Das Ende der Philosophie

Kritik Das ewige Dilemma: Die Philosophie spricht von der Befreiung der Menschheit, doch kann sie selbst nichts dazu beitragen, da es ihr eigenes Todesurteil wäre.

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Die Philosophie scheint eine ewige Begleiterin der Menschheit zu sein. Zu erklären und zu verstehen, warum etwas ist und überhaupt ist, lässt den Menschen nicht los und ist ein epochenübergreifendes und scheinbar klassenunabhängiges Phänomen. Alleine die Erkenntnis, Erkenntnisse zu haben, zwingt das denkende und urteilende Wesen dazu, diese Erkenntnis als Erkenntnis zu messen und anzuwenden. Dabei hat die Philosophie innerhalb der letzten Jahrhunderte einige Disziplinen an die Wissenschaft abgeben müssen, besonders an die Naturwissenschaft. Daraus entwickelte sich ein Antagonismus, der die Philosophie, besonders wie sie sich heute versteht und versucht wird zu lehren, als Schule versteht, die all das aufgreift, was nicht mess- oder nachweisbar ist, sondern Eigenschaften beinhaltet, die in erster Linie das Zusammenleben und Verhalten der Menschen an sich betrachtet. Daher ist das Bild von Philosoph*innen, die ihre Existenzberechtigung daraus ziehen, zu denken, kein grundfalsches, wenngleich es pejorativ ausgelegt eine nicht ganz faire Sache ist. Dennoch liegt gerade in der Auseinandersetzung mit dem Menschen als subjektives, denkendes und handelndes Wesen in einer objektiven und naturalistischen Welt der Kontrast im Mittelpunkt, mit dem die Philosophie heute kokettiert.

Grundsätzliche Fragen wie: warum handeln Menschen, wie sie handeln? Was ist moralisch gut und was ist moralisch schlecht? Oder: was ist der Zweck der eigentlichen Existenz? sind zentrale Elemente der Philosophie, die selbst den Anspruch erheben, universell zu sein, das heißt unabhängig von jeglichen spezifischen Interessen. Freilich können moralische oder erkenntnistheoretische Debatten meinungsbildend und konträr sein, doch die Struktur der Frage bleibt immer dieselbe und ist daher verpflichtet, eine Antwort zu finden, die sich gegen die Wissenschaftlichkeit positioniert. Dabei ist die Philosophie alles andere als frei von Interessen oder Klasseninhalten, sondern denselben Gesetzen unterworfen, wie jede andere Disziplin einer Gesellschaft und Herrschaft. Die postulierte Freiheit der Gedanken und Forschung innerhalb philosophischer Debatten sind in ihrer Zeit stets Ausdruck eines herrschenden Diskurses, der in der abstrahierten Kritik den zeithistorischen Standpunkt widerspiegelt. So sind Moralverständnisse an die jeweiligen herrschenden Normen gebunden respektive einem Wechselspiel untergeordnet, so auch weiter gehende Fragen, wie besonders die Stellung des Subjekts zum Kollektiv. Dass sich die Philosophie einer Erschütterung ihrer eigenen Existenz vehement entzieht, ist besonders im 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert zu beobachten, als zwei Disziplinen der Philosophie zur Disposition gestellt wurden: die Logik und die Metaphysik.

Die Logik ist einer der beiden größten Errungenschaften in der Geschichte der Philosophie. Ihr Verdienst liegt darin, eine Sprache und Wissenschaft entwickelt zu haben, die in der natürlichen Sprache die Lehre von Argumenten und Beweisen darlegt. Im alten Griechenland, unter Aristoteles und Platon, wurde hierbei eine Form verwandt, die Anfang des 19. Jahrhunderts Hegel wieder entdeckte: die Dialektik. Der Unterschied zur formalen Logik, wie sie im 21. Jahrhundert als formvollendete Denkschule gelehrt wird, liegt in der Überwindung des tertium non datur (Satz des ausgeschlossenen Dritten). Das bedeutet nicht, dass die formale Logik in ihren Ausprägungen – besonders der Prädikatenlogik – keine Daseinsberechtigung hat. Ihre Möglichkeiten, sich zu entfalten und die Komplexität der Wirklichkeit abzubilden, sind jedoch insoweit eingeschränkt, als dass der Dualismus als nicht zu stürzendes Mantra emporgehalten wird, was die Philosophie zur Selbstknechtung zwingt. Die Dialektik als Schule der Bewegungsgegensätze und Selbstnegation wird dabei in der Wissenschaft, besonders der Physik und Astronomie, immer häufiger bestätigt und bildet ein detaillierteres Bild der Wirklichkeit ab, das einen Schlüssel zum Verständnis bringt. Dass sich die Philosophie der Dialektik – oder mehr: die herrschende Philosophie – so sehr verweigert, ist in der Notwendigkeit begründet, was die Rolle der Philosophie eigentlich zu spielen hat.

