Moment der Emanzipation durch die Aufhebungen der Grenzen zwischen Sender und Empfänger, wusste Benjamin bereits in der Frühphase des Fernsehens um die Dialektik der Technik und um die Kultur als »Ausdruckszusammenhang« (Benjamin, Walter): »Nicht die wirtschaftliche Entstehung der Kultur, sondern der Ausdruck der Wirtschaft in ihrer Kultur ist darzustellen.« (Benjamin, Walter. »Das Passagen-Werk«, S. 573f.)

Eine Ideologie, die sich in der Postmoderne zunehmend verbreitet hat und mittels technischen Fortschritts in noch abstrakterer Form durch Algorithmen transportiert wird, ist die wechselseitige Durchdringung von Informiertheit und Kritik im Sinne des Positivismus. Während das Modell der »direkten Demokratie« immer fester mit der Idee einer kritisch-neutralen und souveränen Vernetzung verbunden wird, akkumulieren sie letztendlich in einen ganzheitlichen Begriff von individueller Freiheit, der sich schon damit zufriedengibt, überhaupt an etwas partizipieren zu können, sich jedoch gleichzeitig der neoliberalen Wirtschaftsform und den Gesetzen des freien Marktes beugt. Im Ausdruckszusammenhang der Kultur wird dies vor allem in den Streamingportalen für Musik, Film und TV über das Internet deutlich.

»Netflix«

Mit dem Angebot von privaten Konzernen wie »Maxdome«, »Watchever«, »Amazon Instant Video« und (noch nicht unzähligen) Weiteren, werden riesige Datenmengen von Hör- und Sehgewohnheiten gesammelt, ausgewertet und unter Berücksichtigung selbiger in kreativ-ausdifferenzierter Form reproduziert.

Die monatlichen Zahlungen der Konsumenten für ihre Flatrate, fließen zu einem bestimmten Teil in die Instandhaltung der technischen Voraussetzungen und zum anderen wiederum in die Reproduktionssphäre eigener Produkte und somit in den eigenen kulturellen, aber nur scheinbar individuellen Geschmack mit ein und machen den Konsumenten somit zum Konsumierten, sodass man nicht mehr länger nur »ist was man isst«, sondern nun auch ist, was einem schmeckt.

An vorderster Front steht der millionenschwere und weltweit agierende Internet-Streaming-Konzern »Netflix«, der mit einer Vielzahl von eigenen Produktionen für die neuen Maßstäbe im Bereich TV-Serie, Film und Dokumentation sorgt. Die aus eben diesem Hause stammende, erfolgreiche und preisgekrönte TV-Serie »House Of Cards« ist das Produkt solcher ausgiebigen Geschmacksanalysen, basierend auf den Sehgewohnheiten vorangegangener Tage, in denen der Tod des Filmemachers noch nicht rundum gefestigt war. Nun war ein großer Filmemacher, der sich dem Kinofilm und dem Erfolg verschrieben hatte, niemals souverän, niemals unabhängig von ökonomischen Zwängen, von Verträgen und der Zensur und unzählige Filme oder gar Kunstwerke schaffen es nicht einmal einen Vertrieb oder einen Verleih zu finden, da die Risiken des Profits sich für die in letzter Instanz Verantwortlichen als zu groß herausstellen. Das flexible monatliche Abonnement-System der Streaming-Dienste und die Gesellschaft im neoliberalen Kapitalismus, verschaffen der Produktion von Waren innerhalb der kulturellen Sphäre dagegen den erheblichen Vorteil, ökonomische Risiken durch Diversity-Management zu umgehen, indem sie dem Rezipienten als vollständig gläsernes Synonym seiner Lieblingsserien und -filme, den ideologischen Wert des jeweiligen Produkts, gewonnen aus unzähligen ausgewerteten Daten, als komplexe Vielfalt der Themen und als kreative Freiheit der Produzenten präsentieren. Form und Inhalt der neusten Produktionen haben sich längst einer linearen Geschichte entledigt, zugunsten diskursiver, konstruierter und niemals endender Kreativität, die lediglich als »sozialer Kitt« (Fromm, Erich) ein lückenhaftes Weltbild schließen soll. Somit sind auch alle Figuren in der neuen »Netflix«-Eigenproduktion »Jessica Jones« niemals wahrhaft entschlossen, sondern leben ziemlich plan- und perspektivlos in den Tag hinein, fällen ihre Entscheidungen - wenn man sie denn überhaupt noch so nennen darf - spontan - wenn man es denn überhaupt noch so nennen darf - und wissen über die ganze Serie hinweg nichts mit sich selbst, geschweige denn mit ihren Freunden und Feinden anzufangen.

