„Das Programm ist ein Schlag ins Gesicht.“

Interview Ein Gespräch mit einer Helferin Geflüchteter über ihre Arbeit und was das „Rückkehrprogramm“ der Bundesregierung konkret für die Menschen bedeutet.

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Elisa Nowak: Du studierst an einer Universität in Baden-Württemberg und arbeitest mit geflüchteten Menschen, die an Sprachzertifikaten arbeiten, um hier studieren zu können. Wie schaut diese Arbeit konkret aus?

Marina D.*: Das sind mehrere Teile.

Der wichtigste ist natürlich der Sprachunterricht. Wir starten auf dem Niveau B2.1 und führen sie Schritt für Schritt in Richtung B2.2, das sie bei uns in der Regel auch überwiegend abschließen. Danach beraten wir sie, ob sie schon fit genug für die Prüfung des TestDaF-Instituts (Test Deutsch als Fremdsprache, E.N.) sind. Mit dem Ergebnis 4×4 (bestehend aus den Teilbereichen Leseverstehen, Hörverstehen, schriftlicher Ausdruck und mündlicher Ausdruck) können sie sich dann an den meisten Universitäten bewerben bzw. einschreiben. Bei einigen Fächern wie Medizin verlangen die Unis oft 4×5, also das höchste Ergebnis. Das entspricht in etwa dem Niveau eines Muttersprachlers.

Ansonsten sind wir bereits während des Kurses dabei, den Stoff in Übungen zu vertiefen. Wir geben Tipps, wie bestimmte Teilbereiche verbessert werden können (Tandem, Bücher, deutsche Radiosendungen oder TV), versuchen Kontakt zu Studierende herzustellen oder laden Personen ein, die etwas zum Studium an deutschen Hochschulen erzählen. Mit Vorliebe sind das vorherige Kursteilnehmer*innen, um die Motivation zu beflügeln.

E.N.: Wie sieht dahingehend die Zusammenarbeit mit entsprechenden Behörden aus? Kommen sie euch entgegen oder gibt es Hürden?

M.D.: Wir arbeiten momentan daran, diesen Kontakt von Anfang an herzustellen und zu halten und erhoffen uns regelmäßige Updates - von beiden Seiten aus. Bisher haben wir das eher nach Bedarf getan, besonders dann, wenn es Probleme gab. Ein Teilnehmer beispielsweise sollte den Kurs abbrechen, um Vollzeit zu arbeiten. Von unserer Seite kam dann das entsprechende Signal, dass es verheerend wäre, diesem Mann die Möglichkeit auf die Prüfung und ein späteres Studium zu verwehren.

Die Logik dahinter ist mir bis heute nicht klar. Er war der Kursbeste. Was immer wieder passiert ist, dass unsere Teilnehmer*innen zu Gesprächen oder anderen Terminen vormittags einbestellt werden. Das passiert immer wieder und hat uns schon einige Telefonate gekostet. Was man aber mittlerweile sagen kann, ist, dass es wirklich auf die einzelnen Jobcenter bzw. Kontaktpersonen ankommt. Manche sind sehr verständnisvoll, anderen ist es offenbar relativ gleichgültig, welche potentiellen Chancen da gefährdet werden.

Hilfreich wäre es auch, vorab eine Einschätzung zu erhalten, wie sich jemand im Kurs anstellen könnte. Man hat ab und an einfach mal jemanden dabei, der sich nicht an die Spielregeln hält. Sowas stört leider das Gruppenklima und hemmt entsprechend die Lernatmosphäre. Bei einem solchen hat sich herausgestellt, dass er seinem Betreuer auch oft Probleme gemacht hat und uneinsichtig war. Da muss man leider den Erfolg der Gruppe im Auge haben. Man versucht, etwaige Probleme zu berücksichtigen und Hilfestellung zu geben, aber unser Programm ist primär auf Leistung ausgelegt.