Einher mit dem dialektischen Denken steht die zweite Größe der Philosophie – die Metaphysik – zur Disposition. Wobei konkreter von einer Ontologie gesprochen werden muss, die der Metaphysik jeglichen idealistischen Ausdruck verweigert. Bei der Frage, was das Sein eigentlich ist, scheitert die Philosophie am kläglichsten, obwohl gerade das die Disziplin ist, in der sie sich zu verwirklichen hat. Der Grund liegt in der paradoxen Konsequenz, die sich aus ihr ergibt; hier stehen sich grob betrachtet zwei Positionen gegenüber: einerseits der Idealismus, andererseits der Materialismus. Ihre Wesenskerne sind dahingehend antagonistisch, als die idealistische Erkenntnistheorie das Sein vom Bewusstsein, derweil der Materialismus das Bewusstsein vom Sein abstrahiert. Der Idealismus zentriert das Bewusstsein, das heißt die Gedanken, die Erkenntnis, zu sein in den Mittelpunkt und nutzt es als Ausgangssituation, um objektive Bedingungen und Wirklichkeiten zu erklären. Der Materialismus dreht die Logik herum und macht die Wirklichkeit nicht vom Bewusstsein des Menschen abhängig, sondern argumentiert, dass das Bewusstsein nur Ausdruck eines Seins sein kann.

Es ist keine Überraschung, dass auch gerade der Materialismus in seiner Formvollendung mit der Dialektik auch die Erklärung bietet, weshalb die Philosophie überhaupt entstand, denn diese ist ein reines und ausschließliches Produkt des Menschen. Die Philosophie existiert außerhalb der Gedanken nicht. Um sich hiernach bewusst zu werden, dass man ist, bedurfte es der Philosophie, das zu erklären, was es zu erklären gab und gibt. Vorwerfen kann man es freilich nicht, dass sich Schulen entwickelten, die eine egozentrische Betrachtung vorschlugen und verteidigten. Denn anzuerkennen, dass die Wirklichkeit es erst ermöglicht, sich diesen Fragen zu stellen, wird die eigene Wichtigkeit dahingehend unterminieren, da die Existenz des Einzelnen irrelevant für das Bestehen der Wirklichkeit ist. Es ist daher kaum verwunderlich, dass auch materialistische Ausarbeitungen beginnend Mitte des 19. Jahrhunderts heute kaum eine Beachtung finden, gleich, ob von Ludwig Feuerbach oder Karl Marx. Gerade die deutsche akademische Philosophie zeigt sich hier von einer unterwürfigen Seite, hegelianische oder dialektische Materialist*innen aus Deutschland keine Beachtung zu schenken. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, denn die Konsequenz wäre eine radikale.

Der Materialismus und die Dialektik als höchste Stufen der Philosophie bedeuten das Ende der Philosophie. Nicht in der Hinsicht, als dass der Mensch aufhört, über Sein und Wirklichkeit, über Eigenschaften und Elemente zu diskutieren und zu denken, denn Fragen, warum der Mensch überhaupt ist, bleiben auch dann relevant, wenn man sich eingesteht, dass alles nur materialistisch ist. Das Ende der Philosophie ist eine radikale Selbstkritik und Befreiung von theologischen und atheistischen Seinsbetrachtungen, die eine höhere Gewalt voraussetzen. Sie bedeutet die Anerkennung des Menschen als Subjekt und Akteurs in einer Gesellschaft, die erst dann eine Entfaltung findet, wenn die Klassen überwunden wurden. Und hier ist auch die Dringlichkeit erkennbar: die Philosophie ist ein Instrument der jeweiligen Klassenherrschaft, die als Legitimation der eigenen Befähigung dient. Das heißt wiederum nicht, dass eine klassenlose Gesellschaft keine ethischen Grundsätze mehr hat. Diese werden jedoch nicht anhand einer subjektunabhängigen Erklärung festgemacht, sondern im unmittelbaren Handeln der einzelnen Menschen. Und diese Erfahrungen werden die Ethik dann zur Wissenschaft machen, da das Interesse der Einhaltung nicht mehr an ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Interessen geknüpft sind einer bestimmten Kaste. Hiernach muss die Philosophie ihr eigenes Instrument entschärfen, um die Kritik des Wortes nicht zur Waffe werden zu lassen. Denn es ist das ewige Dilemma: die Philosophie spricht von der Befreiung der Menschheit, von der Gleichheit und der Überwindung des Bösen, doch kann sie selbst nichts dazu beitragen, da es ihr eigenes Todesurteil wäre.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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