»Marvels’ Jessica Jones«

Unter dem Aspekt, dass »Marvel« schon immer ein Konzern war, der sich um die nicht enden wollenden Möglichkeiten der Produktdiversifikation bei gleichbleibender Form und kaum abgeändertem Inhalt mit besonderem Enthusiasmus bemühte und dazu beigetragen hat, Selbstreferentialität wie künstlerische Freiheit, Flexibilität wie Stärke und Gewöhnlichkeit wie natürliche Schwäche aussehen zu lassen, ist es die strukturelle und logische Konsequenz, sich »Netflix« als Instrument dienlich zu zeigen.

Nachdem »Marvel« und »Netflix« im letzten Sommer mit »Daredevil« die Erste von vier geplanten Serien, die alle miteinander verbunden sind und ineinander übergreifen, ein helles Licht in einer düsteren Unterwelt, mit minimalistischem Inhalt und einer materialistischen Form, sehr ästhetisch, konkret und gleichermaßen drastisch in Szene setzten, finden sich bei »Jessica Jones«, der zweiten Serie in der Reihe, lediglich die Suggestionen. Eine sich an einer (feministischen) Kritik der sogenannten »Rape Culture«, der Kontrolle und der Herrschaft abarbeitende, sich dabei jedoch in einer dauerhaften Schleife von diffusen und abstrakten Begrifflichkeiten von Täter und Opfer und deren Psychopathologisierung auflösende Serie, wurde sie im Herbst 2015 einer nach Sinn und Befreiung strebenden Anhängerschaft, die größtenteils nur noch aus »Usern« in einer Welt zwischen Club, Design-Büro und Laptop-im-Bett zu bestehen scheint, ins Auswahlprogramm geworfen und besteht nicht nur den völlig sinnfreien »Bechdel-Test«, sondern kehrt ihn sogar um, wenn man dem Jubel in den Feuilletons Glauben schenken möchte.

Wenn die Hauptcharaktere Frauen sind, die sich um die wichtigsten Dinge innerhalb der Handlungsstränge einer TV-Serie kümmern, sie größtenteils klug und rational angehen, während die Männer dumm handeln, eitel sind oder ausschließlich von ihren Gefühlen geleitet werden, so ist dies ohne Zweifel eine äußerst gute und längst überfällige Abwechslung. Jedoch geht es bei »Jessica Jones« nicht um einen Feminismus, der sich um eine zusammenhängende Kritik an gesellschaftlichen Machtverhältnissen bemüht, sondern - wenn überhaupt - um einen Feminismus dem es darauf ankommt, dass auch Frauen etwas leisten können, wenn sie sich nur endlich mal wie Männer benehmen. Aufgrund der starken psychischen Schädigung durch ihren Widersacher Kilgrave, der die übersinnliche Fähigkeit besitzt, Menschen durch Gedankenmanipulation von ihrem freien Willen zu berauben und sie somit zu seinen Marionetten macht, entwickelt Jessica, die Hauptprotagonistin der Serie, einen Abwehrmechanismus, der sich in Form von Alkoholismus ausdrückt und ein distanziertes Verhältnis zu ihrer gesamten Umgebung und letztendlich zu sich selbst fordert, dennoch, und vor allem auch genau deswegen, entschieden psychische und physische Stärke zeigt. Und so gibt sich die Figur der Jessica strikt als ein ungeduschter, lederjackentragender und whiskeytrinkender Macho, der sarkastische Sprüche aufsagt, mit Vergnügen prügelt, sich ausschließlich emotionslosem Sex hingibt und sonst auch eher zu »den bösen Jungs« gehört. Damit ist Jessica »genau wie ich, nur besser. Und ein bisschen schlechter«, wie der Psychoanalytiker Dr. Niklas Gebele in seiner Rezension auf »filmschreiben.de« treffend konstatiert.