E.N.: Das heißt, die Teilnehmer*innen bringen einen entsprechenden Abschluss mit oder müssen sie auch eine Form der Hochschulzugangsberechtigung (HZB) absolvieren?

M.D.: Bei uns muss bei der Bewerbung eine entsprechende HZB nachgewiesen werden, z.B. ein Abitur oder ein früherer Studienabschluss. Das war bisher gut gemischt. Viele unserer Teilnehmer*innen sind zwischen 18 und 28 Jahre (teils bis Mitte 30) und haben alle mindestens das Abitur. Viele haben durch den Krieg jedoch ihr Studium im Heimatland abgebrochen. Einige haben einen Bachelorabschluss. Selten sind Masterabschlüsse, welche jedoch angestrebt werden.

E.N.: Aus welchen Gebieten stammt der Großteil der Teilnehmer*innen?

M.D.: Tatsächlich kommen die meisten aus Syrien. Einige außerdem aus Afghanistan, dem Irak und Iran.

E.N.: Abschiebungen nach Afghanistan sind in letzter Zeit leider keine Seltenheit mehr, trotz der verheerenden Lage vor Ort. Wie ist das Klima unter den Teilnehmer*innen? Herrscht die Angst vor Abschiebungen?

M.D.: Zu spüren ist es tatsächlich in der Klasse selbst nicht stark. Das tritt eher im persönlichen Gespräch hervor. Ich hatte einen afghanischen Teilnehmer, dessen Status momentan unklar ist. Er hat eine Ablehnung erhalten, dagegen jedoch Berufung eingelegt. Sich damit herumzuschlagen, während man einen Intensivkurs besucht, sich auf eine wichtige Prüfung vorbereitet und nebenher teilweise noch arbeiten geht - die Belastung klingt beinahe absurd. Einige haben zusätzlich noch Familie zu versorgen und allgegenwärtig ist natürlich die Sorge um die Zurückgeblieben in der Heimat. Diesem Druck standzuhalten erfordert sehr viel und ich will mir nicht anmaßen, das nachfühlen zu können.

E.N.: Die Bundesregierung rührt seit wenigen Wochen mächtig die Werbetrommel für ihr „Rückkehr-Programm“ . Es wird mit finanziellen Anreizen gelockt, um flüchtende Menschen daran zu hindern, Asyl zu beantragen. Kommt das Programm zur Sprache?

M.D.: Ja, und ich habe noch niemanden etwas wirklich Positives darüber sagen hören.

Man muss sich das so vorstellen: Die Menschen sind zwei bis fünf Jahre außerhalb ihres Landes, haben vieles zurückgelassen und sich bis hierher durchgeschlagen. Das sind sehr engagierte Menschen, die einfach weiterleben wollen. Die sich allen Hürden gestellt haben, die deutsche Sprache gelernt, teilweise studieren, arbeiten. Einige haben Familien gegründet. Viele versuchen, Angehörige nachzuholen. Da sind Kinder, die momentan im Nichts gefangen sind. Können in Syrien und in den Camps nicht in die Schule; hier haben sie die Möglichkeit. Viele sind aus Angst geflohen, weil sie dem Regime kritisch gegenüberstehen. Einige wurden gefoltert, andere waren monatelang im Gefängnis. Hier können sie ihr Leben nach einer Weile endlich wieder weitestgehend selbstbestimmt führen - sie und ihre Familien sind sicher.

E.N.: Das heißt, das Programm der Bundesregierung steht der Integration im Wege?

M.D.: Für die meisten ist das Programm eher ein Schlag ins Gesicht. Sie sollen bezahlt werden, ihre Anträge zurückzuziehen und zurück in die Ungewissheit zu gehen. Das wirft oft die Frage auf, wieso sich die Stimmung im Land gedreht hat, die anfängliche Euphorie verflogen ist und man ihnen immer mehr mit Skepsis und Feindseligkeit begegnet, obwohl sich viele wirklich bemühen. Jemand meinte kürzlich, er fände die Kampagne okay, falls es „Integrationsunwillige“ bewege, zurückzugehen und sich die von ihnen verursachten Problemen hierzulande dann auflösten. Er sprach von meist jungen Menschen, die sich nicht in die Gesellschaft eingliedern möchten, ihren Frauen den Zugang in die Gesellschaft verwehren, die lieber von Transferleistungen leben, anstatt sich zu bemühen, für sich selbst zu sorgen.

