Arbeitsweg hui, sozialer Kontakt pfui

Corona Neben der Verlängerung des Lockdowns gibt es weitere Verschärfungen, die besonders das Private treffen. Unternehmen und die Wirtschaft bleiben wie so oft verschont

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Januar-Tristesse
Januar-Tristesse

Foto: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

Am 5. Januar 2021 tagten Bund und Länder der BRD, um über die Coronamaßnahmen zu beraten. Wie erwartet wurden Lockerungen angesichts der hohen Infektions- und Todeszahlen gar nicht erst in Erwägung gezogen. Stattdessen wurden weitere Verschärfungen verkündet: Der sogenannte „Lockdown“ wird mindestens bis zum 31. Januar 2021 verlängert, was besonders Restaurants, Theater, Läden und Dienstleistungsangebote betrifft, die nicht für den lebensnotwendigen Verbrauch und Konsum sorgen. Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow (Linkspartei), plädierte einige Tage davor schon dafür, die Kontaktbeschränkung drastisch einzuschränken: Ab einem Inzidenzwert von 200 soll die Bewegungsfreiheit in einem Radius von 15 Kilometer eingeschränkt werden. Im Freistaat Sachsen gibt es bereits solche Einschränkungen. Hintergrund ist besonders der Wintertourismus, wie er unter anderem in Thüringen und Baden-Württemberg stattfindet. Anknüpfend an die Einschränkung der Bewegungsfreiheit wurde auch der Kontakt zu anderen Menschen minimiert: Anstatt maximal fünf Personen aus zwei Haushalten dürfen sich nur noch Angehörige des eigenen Haushaltes und maximal eine Person eines fremden Haushaltes im öffentlichen und privaten Raum treffen. Anders als vergangener Woche trifft die Kontaktbeschränkung auch Kinder unter vierzehn Jahren.

Wenngleich die Coronapandemie unter Kontrolle gebracht werden muss, zielen die stärkeren Verschärfungen in eine falsche Richtung. Während der private Raum und die sozialen Kontakte untereinander weiter beschränkt werden, wird alles dafür getan, die Wirtschaft so wenig wie möglich zu beschränken. Ausgenommen von jeder Kontakt- und Bewegungsbeschränkung ist die Lohnarbeit, besonders dann, wenn die Möglichkeit nicht besteht, Homeoffice zu betreiben. Ob der Weg zur Arbeit mittels des Personennahverkehrs oder die Unmöglichkeit der Einhaltung von Mindestabständen in Betrieben und Büros wird die Wirtschaft weiterhin über das individuelle Leben gestellt. Anders als die faktischen Verbote im privaten und privat-öffentlichen Raum, die bei Missachtung sanktioniert werden, brauchen sich die Arbeitgeber*innen und die Unternehmen keine Sorgen zu machen. Anstatt einer Verpflichtung bitten Bund und Länder vielmehr, dafür Sorge zu tragen, die Verbreitung des Virus im eigenen Betrieb zu verhindern. Doch an eine Bitte ist keine Sanktion geknüpft.

So ist auch das vage und inkonsequente Handeln bei Schüler*innen und Student*innen. Da Arbeiter*innen an den Arbeitsplatz müssen, kann gar nicht anders entschieden werden, als die Schulen und Hochschulen hybrid offenzulassen, da sich sonst ein (ökonomisches) Dilemma bei jenen Haushalten entwickeln wird, die arbeitende Eltern und auszubildende Kinder beherbergen. Homeschooling ist nur dann möglich, wenn es eine ausgiebige Betreuung zu Hause geben kann, was nicht zu gewährleisten ist. Doch Kinder und Jugendliche massenweise in die Klassenräume zu zwingen, die ebenfalls ein Infektionsherd sein können, steht der Kontaktbeschränkung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit diametral entgegen. Zwar sollen ebenfalls bis zum 31. Januar 2021 die Schulen und Hochschulen geschlossen bleiben, doch das ist nicht an eine Aussetzung der Schulpflicht gebunden. Sozial schwache Familien und Student*innen wird es hier weiterhin am härtesten treffen, sei es bei unzureichender Ausstattung von Endgeräten, der Unmöglichkeit einer durchgehenden Betreuung oder der grundsätzlichen ökonomischen Existenzangst, die wie ein Damoklesschwert über jenen hängt, die die Freiheit nicht besitzen, Entscheidungen im Sinne der eigenen Gesundheit zu fällen.

Die Mahnungen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und die Gefährlichkeit und Übersterblichkeit nicht zu unterschätzen, bleiben aktuell und sind nicht wegzudiskutieren. Doch das erweiterte Maßnahmenpaket des Bundes und der Länder ignoriert alle sozialpsychologischen Aspekte, besonders was Kinder betrifft. Es ist nicht überzeugend, zu erklären, weshalb ein Arbeitsweg mit enorm vielen Kontakten in Ordnung sei, der private und soziale Austausch in kleinem Rahmen jedoch nicht. Die immense Kontaktbeschränkung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit sind ein symbolträchtiges Eingeständnis der Regierung, die Kontrolle über die Situation verloren zu haben. Solange Wirtschaft und Kapital uneingeschränkt weiter agieren können, besonders jene, ist jede Maßnahme nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Anstatt funktionierende Hygienemaßnahmen von Theatern und Restaurants zu ignorieren und Betriebe, Baustellen und Büros uneingeschränkt und ohne jegliche sanktionierende Kontrollmechanismen offenzulassen, sollte jeder Betrieb und jedes Büro geschlossen werden, die für die Eindämmung der Pandemie nicht lebensnotwendig sind. Darüber hinaus sollten sowohl Schulen als auch Hochschulen nicht nur geschlossen bleiben, sondern der Unterricht und die Lehre ausgesetzt werden. Es ist kein Weltuntergang, wenn die Bildung für ein paar Wochen ausgesetzt wird, wenn die Alternative ein gefährliches Spiel mit dem Virus ist. Die Verquickung von Politik und Wirtschaft ist das größte Hindernis, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen, was man auch an der katastrophalen Organisation des Impfstoffes sieht. Es ging jedoch nie primär um den Schutz und die Gesundheit aller, das Wohl der Wirtschaft steht über allem. Und sollten die Infektionen wieder steigen, wird erneut an die „Vernunft“ appelliert und tief in den Privatraum des Einzelnen eingedrungen, was nicht der Schlüssel zur Eindämmung sein kann. Notwendige Kontaktbeschränkungen erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn diese auch das wirtschaftliche Leben betreffen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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