Demos gegen Solidarität

Covid-19-Pandemie Auf „Hygiene-Demos“ werden Grundgesetze verteilt, die Hymne gesungen und für Freiheit plädiert. Dahinter verbirgt sich jedoch ein egoistisch-individualistisches Weltbild

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Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, 25. April 2020
Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, 25. April 2020

Foto: Adam Berry/Getty Images

Am Samstag, dem 25. April 2020 fand die erste sogenannte „Hygiene-Demonstration“ statt. Veranstaltet vom „Demokratischen Widerstand“ sollten bundesweit in Form eines „Spaziergangs“ die Demonstrant*innen zusammenfinden, um gegen die Covid-19-Maßnahmen der BRD ihr Wort zu erheben. Neben größeren Städten wie Bremen, Leipzig, Berlin und Köln fanden sich um 15:30 Uhr auch in Konstanz einige Demonstrant*innen zusammen. In dem Auftritt erschien die Demonstration mehr wie eine Mahnwache, die es sich zur Aufgabe machte, die „Wahrheit“ zu verkünden. Doch Wahrheit worüber? Ausgerüstet mit Grundgesetzen und Zollstöcken – um ironisch-provokativ zwei Meter Abstand einzuhalten – versuchten sie, mit Passant*innen ins Gespräch zu kommen. Und auf den ersten Blick, wenn man den Hintergrund nicht kennt, erscheint das Anliegen der Demonstrant*innen mehr als verständlich: Es wird auf die Einhaltung der Grundgesetze gepocht sowie eine „kritische Auseinandersetzung“ mit der Covid-19-Pandemie. Diese wird von den Demonstrant*innen heruntergespielt und die daraus gezogene Maßnahmen ins Lächerliche gestellt. Auf einer Maske einer Demonstrantin stand beispielsweise „Maulkorb“. Die Miteinbeziehung von Kindern, die harmlos wirkenden Schilder, die nichts Weiteres als „Demokratie“ und „Freiheit“ wünschen sowie das mehrheitlich freundliche Auftreten der Demonstrant*innen darf allerdings nicht hinter der Struktur hinwegtäuschen, die sich hinter der „Demonstration“, die unter dem Titel „Nicht ohne uns“ auftritt, verbirgt.

Der „Demokratische Widerstand“ versteht sich als „liberale Opposition und kritische Intelligenz“ und fordert zentral die Aufhebung der „Notstandsgesetze“. Flankiert wird das mit der Forderung, die Ökonomie zu „demokratisieren“. Als selbsternannte Verteidiger*innen eines liberalen Staates stellen sie sich gegen die politischen Entscheidungen, die bedingt durch die Covid-19-Pandemie gefällt worden. Die Einschränkung der Grundrechte und die subkutane Entwicklung eines autoritären Staates sind diskussionslos zu kritisieren und müssen eine politische Lösung und schlechterdings auch eine langfristige Fragestellung beinhalten, wie auf die derzeitige ökonomische Krise zu reagieren ist. „Nicht mit uns“ zentralisiert allerdings das Virus an sich und blendet die objektiven Bedingungen völlig aus, hiernach die größte Weltwirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Virus als solches war freilich nicht der Auslöser, sondern bedingt durch das katastrophale Handeln nahezu aller Regierungen der Welt ein relevanter Faktor der drastischen Verschärfung. Der „Demokratische Widerstand“ und seine „Hygiene-Demonstration“ indes stellt den Individualismus in den Mittelpunkt und entpuppt sich hierbei als propagandistischer Arm eines radikalen Neoliberalismus, welcher sich im Flyer sowie in einzelnen Äußerungen der Demonstrant*innen einer Öffnung zu rechtsradikalen Personen nicht verschließt.

Der in Konstanz verteilte Flyer druckte auf einer Seite einen Facebook-Post eines „besorgten Mitmenschen“, der sich in einer plakativen und gewohnt emotionalisierten Sprache wiederfindet. Angeprangert wird besonders das „Social Distancing“ sowie der ökonomische Schaden. Mittelfristige Lösungen, wie das zu befürwortende „Notabitur“, werden dabei ebenfalls weggebügelt und als der Leistungsgesellschaft nicht gerecht zu wertende Möglichkeit definiert. Der radikale Egoismus kommt besonders dann zur Sprache, als postuliert wird, Menschen der „Risikogruppe“ in Zwangsquarantäne zu stecken, um so den anderen ein „normales Leben“ zu geben. Hier manifestiert sich die neoliberale und im Kern misanthrope Weltanschauung, die in Einzelgesprächen in Konstanz noch untermauert wurden. Teilweise wurden Vergleiche mit dem „Ermächtigungsgesetz“ der deutschen Faschist*innen 1933 gezogen, die der derzeitigen in der BRD nicht unähnlich zu sein habe. Hiermit wird ein Punkt erreicht, der nicht nur die Maßnahmen überhöht, sondern auch den Faschismus relativiert.