Trotz ihrer fantastischen Fähigkeit über unglaubliche Muskelkraft zu verfügen, ist sie ihrem gedankenmanipulierenden Feind Kilgrave nahezu hoffnungslos ausgeliefert. Für den Kampf gegen ihre Ängste, Schäden und die zugrundeliegenden Machtstrukturen, kann sich Jessica jedoch immer wieder erschreckend leicht entscheiden. Die neoliberale Selbstbestimmung eines künstlerischen Ichs gegen Ohnmacht und Schmerz; wo die Opfer von Gewalt auf das Podest des heldenhaften gehoben werden, übertönen sie zugleich die Schreie jener tiefsitzenden Wunden, die ihnen einst gewaltsam zugefügt wurden und konstruieren eine Oberfläche auf deren Fundament sich daraufhin im Schein des erhabenen und mündigen Individuums, eine ganz neue Identität projizieren lässt. Hauptsache man wird seine Ängste schnellstens los, lässt sie im naturalistischen Licht erstrahlen, sodass sie voneinander untrennbar nur noch auf die eigenen Schatten fallen und alle Grautöne restlos verdecken. So wie die gesellschaftliche Zurichtung den Kleister für den Halt der Verschleierung durch eine farbenfrohe, spurenreiche Wischtechnik ersetzt, die lediglich vorgibt hübsch zu sein, so tritt auch die Kunst und die Unterhaltung, treten die Dinner, die Zutaten, die Charaktermasken und tritt auch die Kritik in Erscheinung.

»CBS’ Supergirl«

Ganz und gar anders geht es die in etwa zur selben Zeit erschienene Serie »Supergirl« des amerikanischen TV-Senders »CBS« an. Diese zeigt die klassische Fantasy-Geschichte des Protosuperhelden, bzw. der Protosuperheldin. Bodenständig, aber überwiegend schüchtern, zurückhaltend und nicht selten mädchenhaft kichernd, findet sich »Supergirl« in einer patriarchalen Gesellschaft wieder, in der ihre reellste Abhängigkeit neben dem Fantasyaspekt ganzer Horden von Supergegnern, eine ökonomische ist und die Unterdrückung von ihrer Chefin ausgeht. In der Firma herrschen klare Strukturen, es lassen sich keine mit ergonomischen Sitzbällen und Naturgeräuschen ausgestatteten Chillout-Zonen finden, auch lädt die Chefin nicht zum gemeinsamen kumpelhaften Du ein, sondern findet immer klare und ganz direkte Worte der Abstrafung, Mahnung und der Drohung, die der Zurichtung in einem Großkonzern gerecht werden. Doch findet sie auch klare schwärmerische und glorifizierende Worte für »Supergirl«, dem Alter Ego ihrer persönlichen Assistentin, die jedoch ebenfalls in erster Linie einem ökonomischen Interesse entspringen. Gut ist, was sich verwerten lässt und somit wird der feministische Aspekt der Serie in den gesamtgesellschaftlichen Materialismus eingebettet. Formal bedient sich die Serie einer sehr klassischen Erzählweise, verzichtet größtenteils auf einen postmodernen Determinismus oder auf Relativierungen mittels schwerwiegender Rückblenden und verwehrt sich damit einer allzu wichtig erscheinenden Pathologisierung seiner Figuren. Die indeterministische Auffassung zeigt sich schnell als eine entscheidende, denn »Supergirl« versteht die Dialektik zwischen der freien Entfaltung ihrer speziellen Fähigkeiten und ihrer gleichzeitigen Einbettung als Individuum in die Gesellschaft, in deren Hinsicht sie immer nur als das weibliche Pendant zu »Superman« in Erscheinung treten kann. Die Frage der Macht und der Herrschaft über Andere und die immer wieder an ihre Grenzen stoßenden Versuche der Emanzipation, gerinnen in der Serie auf diese Weise zu einer Form.