Alles in allem lässt sich festhalten, dass es für Geflüchtete mit Perspektive auf Studium und Job, mit Familie oder auch interkulturellen Beziehungen sehr unattraktiv ist. Wenn man stets bemüht ist, sich zu integrieren und als Mitglied der Gesellschaft zu funktionieren, erzeugt diese Kampagne eine Menge an Gefühlen. Von Ungläubigkeit zu Enttäuschung, Wut, sogar Trauer, darüber, dass man einfach nicht wirklich angenommen wird.

E.N.: Horst Seehofer meinte vor wenigen Wochen, dass er froh über jeden „Asylbewerber“ wäre, der eine Straftat beginge. Wie müsste deiner Meinung nach eine antirassistische Politik konkret in der Praxis aussehen, auch mit Hinblick auf deine Arbeit mit flüchtenden Menschen?

M.D.: Ich sehe das Problem schon darin, dass man immer von „den Flüchtlingen“ spricht. Aber kaum jemand, jedenfalls nicht aus der Mitte bis Mitte-Rechts-Ecke, macht sich die Mühe, die Menschen, die unter diesem Sammelbegriff in einen Topf gesteckt werden, als Menschen mit verschiedensten Hintergründen zu sehen. In Deutschland folgen wir einem Asylmodell, das erstmal alle gleichmacht. Ob Akademiker*in, Ladenbesitzer*in oder Straßenkehrer*in, konservativ oder liberal, Muslim oder Christ - hier angekommen waren sie alle nur noch „die Flüchtlinge“.

Und wenngleich man denkt, das sei gerecht, denn alle hätten nun dieselben Chancen unter gleichen Bedingungen, so hat es auch dazu geführt, eine so breitgefächerte Masse in eine kleine Schublade zu pressen, aufgrund derer man dann alle (vor)verurteilt. Wir sollten uns lieber fragen, welche Teile dieser Gruppe welche Art der Unterstützung brauchen und wie wir diese gewährleisten können. Ich fände wichtig, dass Geflüchtete sich um politische Teilhabe bemühen und ihre Sicht der Dinge einbringen können - und wir sie auch lassen. Denn Fakt ist, es wird sehr viel über Geflüchtete diskutiert, aber sehr wenig mit ihnen gesprochen.

E.N.: Das Ziel müsste es dann sein, die Menschen direkt mit einzubeziehen, anstatt über sie zu richten. Siehst Du eine realistische Möglichkeit, dass das in Deutschland in naher Zukunft machbar wäre?

M.D.: Ich habe die Hoffnung, dass in naher Zukunft mehr Geflüchtete ihren Weg in die Öffentlichkeit, speziell auch in die Politik, finden, und ihre Stimme hörbar machen. Und sie von uns gehört werden. Allerdings sehe ich wie viele andere auch den Rechtsruck in Deutschland und vielen anderen Ländern. Das stimmt mich skeptisch. Würden wir alle offener mit den Themen Integration und Flucht umgehen, uns gegenseitig zuhören und auf die Anderen ein- statt aufeinander loszugehen, dann könnte man den Menschen auf beiden Seiten einen Teil ihrer Ängste nehmen. Denn solange diese Ängste bleiben werden gewisse Parteien diese nutzen, um benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen und damit ihre menschenfeindliche Agenda voranzutreiben.

Ich muss einfach daran glauben, dass positive Begegnungen im Alltag zu einem verbesserten Verständnis Geflüchteten gegenüber führen, sodass wir alle bestmöglich miteinander leben können.

*Marina D. möchte anonym bleiben. Der Name ist der Autorin bekannt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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