Unterschiedlicher könnten die beiden Wahlspots kaum sein: Bei dem einen schießt eine Rakete gen Himmel, fahren Brennstäbe groß ins Bild, werden zu pathetischer Musik Wehrhaftigkeit und nationale Größe beschworen. In dem anderen lachen junge Frauen mit farbigen Kopftüchern in die Kamera, eine Ältere im schwarzen Tschador steht hinter dem Rednerpult und spricht zu den jugendlichen Massen. Im Hintergrund ist die Pop-Version eines volkstümlichen Liedes vom „Ende des Winters“ zu hören. Erstarrter Machismo im Werbefilm von Präsident Ahmadinedschad, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, Aufbruchsstimmung bei Mir-Hussein Mousavi, dem aussichtsreichsten Bewerber aus dem Reformlager.
„Wir müssen achtsam sein gegenüber der Gefahr eines sanften Umsturzes durch Wahlen. Die Feinde der Islamischen Republik sinnen auf den Fall der Regierung und wollen einen Präsidenten, der ihnen und ihren Zielen näher steht.“ Ayatollah Janati, der 83-jährige Sekretär des mächtigen Wächterrates, der alle Kandidaten auf ihre Tauglichkeit für politische Ämter prüft, schwört seinen Stab vor der Präsidentenwahl am 12. Juni auf Wachsamkeit ein. Auch Mohammad Ali Jafari, Kommandant der Revolutionswächter (Pasdaran), sagt nichts Anderes. Der Feind führe einen „Kulturkrieg“, nachdem er bemerkt habe, dass der Iran, sein Volk und seine revolutionäre Regierung sich nicht durch militärische Drohungen einschüchtern ließen. Wichtigste Mission der Basidji – der jungen islamistischen Milizionäre – sei es heute, die „psychologische Kriegführung des Feindes, der in aller Stille unsere Jugend verführen will“, abzuwehren.
Revolutionswächter und ultra-orthodoxe Geistliche sind beunruhigt wegen einer möglichen Wahlniederlage von Mahmud Ahmadinedschad. Letzte Prognosen besagen: Mousavi holt auf. Weitere vom Wächterrat zugelassene Bewerber wie der Geistliche Mehdi Karoubi (bis 2004 Sprecher des Parlaments und ein „pragmatischer Reformer“, wie er sich beschreibt) und Mohsen Rezaei, ehemaliger Pasdaran-Kommandant, scheinen abgeschlagen.
Anpassung, kein Bruch
Schon einmal, von 1980 bis 1989, also während des Iran-Irak-Krieges, hat der Architekt und Präsident der iranischen Kunstakademie, Mir-Hussein Mousavi, die Regierung geführt und dank strenger wirtschaftlicher Rationalisierung das Überleben der jungen Republik ermöglicht. Der Bewunderer von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini galt stets als nicht korrumpierbar. Doch wurden während seiner Amtszeit, die zugleich das erste Jahrzehnt der Revolution war, Zehntausende verhaftet und hingerichtet, die siegreichen Islamisten schalteten Schah-Anhänger, Linksislamisten und Kommunisten systematisch aus.
Zu seiner Entscheidung, sich für das Präsidentenamt zu bewerben, sagt Mousavi: „Ich hatte kein Verlangen zu kandidieren. Ich sah aber die Probleme und spürte die Fähigkeit in mir, diese zu lösen. Aus Respekt für meine Entscheidung habe ich den Obersten Führer dabei nicht konsultiert. So Gott will, werde ich aber ein Treffen mit ihm haben, da ich glaube, dass er meine Teilnahme im Rahmen der Verfassung genauso begrüßen wird wie die jedes anderen Menschen.“ Eine gewundene, aber selbstbewusste Distanzierung von Ayatollah Khamenei.