Eingebetteter Medieninhalt

»Supergirl« ist, genau wie »Superman« auch, keine verschleierte, sondern eine konkret dargestellte Ideologie des sogenannten »American way of life«. Auch sie affirmiert letztendlich die Ohnmachten und Demütigungen, negiert die Peinigungen und das schmerzhafte Ausgeliefertsein und relativiert den ständigen Aufschub von Glück, das wir als Individuum immer wieder einbüßen müssen, doch gleichzeitig stellt sie durch eben diese Konfrontation in ihrer Dialektik auch unverschleiert die Befreiung dar. »Supergirl« denkt zusammen, was nur zusammen gedacht werden kann: Feminismus als emanzipatorisches und gesamtgesellschaftliches, humanistisches Projekt.

Sowohl die immer größer werdende Beliebtheit von Streaming-Anbietern wie »Netflix«, als auch das schwindende Vertrauen in staatliche TV-Programme - vor allem in die Nachrichtendienste (»Lügenpresse«) und in das Fernsehen als Meinungsmedium -, können als Auswirkungen politischer Umwälzung gelesen werden, in denen neoliberale Parteien, deren Konzept der freien Märkte und der Degradierung und Auflösung des Subjekts in ein unternehmerisches Selbst, Einzug in fast alle Lebensbereiche genommen haben, indem sie die Welt der Lohnarbeit, des Privaten und der Kultur gleichermaßen miteinander verbinden und durchdringen.

Auch wenn die Qualität der TV-Serien auf den Streaming-Plattformen wie »Netflix« gestiegen zu sein scheint, dank automatisierter, detaillierter und direkter Auswertung von kulturellem Geschmack, so ist doch ebenso klar, dass diese sich kaum aus mehr als nur einem Merkmal, einer scheinbaren Mündigkeit zum Konsum, speist, welche alle Möglichkeiten offen lässt, sich trotz politischer Thematik von jedem entscheidenden Inhalt distanziert und somit auch jede Form von Veränderung und Emanzipation negiert; sowohl im Feminismus, als auch im Kapitalismus. Obwohl die Serie als solche sich dem Strang nicht enden wollender, bzw. nicht enden müssender Bezüge immer schon über ihr eigenes Format, dem seriellen, verschrieben hat und ein ideeller Kern somit nur vor sich hergeschoben und weiter ausdifferenziert, statt kritisiert oder gefestigt wird, ist sie sehr wohl in der Lage die Struktur in ihrer Form und in ihrem Inhalt aufzubrechen. Das Format der Mini-Serie bricht beispielsweise immer öfter mit komplex verpackter Unentschlossenheit einer Handlung, bei der Diversität in dialektische Verhältnisse eingebettet ist und sich nicht als authentischer Realismus zeigt, der letztendlich nur eine Zerstückelung des Warencharakters vollzieht.

Dass »Supergirl« weder wie »Jessica Jones« als Streaming-Angebot, noch als Qualitäts-Serie daherkommt, sich nicht durch ein Höchstmaß an Diversität auszeichnet oder im Schein der Selbstermächtigung auftritt, was einem dauerhaft und ganz im Stile der »direkten Demokratie« vermittelt, man sei zu einem bewussteren Konsumenten herangewachsen, sondern auf einem der ersten TV-Sender der amerikanischen Fernsehgeschichte als ein fester Teil der »repräsentativen Demokratie« ausgestrahlt wird, ist aus der Perspektive der Ideologie- und Kulturkritik kein Zufall. Nicht die Theorie der direkten Demokratie, sondern ihre Vermittlung als Schein, als bloße Ideologie, ist die wahrhaft folgenschwere Katastrophe, während die Theorie der repräsentativen Demokratie mehr und mehr zu ihrem eigenen dialektischen Gegenentwurf wird.

Lektorat: Alexa Ross, Mirko Stehr
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

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