Die Maßnahmen beziehen sich auf das Virus SARS-CoV-2, hiernach wird der größte Angriff auch darauf gerichtet, mehr: auf die Wissenschaft. Mit Verweis auf eine obskure und tendenziell verschwörungstheorieaffine Seite namens „Swiss Propaganda Research“ sollen die Zahlen, Fakten und Daten zu den Infizierten und Toten bedingt durch Covid-19 relativiert werden. Besonders wird auf Südkorea verwiesen, wonach keine Ausgangssperre verhängt wurde, die Zahl der Infizierten und die Letalität äußerst gering ist. Ignoriert wird hierbei allerdings der Fakt, dass die südkoreanische Regierung vergleichsweise sehr früh auf das Virus reagierten und flächendeckend testete, während die BRD noch die Warnungen von einzelnen Virolog*innen ignorierte. Doch auch der „Demokratische Widerstand“ befasst sich mit dem Virus und will ihn nur als „saisonale Grippe“ verstanden wissen. Zitiert wird hier zum Beispiel Dr. Karin Mölling, ehemalige Direktorin des Zürcher Instituts für Medizinische Virologie, welche Covid-19 „nicht so schlimm wie die Influenza“ sähe. Ein nüchterner Blick auf die Daten zeigt allerdings, dass die Letalität bei der saisonalen Gruppe bei 0,1 bis 0,2 % liegt. Die Letalität von Covid-19 wird bei 0,3 % bis 0,7 % geschätzt. Hiernach, selbst wenn der niedrigste Wert herangezogen wird, fordert Covid-19 bis dato mehr Tote als die saisonale Grippe.

Doch das Problem, welches sich hier verbirgt, ist ein nicht zu unterschätzendes: durch die Neuartigkeit des Virus‘ ist man erst im Begriff, Daten tatsächlich auszuwerten und es ist zu verfrüht, fixe Informationen oder Fakten zu geben. Die Informationen sind in einem ständigen Fluss und werden durch die faktische Politisierung der Wissenschaft einem enormen Druck ausgesetzt. Zentral hierbei ist die Studie aus Heinsberg, welche besonders von Armin Laschet, Ministerpräsident aus NRW, politisch ausgeschlachtet wurde. Christian Drosten, Virologe aus Berlin, kritisiert diese Herangehensweise bei Missachtung der Wissenschaftlichkeit scharf im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Nichtsdestoweniger ist Covid-19 alles andere als zu unterschätzen und die Ausnahmesituation erfordert bedingt durch das unvollständige Wissen über Verlauf und Faktenlage Entscheidungen, welche durchaus eine Kritik erfahren müssen, wenn sie konträr zum wissenschaftlichen Standpunkt stehen. Ein Beispiel ist hierbei die Maskenpflicht, welche in letzter Konsequenz mehr eine Symbolwirkung und auf Druck der Kapitalverbände gefordert und durchgesetzt wurde. Obgleich der Prozentsatz der Letalität sehr gering wirkt, ist die Gruppe jener, die ein erhöhtes Risiko haben, an Covid-19 ernsthaft zu erkranken oder schlimmst möglich zu sterben, eine nicht zu unterschätzende. Neben älteren Menschen sind besonders altersunabhängig Menschen mit Vorerkrankungen, Raucher*innen, Diabetiker*innen und Krebserkrankte gefährdet. Getreu der Logik der „Hygiene-Demonstrant*innen“ müsste man all diese Menschen in Zwangsquarantäne stecken, um das „normale Leben“ wieder hochzufahren.

Das Menschenbild wird hierbei deutlich illustriert und wird bei genauerer Betrachtung der politischen Konstellation noch deutlicher. Denn nicht nur vermeintlich „besorgte Liberale“ fordern ein Ende der Maßnahmen und Zweifeln der Pandemie, auch Persönlichkeiten wie der rechte „Volkslehrer“ oder weitere Querfrontler*innen finden sich in diesen Reihen, die die Pandemie für verschwörungstheoretische Propaganda nutzen, welche auch von den vermeintlich einfachen Demonstrant*innen rezipiert werden. So meinte eine Demonstrantin in Konstanz, ARD und ZDF würden nur das senden über Covid-19, was wir zu hören haben. Die eigentliche Gefahr hinter „Nicht ohne uns“ ist hierbei ein strukturell menschenfeindliches Weltbild, welches sich konsequent in die neoliberale Ideologie und die Propagierung des Einzelnen einreiht sowie die konsequente Verbindung mit rechten bis rechtsradikalen Kräften, Stimmen und Persönlichkeiten. Flankiert wird diese Entwicklung mindestens indirekt von der FDP und AfD. So haben auch jüngst Christian Lindner und Alexander Gauland eine schnelle Lockerung der Maßnahmen gefordert, freilich im Namen des Einzelnen und der Wirtschaft. Doch hinter „Nicht ohne uns“ manifestiert sich der egoistische Individualismus, der die Negation der Solidarität in sich trägt. Wenn der Mundschutz als Maulkorb interpretiert wird kann man gewissermaßen nur noch mit dem Kopf schütteln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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