Mousavi beschreibt mit Worten, die deutlicher kaum sein könnten, das politische und kulturelle Unvermögen der Regierung Ahmadinedschad. Er kritisiert die Korruption und die sprunghafte Willkür vieler Entscheidungen, den Extremismus der Außenpolitik, die Schließung von Zeitungen und die Erosion der Freiheit. Und er will die Kontrollen durch die Sittenpolizei beenden. Zur Atompolitik erklärt er nur, er wolle auf die Nukleartechnologie nicht verzichten, doch es komme auf Vertrauen im Ausland an.
Ein nüchternes Programm ohne populistische Versprechen, hier setzt sich kein Prophet in Szene, sondern ein Sachwalter, der Reformen für dringlich hält. Von Ahmadinedschads Taktik, auf die Wünsche der kleinen Leute zu setzen und Geldscheine an sie zu verteilen, um Stimmen zu fangen, hebt sich Mousavis Realismus deutlich ab. Er bleibt ein konservativer Reformer, dessen Veränderungswille sich in vorsichtiger Anpassung an die Moderne äußert und keinen Systembruch will. So sagt Mousavi wie der liberale Ex-Präsident Khatami über seine Gegner: „Sie glauben, sie könnten einen Damm gegen den Wandel errichten, aber der Wandel wird sich auftürmen, bis der Damm bricht und eine Katastrophe auslöst wie das Bersten einer Staumauer.“
Warnung an alle Kritiker
„Ahmadinedschads Administration ist die schlimmste seit der Revolution, die Nummer 1 in finanzieller Disziplinlosigkeit“, schimpft der Sprecher des parlamentarischen Wirtschaftsrates über Unregelmäßigkeiten bei der Haushaltspolitik des Präsidenten. Abgeordnete aller Lager verlangen inzwischen mehr Transparenz sowie ein Handeln nach Recht und Gesetz. Sie bitten den religiösen Führer (Rahbar) um Beistand: Ayatollah Khamenei möge sich mit den ausufernden Verletzungen des Budgets durch die Regierung befassen. Die Antwort lässt nicht auf sich warten. In einer landesweit ausgestrahlten Rede lobt der Rhabar am 21. Mai Mahmud Ahmadinedschad ausdrücklich: „Ich kenne die Lage besser als diese Gentlemen, die ihn kritisieren. Ich weiß, dass vieles, was sie über das Land und seine Ökonomie sagen, der Realität nicht entspricht. Sie irren sich.“ Schon im November hatte Khamenei die Kritiker gewarnt: „Die Attacken gegen die Regierung sind nichts, worüber der Allmächtige leicht hinwegsieht.“
Absetzbewegungen gegenüber Ahmadinedschad gibt es trotzdem. Immerhin entstand die Allianz Prinzipientreue für Mousavi. „Prinzipientreue“ ist der Name, den die Konservativen sich selbst gegeben haben, jetzt aber steht er für die Spaltung des Klerus. Während sich der Qomer Zweig der konservativen Assoziation der kämpfenden Geistlichen auf keine Wahlempfehlung einigen konnte, erklärten die Kämpfenden Geistlichen aus Tabriz ihr Votum für Mousavi.
Inzwischen drohen drei Großayatollahs dem staatlichen Fernsehen (IRIB) mit einem Go-In ihrer Schüler. Der IRIB habe fälschlicherweise verkündet, dass sie gegen die Veröffentlichung eines Fotos protestiert hätten, das sie zusammen mit dem Kandidaten Mousavi zeigt. Sie bezichtigen das Fernsehen der „Lüge“ und der „Ignoranz“ und fordern eine sofortige Richtigstellung. Der Zwischenfall ist deshalb bedeutsam, weil die drei Geistlichen so genannte „Quellen der Nachahmung“ sind, ihre Meinung für ihre Anhängerschaft somit verbindlich ist.
Elisabeth Kiderlen war 1990-1998 Redakteurin bei Merian. Zeitschrift für Kultur und Reisen, 1998-2004 Feuilletonleiterin der Badischen Zeitung. 2005/06 hatte sie einen Lehrauftrag an der Universität Isfahan
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