Antisemitismus á la Deutschland

BDS-Bewegung Ein fraktionsübergreifender Antrag will BDS delegitimieren und eröffnet einen Kampf um die Deutungshoheit über das Wesen des Antisemitismus.

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Der deutsche Bundestag hat am 15. Mai 2019 einen nahezu fraktionsübergreifenden Antrag gestellt, der sich gegen die Kampagne „Boycott, DivestmentandSanctions“ (BDS) richtet. Unter dem Titel „Antisemitismus bekämpfen“ wollen die Regierungsfraktionen der Unionsparteien und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) zusammen mit der oppositionellen Freien Demokratischen Partei (FDP) und Bündnis 90/Die Grünen die transnationale Widerstandsbewegung in ihrer grundsätzlichen Struktur brandmarken und diskreditieren. Herangezogen wird die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken, die den Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüd*innen“ versteht, „die sich als Hass gegen“ jene richtet. Das Subjekt des Antrags – die BDS-Bewegung – wird jedoch nur marginal behandelt, der Fokus liegt auf der grundlegenden Absage des Antisemitismus. Damit machen es sich die Parteien besonders leicht, da sie den Katalog, was als antisemitisch gilt, zwar benennen, ihn jedoch kritiklos auf die Bewegung anwenden, ohne sich in der theoretischen Gesamtheit damit zu befassen. Nicht nur die Tatsache, dass viele jüdische und israelische Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und weitere Menschen die BDS-Kampagne unterstützen oder das Recht darauf untermauern bringt den Antrag in einen vermeintlichen Widerspruch. Auch erfüllt die Kampagne kein einziges erwähntes Kriterium der Parteien, das ihnen aufoktroyiert werden soll.

Das Diffamieren der jüdischen Identität, das Absprechen des Existenzrechts des Staates Israel sowie die Negation der „Landesverteidigung“ und „Freizügigkeit“ wird zentral als antisemitisches Charakteristikum benannt. Wirft man einen Blick in den Aufruf vom 9. Juli 2005 bleibt nicht mehr viel übrig von der Dämonisierung der Bewegung als eine Kampagne, die den Staat Israel in allen Grundzügen ablehnt. Genau das Gegenteil wird als Zielsetzung herangezogen. Der gewaltfreie Widerstand stellt nicht das Existenzrecht infrage, sondern betont das Selbstbestimmungsrecht der palästinensischen Bevölkerung im Einklang mit internationalem Recht. Das Ziel ist gerade die israelische Regierung dazu zu bewegen, die illegal besetzen Gebiete in Gaza und im Westjordanland abzubauen sowie den arabischen Bürger*innen des Staats Israels „das Grundrecht … auf völlige Gleichheit“ anzuerkennen. Eine Bewegung, die als Ziel die Zerstörung des Staates hätte, würde sich kaum auf geltendes nationales und internationales Recht berufen. Der Boykott richtet sich nicht gegen Israel als „jüdische Identität“, sondern als eine kolonialistische Regierung, deren völkerrechtswidrigen Aktionen in den letzten Jahrzehnten mehrmals Gegenstand von UN-Resolutionen waren. Vielmehr macht sich im Antrag der Bundesregierung und Opposition eine vulgaristische Auslegung des Antisemitismus bemerkbar.

Ohne jeden Widerspruch wird im Antrag der Staat Israel als „jüdisches Kollektiv“ verstanden, womit das Narrativ der rechten Regierung in Israel kommentarlos übernommen wird. Diese Argumentation bedingt eine gesellschaftliche Ungleichheit, bei der nichtjüdische Bürger*innen eine Benachteiligung erfahren muss, anders wäre diese bewusste Definition gegenstandslos. Dahinter verbirgt sich ein typisch deutsches Phänomen, das Resultat der Aufarbeitung des faschistischen Terrorregimes und der Shoa ist. Rolf Verleger, ehemaliges Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, bezeichnet das mit Blick auf die antideutsche Bewegung – die deutscher nicht sein könnte – als „pervers“ und „extrem rechts“, die bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel als Instrument heranzuziehen, um jede Kritik „zur Menschenrechtslage in Israel“ zu delegitimieren. Zwar wird auch vonseiten der Bundesregierung stets betont, dass Kritik angemessen ist, diese jedoch ihre Grenzen dann findet, wenn die Punkte im Katalog erfüllt werden. Dass das gegenstandslos ist, beweisen sie einmal mehr in Bezug auf BDS. Ähnlich sehen jüdische und israelische Wissenschaftler*innen, die diesen Monat einen Aufruf an die deutschen Parteien richteten, um den Antrag in dieser Form zu überarbeiten. „Als alarmierender Trend“ wird bezeichnet, dass die palästinensische Menschenrechtsbewegung „als Antisemiten abgestempelt“ werden. Auch hier wird einmal mehr deutlich, dass es sich hierbei um einen Kampf um die Deutungshoheit des Begriffes handelt. Von einer wissenschaftlichen Aufarbeitung ist nicht im geringsten zu sprechen.

