China und der Maoismus

Geschichte Am 1. Oktober feiert die die zweitgrößte Wirtschaftsmacht ihr 70. Bestehen. Noch heute wird dem Staat vorgehalten, er sei kommunistisch, was er selbst unter Mao nie war.

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Die Volksrepublik China, welche vor 70 Jahren ausgerufen wurde, ist ein Produkt kommunistischer Bewegungen. Als 1949 Mao Zedong, der Führer der Kommunistischen Partei Chinas, nach einem blutigen Bürgerkrieg die chinesischen Nationalist*innen auf die Insel Taiwan zwang und auf dem Festland die Volksrepublik ausrief, konnte niemand ahnen, dass aus dieser Republik eine neo-imperialistische Großmacht werden sollte, mit dem größten Militär und supranational-hegemonialen Bestrebungen. Den heutigen Staat selbst kann man nicht mehr maoistisch schimpfen, auch wenn seine Ideen nach wie vor hochgehalten werden und es von hiesigen chinesischen Politiker*innen gerne gesagt wird, man sei erst im ersten Stadium des Sozialismus. Doch was soll das überhaupt sein? Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir an die Ursprünge, an die Wurzel der Ideen Mao Zedongs, verknüpft mit der Frage, wie marxistisch diese Schule sein wird. Die griffigste Formel, die den Maoismus beschreibt, ist die Lehre vom Volkskampf, in dem externe Konflikte durch Vernichtung und interne Konflikte durch Selbstkritik gelöst werden. Das hatte die Kulturrevolution zur Folge, in dem der dialektische Klassenkampf in einen nationalistischen Bürgerkrieg umgeformt wurde. Anders als Josef Stalin kann man Mao jedoch zugutehalten, dass er sich selbst und der Bewegung selbstkritisch gegenüberstand und Fehler korrigiere – wenngleich nicht immer im Sinne des Marxismus – was freilich dann zur Folge hatte, dass auch die maoistische Idee eine Spaltung ertragen musste. Anders als der Marxismus negiert der Maoismus allerdings die führende Rolle des Proletariats mit dem Hinweis, dass jenes im agrarischen China noch nicht ausgeprägt war und baute auf das Bauerntum, welches avantgardistisch im Schulterschluss mit dem – hier sekundär – Arbeiter*innentum die Macht erringen sollte.

Hier findet sich der erste, dezidierte Bruch mit dem orthodoxen Marxismus.Karl Marx und Friedrich Engels verstanden das Bauerntum stets als schwankende, widersprüchliche Klasse, die sich opportunistisch dem Kleinbürger*innentum oder dem Proletariat zuwandte. Ihm wurde hernach die Rolle als revolutionäres Subjekt aberkannt, da sie als Scharnierfunktion diente. Ihr musste demgemäß mittels des Proletariats die Funktion einer revolutionären Teilbewegung herangetragen werden. Diese Haltung war auch in der leninistischen Bewegung eine stets schwankende. So schwadronierte auch Lenin vor der Oktoberrevolution von einer „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“, obgleich es so etwas nicht geben wird, da das lohnabhängige Bauerntum in das Proletariat übergeht, derweil das kleinbürgerliche Bauerntum eine antagonistische Rolle einnehmen muss. Der Maoismus indes bekräftigt grundsätzlich das Bauerntum und fordert im Sinne einer internen Quasi-Säuberung die Aneignung zum revolutionären Subjekt. Hernach unterstützt der Maoismus unweigerlich auch kleinbürgerliche Tendenzen, die durch interne Selbstkritik nicht getilgt werden können. Der zweite schwere Fehler ist die Kanonisierung des Marxismus-Leninismus in seiner eklektischen Form mittels der stalinistischen Interpretation. Linksoppositionelle und antistalinistische Gruppen wurden im Maoismus relativ früh vernichtet, wonach der Maoismus nicht anders konnte als zu einem chinesischen Stalinismus mutieren, will heißen: Bonapartistisch-bürokratischer Elitarismus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die sowjetische Entstalinisierung nach 1956 keinen Fuß fassen konnte in der chinesischen Republik.

Unter Mao Zedong wurde die Partei der Avantgarde in eine Massenpartei umgewandelt, – welche durch Säuberungen stetig „erneuert“ wurde – die die Kader nur noch als Verwalter nutzen konnte. Es wurde quasi ein Staatskapitalismus im Engels’schen Sinne aufgebaut, der auch nicht mit den deformierten Arbeiter*innenstaaten des sogenannten Ostblocks gleichgesetzt werden konnte. Durch das fehlende Proletariat konnte sonach auch keine marxistische Verstaatlichung stattfinden, was den Maoismus in die groteske Situation brachte, den agrarischen Sozialismus mittels post-leninistischem Vokabular zu rechtfertigen. Diesem Widerspruch durchaus bewusst ordnete Mao Zedong selbst häufig an, zurück zum Ursprung zurückzukehren, das heißt zu Marx und Engels. Die Grundproblematik hinter diesem Wunsch verbarg sich hinter dem formalistischen Marxismus, wie er in der Sowjetunion während Stalin interpretiert wurde, der in China kritiklos Anwendung fand. Doch ein essenzieller Bruch sowohl mit dem orthodoxen Marxismus als auch dem Leninismus fand in der Taktik der Guerilla statt. Die sozialistische Revolution soll der Theorie nach durch unabhängige, doch miteinander verzahnte Guerillakämpfen erobert werden. Eine Methodik, wie sie auch in Lateinamerika stattfand und erklärter Weise auch die Kubanische Revolution hervorbrachte. Diese krude Herangehensweise der Revolution in Permanenz stehen jedoch zwei grundsätzliche Auseinandersetzungen im Weg: sie haben keine Verankerungen im Proletariat, sind somit eine Form der spontaneistischen Aktion und zweitens verliert dieser Befreiungskampf jegliche marxistische Legitimation, wenn die Frage der Produktionsverhältnisse nicht angerührt wird.

Erstaunlicherweise konnte der Maoismus in vielen Ecken der Welt Fuß fassen und konzentriert sich weitgehend auf individualistische Aktionen. Er lässt sich mehr als Befreiungsnationalismus charakterisieren, der sich zwar sozialistischer Ideen bedient, doch die grundsätzliche Gesellschaftsfrage nicht stellt und damit dem Staatssozialismus den Vorzug gibt. Maoist*innen sehen den Kommunismus als unendliches zu erreichendes Ziel und verstehen verschiedene Stufen des Sozialismus als gesetzmäßig gegeben hin. Damit stehen sie nicht nur im Kontrast zum historischen Materialismus, sondern negieren auch wichtige Elemente der marxistischen Staatstheorie. Der Maoismus hat nun das Proletariat geformt, das er so sehr negiert und für nicht revolutionär hält. Doch Mao selbst hielt an einem nationalen Sozialismus fest. Eine Krankheit, die heutige Maoist*innen noch teilen. Die heutige Volksrepublik negiert seit der kapitalistischen Öffnung durch Deng Xiaoping gleichermaßen die protosozialistischen Entwicklungen, die die Anfänge Chinas begleiteten. Nicht nur wird eine faktische, doch nicht zugegebene Absage am Marxismus gelebt, die Gründungsideologie des Maoismus erfährt eine selbige Negation. Sozialistisch oder gar kommunistisch ist im China des 21. Jahrhunderts nichts mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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