Der doppelte Moralismus wird dadurch deutlich, dass das Werkzeug der Sanktion einzig den Staaten überlassen werden soll. Deutsche Sanktionen gegenüber Russland, Venezuela oder den Iran werden gleichermaßen mit „Menschenrechte“ und „Demokratie“ begründet. Eine faktische Graswurzelbewegung, die sich gegen ein unterdrückendes Regime stellt, wird auch nur dann hofiert, wenn es im eigenen Interesse steht. Das greift so weit, dass die Existenz des palästinensischen Volkes grundsätzlich geleugnet wird, das rassistisch mit einer Gleichsetzung der arabischen Nationen beantwortet wird. Wenn Jüd*innen in der BRD vorgehalten wird, sie seien Antisemit*innen, weil sie eine Kritik an der israelischen Regierung äußern, hat das nichts mit einer historischen Aufarbeitung zu tun, ganz im Gegenteil. Der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus treibt es so weit, dass selbst bei einer expliziten Nichterwähnung des Gesagten die Gefahr im Raum steht, als Antisemit*in bezeichnet zu werden. Es ist die deutsche Unverschämtheit, die den Antisemitismus erneut in ihrem Geiste benutzt, um eigene Interessen zu schützen, derweil die Gefahr des Antisemitismus in der Realität unterschätzt wird. Der dadurch kolportierte Philosemitismus der BRD ist ein Zeitprodukt, das besonders dann auf die Probe gestellt wird, wenn im Staat Israel eine progressive oder sozialistische Regierung an die Macht kommt. Wie es dann noch um die bedingungslose Solidarität gestellt ist, bleibt abzuwarten.

Ginge es nach der Alternativen für Deutschland (AfD) sollte BDS komplett verboten werden, die ebenso der Argumentation verfallen sind, die Kampagne bestünde größtenteils aus Menschen, die Israel vernichtet sehen. Obgleich auch die Linkspartei größtenteils ablehnte, stehen sie der konsensuellen Meinung grundsätzlich nicht diametral entgegen. „Wir sind uns einig, dass wir Boykottaufrufe gegen Israel verurteilen und die BDS-Bewegung nicht unterstützen“, so Stefan Liebich. Nichtsdestoweniger gibt es immer Menschen, die auf dem Ticket der Widerstandsbewegung genuin antisemitische Propaganda verbreiten. Dieser Ideologie ist auch im Sinne der BDS entschieden entgegenzutreten. Ein Urteil einzig auf Einzelmeinungen bezogen zu fällen war allerdings noch nie seriös und gerade für eine politische Entscheidung dieser Dimension ist es absolut desaströs. „Auf unseren entschiedenen Widerstand“ werden Antisemit*innen stoßen, heißt es im Antrag, dem im Grunde nichts entgegenzusetzen ist. Allerdings muss erst geklärt werden, was der Antisemitismus ist und was er nicht ist. Gegnerschaft zur israelischen Regierung aufgrund ihrer Politik ist nicht antisemitisch, sondern politischer Diskurs. Plakate mit „Israel ist unser Unglück“ – wie sie die neofaschistische Partei Die Rechte zur EU-Wahl plakatiert – sind unbestreitbar antisemitisch. Die Deutschen sollten nicht den Fehler machen, den oppositionellen Jüd*innen und Israelis zu erklären, was Antisemitismus bedeutet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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